Zeus und Eirene auf einem seltenen Nomos von Lokroi Epizephyrioi
- Michael Kurt Sonntag

- 15. Juli
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Lokroi Epizephyrioi an der Südküste des unteritalischen Bruttiums gelegen (s. Karte), war eine um 700 v. Chr. gegründete Kolonie der zentralgriechischen Lokrer. Ihr Name bedeutet übersetzt „Die Lokrer jenseits des Westwinds“. Irgendwann sollen sich zu diesen Lokrern noch dorische Griechen aus Taras oder Sparta gesellt haben. Folgt man antiken Quellen, dann hatte Lokroi Epizephyrioi um die Mitte des 7. Jhs. v. Chr. erste geschriebene Gesetze und war auch noch in späteren Jahrhunderten ein leuchtendes Beispiel einer wohl organisierten Stadt.

Karte Süditaliens.
Quelle: Eva und Wolfgang Szaivert nach David R. Sear: Griechischer Münzkatalog.
Bd. 1: Europa. München 1980, S. 94
Um die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. geriet die Stadt allerdings in eine kriegerische Auseinandersetzung mit der expandierenden bruttischen Polis Kroton, die es jedoch zusammen mit seinem Verbündeten Rhegion gewann. Im frühen 5. Jh. v. Chr. waren Lokroi Epizephyrioi und Rhegion aber erbitterte Feinde, da der Tyrann von Rhegion, Anaxilas, die Zerstörung von Lokroi Epizephyrioi geplant hatte. Die Intervention des syrakusanischen Tyrannen Hieron I. vereitelte Anaxilas Vorhaben jedoch und führte zu einer Allianz zwischen Syrakus und Lokroi Epizephyrioi. Einer Allianz, die Lokroi Epizephyrioi dann dazu veranlasste, während der Athenischen Expedition gegen Syrakus (415–413 v. Chr.) fest an der Seite von Syrakus zu stehen. Seine Bindung an Syrakus wurde noch enger, nachdem der syrakusanische Tyrann Dionysios I. die Tochter eines führenden Lokrer Bürgers geehelicht hatte. Dionysios I. benutze Lokroi Epizephyrioi in der Folge als Ausgangsbasis für seine Eroberungen in Süditalien und beschenkte Lokroi Epizephyrioi im Gegenzug mit Gebieten der Städte Kaulonia und Hipponion. Im Gegensatz zu Dionysios I. war sein Sohn und Nachfolger Dionysios II. aber kein Segen für Lokroi Epizephyrioi. Denn nachdem er 357 v. Chr. aus Syrakus verbannt worden war, wurde er in Lokroi Epizephyrioi wohlwollend aufgenommen, installierte eine Garnison auf der Akropolis und tyrannisierte die Stadt dann aber mehrere Jahre lang so unbarmherzig, dass die Lokrer sich schließlich 346 v. Chr. erhoben und ihre Stadt zurückgewannen. Die anschließende Bedrohung durch das oskisch-italische Volk der Brettier, trieb die Lokrer später dazu, eine Allianz mit Rom einzugehen und zu Beginn des 3. Jhs. v. Chr. eine römische Garnison in ihrer Stadt zu beherbergen, die dann allerdings bei Ausbruch des Pyrrhischen Krieges (280 v. Chr.) wieder vertrieben und durch eine Garnison des Pyrrhos ersetzt wurde. Die römische Kontrolle der Stadt wurde nach der Niederlage des Pyrrhos 275 v. Chr. aber wieder hergestellt und blieb dann bestehen bis 212 v. Chr., als Bruttium das letzte Bollwerk des Karthagers Hannibal wurde. Um 205 v. Chr. eroberten die Römer unter L. Cornelius Scipio die Stadt endgültig und beherrschten sie fortan.
Doch obwohl Lokroi Epizephyrioi schon während des 7., 6. und 5. Jhs. v. Chr. erfolgreich war und seine Wirtschaft blühte, so prägte es nicht von Anfang an Münzen, sondern bediente sich zunächst der Zahlungsmittel benachbarter Poleis, ehe es dann im 4. Jh. v. Chr. dazu schritt, auch eigene Silbermünzen zu verausgaben. Zu den größten und eindruckvollsten Münzen, die die Stadt zwischen 375 und 330 v. Chr. prägte, gehören die silbernen Nomoi im Achaiischen Münzfuß (um 7,9 g = 1 Nomos bzw. Tridrachmon). Numismatikern, wie Oliver D. Hoover zufolge, dienten diese Münzen vor allem dazu, die Kriege der syrakusanischen Tyrannen und des epirotischen Königs Alexander zu finanzieren.
Während die Mehrheit dieser Nomoi den Göttervater Zeus sowie seinen Adler und seinen Blitz thematisieren, gibt es einen sehr seltenen Nomos, der vorderseitig zwar ebenfalls Zeus zeigt, rückseitig aber eine auf einem Kippos sitzende junge Frau im ärmellosen Chiton und Himation mit Kerykaion in ihrer Rechten offenbart. (Abb. 1)

Abb. 1: Lokroi Epizephyrioi (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 375–330 v. Chr.). Silber, 7,60 g, Ø [Höhe, Vs.] 20 mm, Münzstätte Lokroi Epizephyrioi. Seltenheit nach A. Houghton: R2
Foto: Numismatica Ars Classica, Auktion 138 (18. Mai 2023), Los 37]
Dieser Nomos fällt aber nicht allein wegen seines Rückseitenbildes aus dem Rahmen, sondern auch wegen einer Besonderheit, die sich nur auf diesem Münztypus zeigt. Anders als auf allen anderen Nomoi finden sich hier nämlich zusätzlich zum rückseitigen Ethnikon ΛΟΚΡΩΝ ([Münze] der Lokrer) noch die Aufschriften ΖΕΥΣ (Zeus) unter dem Kopf des Göttervaters und ΕΙΡΗΝΑ (für die Friedensgöttin Eirene, die Tochter des Zeus und der Themis) unter der auf dem Kippos Sitzenden. Rutters „Historia Numorum“ und Hoovers „Handbook of Coins of Italy“ nennen zwar beide statt ΕΙΡΗΝΑ die ionische Aufschrift ΕΙΡΗΝΗ, doch dürfte es sich letztlich semantisch um das gleiche Wort handeln. Wenngleich der Begriff im dorischen genaugenommen ΕΙΡΑΝΑ hätte lauten müssen. (Rechtschreibfehler des Stempelschneiders!)
Nahmen Numismatiker in der Vergangenheit bisweilen an, in Lokroi Epizephyrioi habe man mit dieser sitzenden Eirene einem bestimmten Friedensvertrag gedacht, so sieht die Fachwelt in der Friedensgöttin Eirene inzwischen eine lokale Stadtgöttin. „The seated Eirene probably represents a local city godess rather than commemorates a specific peace treaty.“ (N. K. Rutter et al. [Hrsg.]: Historia Numorum Italy. London 2001, S. 179) Der Numismatiker Colin M. Kraay interpretierte die Legende ΕΙΡΗΝΗ ΛΟΚΡΩΝ deshalb sogar als Eirene der Lokrer und unterstrich damit den Chrakter der Dargestellten als Stadtgöttin.
Dem in der antiken Numismatik etwas Bewanderten dürfte allerdings aufgefallen sein, dass die rückseitig sitzende Eirene, rein künstlerisch betrachtet, keine Neuschöpfung der Lokrer war, sondern von den Silberstateren der Stadt Terina entlehnt wurde. Auf einem Nomos von Terina aus dem 4. Jh. v. Chr. sehen wir vorderseitig ein anmutiges hochklassisches Porträt der jungen Nymphe Terina mit dreifachem Ohrgehänge und Perlenhalskette nach rechts gewandt, lesen die Aufschrift ΤΕΡΙΝΑΙΩΝ ([Münze] der Terinaier] und sehen rückseitig eine junge, fein durchmodellierte Nike mit Chiton und Himation bekleidet auf einem über Eck gestellten Kippos sitzend mit einem kleinen Vogel auf ihrer Rechten. (Abb. 2)

Abb. 2: Terina (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 400–356 v. Chr.). Silber, 7,24 g, Ø [Höhe, Vs.] 20 mm, Münzstätte Terina. Seltenheitsgrad nach A. Houghton: R2
Foto: Roma Numismatics Ltd, Auktion XX (29. Oktober 2020), Los 38
Dass es sich bei dieser Nike in der Tat um das Vorbild für Eirene gehandelt haben dürfte, belegt vor allem die ikonographisch künstlerische Gestaltung. Vergleicht man die beiden Frauen nämlich einmal miteinander, so fällt schnell auf, dass sie nicht allein gleich gekleidet und gleich frisiert sind, sondern auch in der gleichen Position auf dem über Eck gestellten Kippos sitzen. Besäße Nike keine Flügel, so würde man bei flüchtiger Betrachtung kaum einen Unterschied bemerken. Sicher, Nike hält einen kleinen Vogel auf ihrer Rechten und Eirene ein Kerykaion in ihrer Rechten, doch stellen diese Dinge eher unwesentliche Unterschiede dar.
Übrigens, der Silberstater von Lokroi Epizephyrioi (Abb. 1), der in der 138. Auktion von Numismatica Ars Classica am 18. Mai 2023 versteigert wurde, erzielte einen Zuschlag von 130.000,– CHF (133.531,– €). Sein Schätzpreis lag bei 50.000,– CHF.
Michael Kurt Sonntag
Seltenheit nach Arthur Houghton:
S (scarce) = 60–200 Exemplare bekannt
R1 = 25–60 Exemplare bekannt
R2 = 2–25 Exemplare bekannt
R3 = 1–2 Exemplare bekannt




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