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Wittes Großprojekt: Die Einführung des russischen Goldrubels

Über Nikolaus II., den letzten Zaren schrieb Sergej Graf Witte, sein früherer Finanzminister: „Es mangelte ihm an Selbstvertrauen, er war von einer gewissen Bescheidenheit, die ihn zögern ließ. Entscheidungen schob er immer wieder auf. […] Meistens erlag er dem Druck desjenigen, der Gelegenheit hatte, als letzter mit ihm zu sprechen.“ [1] Sein Gesamturteil fiel vernichtend aus: „Der Charakter seiner Majestät war die Wurzel allen Unglücks. Ein Herrscher, dem man sich nicht anvertrauen kann, der heute Dingen zustimmt, die er morgen ablehnt, ist unfähig, das Staatsschiff sicher zu lenken. Sein Hauptfehler war sein bedauerlicher Mangel an Willenskraft. Zwar ist er ein guter Mensch und auch nicht dumm, aber dieser Mangel disqualifiziert ihn völlig, schließlich ist er Alleinherrscher, absoluter Monarch des russischen Volkes. […] Er war für die bedeutende historische Rolle, die das Schicksal ihm auferlegt hatte, nicht geboren.“ [2]


Zar Nikolaus II. (1868–1918) im Kreise seiner Familie [Store norske leksikon]

Dass ein Mann der Tat wie Graf Witte das Land über einen Zeitraum von zehn Jahren an den Westen heranführen konnte, war dem Vater von Nikolaus II. zu danken. Dieser hatte ihn mit dem Ausbau der Eisenbahn beauftragt und am 8. August 1892 zum Finanzminister ernannt. Sein Sohn Nikolaus II. hatte Angst vor dem mächtigen Minister und und unterstützte ihn daher nach der Thronübernahme weiter. So gelang es Witte, eine lange vorbereitete Währungsreform durchzuführen. In seinen Memoiren schrieb der Graf darüber: „Die Einführung des Goldstandards war meine größte Leistung als Finanzminister. Dank des Goldstandards konnten wir die Kreditwürdigkeit Russlands festigen und es in den Finanzbeziehungen mit anderen europäischen Großmächten auf eine Stufe stellen.“ [3] Der Reform waren schwere Entbehrungen des russischen Volkes vorausgegangen. Mit den sogenannten „Hungerexporten“ waren die Goldreserven aufgestockt worden.


Sergej Witte (1849–1915). Porträt von Ilja Repin [Wikimedia, Tretjakow Galerie]

Witte erinnerte sich: „Glücklicherweise ließ sich der Kaiser, der volles Vertrauen in mich hatte, nicht durch eine negative öffentliche Meinung oder einen negativen Rat beeinflussen und unterstützte mich voll und ganz. Da ich, wie gesagt, nicht damit rechnete, die Währungsreform durch den Staatsrat zu bekommen, beschloss ich, sie durch den Finanzausschuss genehmigen zu lassen, der mich unterstützte, zum Teil, weil die Ernennungen in diesem Ausschuss weitgehend vom Finanzminister bestimmt wurden, zum Teil, weil die Mitglieder eine gewisse Kenntnis von Finanzfragen hatten. Als ich es für an der Zeit hielt, die Frage des Goldstandards zu einem Abschluss zu bringen, bat ich den Kaiser, den Ausschuss unter seinem Vorsitz zu versammeln und neben den Ausschussmitgliedern auch Großfürst Michael Nikolajewitsch und andere Mitglieder des Staatsrats einzuladen, die er für notwendig erachtete. Der Kaiser stimmte zu.“ [4]


37 ½ Rubel (100 Francs) von 1902. 900er Gold, 32,3 g, 34 mm

[Künker, Frühjahrs-Auktionen 333–336/6230]

Am 2. Januar 1897 trat der große Finanzausschuss unter dem Vorsitz des Zaren zusammen. In dieser Sitzung wurde der Beschluss gefasst, das Währungssystem zu reformieren, also den Goldstandard einzuführen. Am folgenden Tag wurde der Beschluss in einem Dekret verkündet. Die Wertstufen der neuen Goldmünzen orientierten sich am System der Lateinischen Münzunion. Der traditionellen Goldmünze „Imperial“ wurde ein Nennwert von 15 Rubel zugeordnet. Ihr Wert entsprach zwei französischen Standardmünzen zu 20 Francs. Zugleich kam ein halber „Imperial“ zu 7,5 Rubel in Umlauf, deren Wert einer französischen Standardmünze zu 20 Francs entsprach. Vereinzelt gab es auch Münzen zu 37,5 Rubel im Wert von 100 Francs. Millionenfach geprägt wurden die Drittelstücke eines „Imperial“ im Wert von fünf bzw. zehn Rubel. Die silbernen Rubelmünzen und ihre Teilstücke galten ebenso wie das Kupfergeld nur noch als Scheidemünzen.


15 Rubel (40 Francs) von 1897. 900er Gold, 12,9 g, 25 mm

[MA-Shops, Auktionen & Münzenhandel Dr. Christoph Stadler]

Der Reform folgte ein wirtschaftlicher Aufschwung: „Die Schaffung eines festen Standards zieht ausländisches Kapital an. Im Jahr 1890 wird es auf 200 Millionen Rubel beziffert und klettert im Jahr 1900 auf 900 Millionen. Mit diesem Geld belebt Witte die stark geschwächte Produktion im Land und entwickelt neue Industriezweige. Viele Unternehmen werden von französischen und belgischen Gesellschaften gegründet.“ [5]

Einflussreiche Kritiker des Ministers wandten sich jedoch gegen die Abhängigkeit von ausländischem Kapital. Im Jahr 1903 gelang es ihnen, den wankelmütigen Zaren auf ihre Seite zu ziehen: „Er beordert Witte nach Peterhof und redet eine Stunde lang mit ihm. Er gibt seine Zustimmung zu verschiedenen Projekten und teilt ihm ganz plötzlich mit, dass er beschlossen habe, den Posten des Finanzministers dem Direktor der Staatsbank, Pleske anzuvertrauen, eines integren Beamten, dem es jedoch an Weitblick mangelt.“ [6]


7 ½ Rubel (20 Francs) von 1897. 900er Gold, 6,4 g, 21 mm [MA-Shops, Künker am Dom]

Die folgenden Jahre waren von vielen Rückschlägen gekennzeichnet. Ein kräftezehrender Krieg gegen Japan im Jahre 1905 ging verloren. Der „Petersburger Blutsonntag“ im gleichen Jahr brachte die Herrschaft des Zaren ins Wanken. Reumütig holte der Herrscher seinen ehemaligen Minister zurück in die Regierung. Dem gelang es, das Land mit einem Kredit von 2,25 Milliarden Franc vor dem Ruin zu bewahren. Im Ersten Weltkrieg konnte er den unglücklich taktierenden Zaren jedoch nicht mehr retten. Russland verlor eine Schlacht nach der anderen. Im Februar 1917 war die Stimmung im Lande auf einem Tiefpunkt angelangt: „Die Schlangen, die sich im Morgengrauen vor Bäckereien, Kolonialwarenläden und Metzgereien bilden, werden immer länger. Im Handumdrehen sind die Läden leer und lassen ihre eisernen Gitter herunter. Es wird in Schaufenster eingebrochen und gestohlen, was noch übrig ist.“ [7]

Die große Revolution war da! Quellen

  1. Henry Toyat: Nikolaus II. – Der letzte Zar. Frankfurt/Main 1992, S. 74.

  2. Ebd.

  3. The Memoirs of Count Witte; New York 1990, S. 249.

  4. Ebs.

  5. Toyat, S. 64f.

  6. Ebd., S. 112.

  7. Ebd., S. 283.

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