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Helmut Caspar

In Inschriften versteckte Jahreszahlen

In der Barockzeit, als Allegorien und Sinnsprüche auf Münzen und Medaillen hoch im Kurs standen, hat man bisweilen Inschriften zur Wiedergabe von Jahreszahlen verwendet. Die Entstehungszeit der betreffenden Stücke ist in lateinischen und manchmal auch deutschen Inschriften versteckt. Graveure hoben die römischen Zahlen hervor, indem sie Zahlenbuchstaben etwas größer als die übrige Schrift schnitten. Die mit Hilfe der Ringprägung in der Barockzeit gewonnenen Münz- und Medaillenränder wurden häufig als Überbringer sinniger Sprüchen und Jahreszahlen in Form von solchen Chronogrammen verwendet. Wer sich auf die Kombination von Inschriften und Jahreszahlen spezialisiert, bekommt eine stattliche Zahl an Belegen zusammen. So zeigt eine Medaille von 1699 den sächsischen Kurfürsten und polnischen König August den Starken im Schmuck seiner Insignien. Die Jahreszahl 1699 ist in arabischen Ziffern auf der Rückseite neben einer knienden Frau als Symbolfigur der Stadt Kaminec vermerkt. Die gleiche Jahreszahl ist in der Randschrift mit diesen Worte versteckt: „DIVIno annVente nVMIne eX Voto nun InIqVo non InIVstro FeLICIter et gloriose recuperatvm.“ Zählt man die Großbuchstaben DIVIVVMIXVIIVIIVLICI zusammen, ergibt sich die Zahl 1699.

Namentlich die Freie und Reichsstadt Nürnberg hat viele ihrer Münzen mit Chronogrammen datiert. Münzmeister und Stempelschneider wussten, dass manche Mitbürger des Lateinischen mächtig waren und etwas mit den zur Datierung verwendeten Großbuchstaben anfangen konnten. In dem Buch von Hans-Jörg und Elisabeth Kellner „Die Münzen der Reichsstadt Nürnberg“ (Stuttgart 1991) findet man verschiedene Taler, Halbtaler und andere Werte mit solchen Chronogrammen. Die Sprüche unter den Panoramen wünschen der Stadt und der Welt alles erdenklich Gute. Die dreizeilige Inschrift auf einem solchen Taler „CanDIDa paX reDeat paX regnet In orbe et In Vrbe“ (Es kehre der glänzende Friede wieder und herrsche auf dem Erdkreis und in der Stadt) ergibt die Jahreszahl 1628.


Auch Gedenkprägungen im Wert eines halben Talers zur 200-Jahrfeier der Reformation sind mit einem Chronogramm versehen. In der vierzeiligen Inschrift „martInVs LVtherVs theoLogIae DoCtor“ verbirgt sich die Zahl 1717. Die Manie, durch versteckte Jahreszahlen die Leute zu verblüffen, fand in Nürnberg 1721 ein Ende.

Mit einem dreifachen Chronogramm wurde im Jahre 1666 Herzog Augusts des Jüngeren auf einfachen und mehrfachen Talern gedacht. Die berühmten Wolfenbütteler Glockentaler von 1643 und manch andere Gedenkmünze gehen auf diesen mit 88 Jahren verstorbenen Herzog und Begründer des Neuen Hauses Braunschweig-Wolfenbüttel zurück. Ob er noch an der Gestaltung seiner eigenen Sterbemünzen mitgewirkt hat, wurde vermutet. In drei lateinischen Devisen findet sich auf der Vorderseite mit dem entblätterten Baum und dem an den Wurzeln liegenden Totenkopf versteckt die Jahreszahl 1666. Sie kann ohne weiteres aus den groß geschriebenen Buchstaben addiert werden, wenn man die Umschriften aufschreibt. In der Kurzbiographie auf der Rückseite findet man das Sterbedatum 17. September 1666.

August der Jüngere war einer der klügsten Männer seiner Zeit. Er verkörperte das Ideal des „guten“, allseitig gebildeten, mildtätigen Fürsten, der das Wohl seiner Landeskinder über alles stellt. Aus ganz Europa ließ er Bücher und alte Schriften herbeischaffen, sie einheitlich in Pergament binden und beschriften. August der Jüngere brachte einen Bücher- und Handschriftenschatz von rund 130.000 Exemplaren zusammen und machte ihn der Öffentlichkeit zugänglich. Die mit vielen bibliophilen Kostbarkeiten ausgestattete berühmte Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel, in der keine geringeren als der Polyhistor und Berliner Akademiegründer Gottfried Wilhelm Leibniz und der Dichter Gotthold Ephraim Lessing tätig waren, trägt zu Recht den Namen des gelehrten Herzogs. Hier finden Forscher übrigens zahlreiche seltene numismatische Drucke oder auch Leichenpredigten, in denen viele biographische Einzelheiten über das Leben und Schaffen von Münzmeistern sowie anderen Personen vermerkt sind, die mit Münzen und Medaillen zu tun hatten.

Man könnte in Büchern und Katalogen zur Münzgeschichte einzelner Herrscherhäuser und Städte sowie in Münzsammlungen oder den Angeboten des Handels weitere Beispiele für die von der Norm abweichende Datierungen finden. Chronogramme setzten sich auf Dauer nicht durch. Zu umständlich war die Datierung. Deshalb hat man die verschlüsselten Jahreszahlen oft in lateinischer oder arabischer Schreibweise auf dem gleichen Stück wiederholt oder nahm ganz Abstand von der komplizierten Wiedergabe von Jahreszahlen.



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