Alexander der Molosser war der Bruder der Olympias, der Gemahlin Philipps II. von Makedonien. Da Philipp seine Westflanke sichern wollte, griff er im Winter 343/42 v. Chr. in die epeirotischen Thronwirren ein, und setzte den jungen Molosser Alexander, der am makedonischen Hofe erzogen worden war, als König der Molosser ein (342 v. Chr.). Nachdem Alexander die Hegemonie über Epeiros gewonnen hatte, heiratete er 336 v. Chr. Philipps Tochter Kleopatra und wurde somit Philipps Schwiegersohn und der Schwager Alexanders III., des späteren Alexanders des Großen. Es war übrigens diese Hochzeitsfeier in Aigai, während der Philipp II. von seinem Leibwächter Pausanias ermordet wurde. „Die Motive des Attentäters sollen persönlicher Natur gewesen sein; doch spricht die innere Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich um ein Komplott zwischen Philipps Gemahlin Olympias und frondierenden makedonischen Adelskreisen gehandelt hat.“ (Hermann Bengtson, Griechische Geschichte, Von den Anfängen bis in die Römische Kaiserzeit, 9. Aufl., München 2002, S. 303).
Als sich die reiche und wohlhabende süditalische Griechenstadt Taras/Tarent dem Ansturm der italischen Lukaner, Bruttier und Messapier alleine nicht erwehren konnte, rief sie 334 v. Chr. Alexander den Molosser zu Hilfe. Dieser kam umgehend und kämpfte anschließend erfolgreich gegen die Feinde der Tarentiner, soll sich vorübergehend aber auch mit Rom verbunden haben. Im Jahre 331/30 v. Chr. fiel Alexander bei Pandosia allerdings dem Mordanschlag eines Verbannten aus Tarent zum Opfer. „Auf die Kunde von seinem Tode hatte Alexander [der Große], damals in Persien, allgemeine Heerestrauer angeordnet.“ (Ebenda, S. 330).
Da Kriege und Feldzüge schon immer sehr teuer waren und Alexander der Molosser und seine Söldner mit Gold entlohnt werden sollten, ließ das verbündete Tarent zwischen 334 und 332 v. Chr. eigens zu diesem Zweck goldene Statere und Hemi-Statere (halbe Statere) im attischen Münzfuß (8,6 g/Stater) schlagen.
Betrachtet man die abgebildeten Goldmünzen etwas eingehender, so erkennt man vorderseitig auf beiden das nach rechts gewandte Porträt einer jungen Frau mit Stephane im Haar, dreifachem Ohrgehänge und Perlenhalskette. Da die Stephane in der Ikonografie das Attribut der Göttin Hera war, wird klar, bei der Dargestellten handelt es sich um keine Geringere als Hera. Vergleicht man die Heraporträts miteinander, so fällt auf, dass sie zwar ähnlich, aber nicht gleich sind. Denn während die Haare auf dem Hemi-Stater nur zum Teil hochgenommen und zum Teil noch lang in den Nacken fallen, sind sie auf dem Stater komplett hochgesteckt. Zudem wird das Hinterhaupt auf dem Stater von einem transparenten Schleier bedeckt, der auf dem Hemi-Stater gänzlich fehlt. Völlig verschiedene Bildmotive finden sich jedoch auf den Münzrückseiten. So sehen wir auf dem Hemi-Stater einen Delfinreiter, der von den unzähligen Silberstateren/Silbernomoi der Stadt entlehnt ist – diese liefen schon seit 510 v. Chr. in Tarent um.
Ganz anders dagegen präsentiert sich die Rückseite des Goldstaters (Abb. 1). Diese zeigt nämlich weder einen Reiter noch einen Delphinreiter, sondern eine ganz besondere Interaktion zwischen einem Knaben und einem Erwachsenen und damit auch für Tarent ein ungewöhnliches und einzigartiges Bildmotiv. Sieht man sich die Darstellung im Detail an, so fällt auf, dass der auf einem Hocker (griechisch „Diphros“) sitzende Mann im Hüftmantel, mit nacktem Oberkörper, Bart und langen Haaren in seiner Linken einen Dreizack hält und sich dem Betrachter auf diese Weise als Poseidon zu erkennen gibt. Der nackte Knabe vor ihm, der seine Ärmchen zu Poseidon hochstreckt, als bitte oder flehe er um etwas, könnte dann der kleine Flussgott Taras, der Sohn Poseidons, sein.
Diesbezüglich herrscht Einigkeit unter den Numismatikern, denn sie alle beschreiben die beiden Akteure als Poseidon und Taras. Auf die Frage, weshalb Taras Poseidon anfleht, antworten sie jedoch unterschiedlich. Für die meisten von ihnen steht fest, Taras erfleht von Poseidon den kleinen Bogen, der in dessen Schoß liegt. Dabei hält die Mehrheit das Bild für eine allegorische Darstellung, bei der Taras für Tarent und Poseidon für Sparta oder Epeiros stehen, von denen Tarent militärische Unterstützung gegen die feindlichen italischen Stämme forderte.
Gegner dieser Interpretation, wie Wolfgang Fischer-Bossert beispielsweise, argumentieren, dass es sich bei dem vermeintlichen Bogen im Schoß des Poseidon bestenfalls um einen Stempelbruch handle und betonen ferner, dass inzwischen eine generelle Skepsis gegenüber allegorischen Ausdeutungen von Münzbildern herrsche. Ein ganz anderer Deutungsversuch des Taras-Poseidon-Bildmotivs als der bisher erwähnte findet sich dagegen bei L. Lacroix. Seiner Ansicht nach bittet Taras seinen Vater um eine eigene Stadt. Poseidon gewähre diese Bitte und verspreche ihm sogar eine Stadt, die seinen Namen trage – so Lacroix.
Überaus interessant ist in diesem Zusammenhang die Haltung G. K. Jenkins´, der einräumt, dass es in der Tat schwierig sei, sicher zu entscheiden, ob Taras um militärische Hilfe gegen die barbarischen Stämme bitte oder darum flehe, zu Ehren seines Vaters eine eigene Stadt gründen zu dürfen, dann aber ergänzend hinzufügt, dass die Ausdrucksform der griechischen Münzprägung die indirekte und mythologische Anspielung einer direkten faktischen im Allgemeinen vorziehe: „Wether the meaning is the comtemporary one, the appeal to send help against barbariens, or something of a more historical nature – Taras asking to be granted a city to found in his father´s honour – is difficult to be sure. Generally the idiom of Greek coinage prefers the oblique and mythological allusion to the directly factual.“ (G. K. Jenkins, Ancient Greek Coins, 2. revidierte Aufl., London 1990, S. 117f.).
Doch ganz gleich welches das wahre Anliegen des Tarasknaben nun auch gewesen sein sollte, die künstlerisch-stilistische Umsetzung dieser Bildkomposition ist absolut grandios und gehört zusammen mit dem überaus erhabenen klassischen Heraporträt der Münzvorderseite zu den größten Leistungen der antiken griechischen Numismatik. Sicher, das Heraporträt und der Delfinreiter des goldenen Hemistaters sind ebenfalls großartige Kunstwerke, allerdings reichen sie weder von der Komposition noch von der stilistischen Umsetzung derselben an jene des Goldstaters heran. Übrigens, die Numismatiker Arthur Houghton und Oliver Hoover stufen die Seltenheit dieser beiden Goldmünzen mit jeweils R 2 (2-25 Exemplare) ein.
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