Publius Quinctilius Varus und die verlorenen Feldzeichen
- Horst Herzog

- 10. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Als der Kaiser Augustus von der Niederlage des Varus erfuhr, war er nach Aussage des römischen Historikers Sueton dermaßen erschüttert und verzweifelt, dass er monatelang Haar und Bart wachsen ließ und oft seinen Kopf mit dem Ausruf gegen die Tür stieß: „Quintili Vare, legiones redde (Quintilius Varus, gib mir meine Legionen wieder zurück)!“ Unmittelbar nach der Nachricht vom Verlust dreier Legionen und ihrer dazugehörenden Hilfstruppen - sechs Kohorten und drei Reitereinheiten, insgesamt rund 20000 Soldaten - ließ Augustus alle Stadtteile Roms vom Militär absichern, um Unruhen zu verhindern. Die „clades Variana“, die Niederlage des Varus, verursachte bei den Römern für lange Zeit ein Trauma, zumal nicht nur drei Legionen ausgelöscht, sondern auch deren Legionsadler vom Gegner erbeutet worden waren. Nach römischer Auffassung galt eine Legion, deren Legionsadler vom Feind erbeutet worden war, als für immer vernichtet. Daher wurden auch die betroffenen Legionen XVII, XVIII und XIX nicht wieder aufgestellt! Als Folge dieser Niederlage gegen verschiedene Germanenstämme unter der Führung des Cheruskers Arminius wurden die weitreichenden Pläne einer Eroberung Germaniens bis zur Elbe aufgegeben, wobei die Römer auch weiterhin das rechtsrheinische Gebiet Germaniens als Einflusssphäre betrachteten.
Publius Quinctilius Varus, der Urheber und Namensgeber dieser militärischen Katastrophe, entstammte einer der ältesten und vornehmsten Familien Roms, dem Geschlecht der Quinctilier. Der 47/46 v. Chr. in Cremona geborene Varus durchlief den für seine Abstammung üblichen „cursus honorum“ und diente unter anderem im Jahr 15 v. Chr. unter dem späteren Kaiser Tiberius als Legionslegat. Im Jahr 13 v. Chr. begleitete er zusammen mit Tiberius das Konsulat. Schon diese zwei Stationen der Laufbahn des Varus zeigen seine enge Verbindung zum augusteischen Kaiserhaus. Nach seinem Konsulat, wohl im Jahr 8/7 v. Chr., war Varus Statthalter in der wichtigen Provinz Africa, die dem heutigen Tunesien entspricht. Aus dieser Zeit stammt auch die Bronzemünze aus Achulla (Abb. 1) mit dem Bildnis des Varus auf dem Revers.
Abb. 1: Bronze, 8 - 7 v. Chr., Achulla (Tunesien), RPC I Nr. 798,6
Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18200214
Auf dem Avers dieser Bronze sehen wir im Zentrum den nach links gerichteten Kopf des Augustus, links und rechts davon die jeweils zum Augustuskopf blickenden Köpfe von Gaius und Lucius Caesar. Die beiden Enkel des Augustus galten zu diesem Zeitpunkt als dessen potentielle Nachfolger. Die Benennung der drei Köpfe erfolgt durch die Legende „AVG PONT MAX“ sowie durch die Buchstaben „CL“ unter dem Kopf des Augustus, wobei „CL“ die Abkürzung für Gaius und Lucius ist. Die Reverslegende „P QVINCTILI VARI - ACHVLLA“ benennt den Porträtkopf der Münzrückseite und die ausgebende Münzstätte. Unsere Bronze zeigt eines der wenigen Münzporträts des Varus: der nach rechts gerichtete Kopf besitzt aufgrund des Erhaltungszustands der Münze wenig individuelle Merkmale. Die kurzsträhnige Frisur schließt sich eng an die Frisuren der männlichen Angehörigen des iulisch-claudischen Hauses an. Die Gesichtsoberfläche ist wenig strukturiert. Auffallend ist die weit nach vorne ragende Nase und das tief liegende Auge.
In der Zeit zwischen 7/6 v. Chr. und 5/4 v. Chr. begleitete Varus das Amt des Statthalters der großen, aber auch unruhigen Provinz Syrien. Syrien besaß neben der Rheingrenze mit die größten Heeresverbände dieser Zeit. Als Statthalter hatte Varus auch eine Kontrollfunktion über das judäische Königreich des Herodes. Der anerkannte Verwaltungsfachmann Varus wurde dann ab dem Jahr 7 „legatus Augusti pro praetore“ für Germanien, wobei unklar ist, inwieweit es sich bei dem „Gebilde“ der Germania Magna tatsächlich um eine Provinz gehandelt hat. In seiner Eigenschaft als Statthalter zog Varus im Frühsommer 9 n. Chr. mit drei Legionen und den dazugehörenden Hilfstruppen von Xanten nach Osten entlang der Weser in ein Sommerlager. Auf dem Rückweg wurde der Heereszug aufgrund
der ungünstigen topographischen und der schlechten Wetterverhältnisse extrem in die Länge gezogen und im „saltus teutoburgiensis“ von den Germanen unter Arminius angegriffen und nahezu restlos vernichtet. Publius Quinctilius Varus, der für das Desaster verantwortliche Feldherr, stürzte sich in sein Schwert.
Während der Statthalterschaft des Varus in Germanien wurde auch das As (Abb. 2) mit dem Gegenstempel des Varus versehen.
Abb. 2: As, 12 - 10 v. Chr., Lugdunum, RIC I2 Nr. 230
Bildquelle: https://ikmk.uni-freiburg.de/object?id=ID5331
Auf der Vorderseite des in Lugdunum geprägten As ist der nach rechts gerichtete Kopf des Augustus mit Lorbeerkranz abgebildet. Die Legende „CAESAR [PONT] MAX“ nennt das Amt des Pontifex Maximus, das Augustus ab 12 v. Chr. innehatte. Die Münzrückseite zeigt einen Altar, an dessen Ecken Säulen stehen, die von Viktorien bekrönt werden. Die Seitenfläche des Altars ist reliefverziert. Unterhalb des Altars ist „ROM ET AVG“ zu lesen. Damit ist klar, um welchen Altar es sich hier handelt: dargestellt ist die „Ara trium Galliarum“ (Altar der drei gallischen Provinzen), die der Göttin Roma und dem Kaiser Augustus geweiht war. Dieses Heiligtum befand sich in der Nähe von Lugdunum. Für uns interessant ist der Gegenstempel, bei dem deutlich die Buchstaben VAR in Ligatur zu lesen sind.

Abb. 3: Vergrößerung Gegenstempel von Abb. 2
Derartige Gegenstempel sind nichts Ungewöhnliches, sondern waren durchaus gebräuchlich. Diese von den jeweiligen Feldherrn gekennzeichneten Münzen wurden für Donative an die unterstellten Truppen verwendet. Münzen mit dem Gegenstempel des Varus wurden sowohl in den Militärlagern am Rhein als auch bei Kalkriese, dem vermuteten Ort der „clades Variana“, gefunden.
In der römischen Literatur gibt es drei Textstellen, die auf die Wiederauffindung bzw. das Zurückbringen der drei verlorenen Legionsadler Bezug nehmen:
„Die Brukterer, die ihr eigenes Land verheerten, schlug L. Stertinius mit einer leichten Abteilung auf Weisung des Germanicus in die Flucht, und während des Mordens und Plünderns fand er den Adler der 19. Legion wieder, der mit Varus verloren gegangen war.“ (Tac. Ann. I 60; übersetzt v. E. Heller)
„ …… deren [die Marser] Häuptling Mallovendus, der sich kurz zuvor unterworfen hatte, berichtete, in einem nahen Hain sei der Adler einer Legion des Varus vergraben und werde nur schwach bewacht. Auf der Stelle wurde eine Abteilung entsandt, die den Feind nach vorne herauslocken sollte, und andere, um ihn im Rücken zu umgehen und das Erdreich aufzureißen; und beiden stand das Glück zur Seite.“ ( Tac. Ann. II 25; übersetzt v. E. Heller)
„Im gleichen Jahr [41 n. Chr.] aber bezwang Sulpicius Galba die Chatten, und Publius Gabinius besiegte die Kauchen, wobei er als Höhepunkt seiner Ruhmestaten einen Legionsadler zurückholte, der sich noch als einziger seit der Niederlage des Varus in deren Händen befand.“ (Cass. Dio LX 8,7; übersetzt v. O. Veh)
Die zitierten Textstellen beziehen sich auf die Jahre 15, 16 und 41. Die Quellen nennen lediglich explizit den Legionsadler der XIX. Legion, die der beiden anderen Legionen bleiben eher unbestimmt. Inwieweit der Stamm der „Kauchen“ dem der Chauken entspricht, ist ungewiss. Auf jeden Fall beziehen sich die beiden Dupondien (Abb. 4 und 5) auf die Wiedererlangung des Legionsadlers der XIX. Legion. Bei den beiden Münzen handelt es sich um eine Memorialprägung des Caligula für seinen verstorbenen Vater Germanicus, unter dessen Auspizien der Legionsadler wieder gefunden und nach Rom gebracht wurde.
Abb. 4: Dp, 37 - 41, Rom, RIC I2 Nr. 57
Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18204388
Auf dem Avers sehen wir eine nach rechts fahrende Quadriga, in der, wie uns die Beischrift erläutert, Germanicus Caesar steht. In seiner linken Hand, die auch die Zügel führt, hält Germanicus ein von einem Adler bekröntes Zepter, in der Rechten befindet sich ein Lorbeerzweig. Der Wagenkorb ist, wie bei Abb. 5 schön zu sehen ist, mit einer Viktoria verziert, die einen großen Kranz hält. Auf der Rückseite ist der nach links gerichtete Germanicus in militärischer Tracht dargestellt. Seine Rechte hat er im „Adlocutio-Gestus“ erhoben. In seinem linken Arm befindet sich der wiedergewonnene Legionsadler der XIX. Legion. Das Münzbild wird durch die Inschrift „SIGNIS - RECEPT / DEVICTIS - GERM“ (Signis Receptis - Devictis Germanis - die von den besiegten Germanen wiedererlangten Feldzeichen) näher erläutert. Auch wenn der Begriff „signis“ im Plural gehalten ist, dürfte es sich hier nur um das Feldzeichen der XIX. Legion handeln.
Abb. 5: Dp, 37 - 41, Rom, RIC I2 Nr. 57
Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18205079
Das Aversbild erinnert an den Triumph des Germanicus über die Germanen, welcher ihm im Jahre 17 zuerkannt worden war.
Mit der Inschrift „SIGNIS RECEPT“ knüpfen die Stempelschneider bzw. die für die Münzprägung unter Caligula Verantwortlichen an die augusteischen Münzlegenden an, die die Wiedererlangung der an die Parther verlorenen Feldzeichen feierten. Die Wiederauffindung der beiden anderen Legionsadler des Varus findet dagegen in der Münzprägung keinen Niederschlag. Daher bleibt es meines Erachtens fraglich, inwieweit den beiden anderen Schriftquellen überhaupt zu trauen ist, insbesondere auch deswegen, da sie die Legionsadler keiner Legion zuordnen. Könnte es nicht sein, dass von der Wiederauffindung der Legionsadler berichtet wird, um einfach das Trauma des Verlustes zu beenden?
Horst Herzog




















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