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Seleukos II. Kallinikos und der stehende Apollon

Vergegenwärtigt man sich, dass Seleukos I. Nikator (312-281 v. Chr.) Apollon zu seinem Stammvater erklärt sowie zum Schutzpatron des Herrscherhauses erkoren hatte, ihm weiterhin im Wäldchen der Daphne – außerhalb von Antiocheia am Orontes – einen Tempel errichtet und mit einer Gold-Elfenbeinstatue Apollons ausgestattet hatte, dann wird verständlich, weshalb sein Sohn Antiochos I. Soter (281-261 v. Chr.) ausgerechnet diesen Gott auf die Rückseite seiner neuen Münzen setzte. Was das Rückseitenmotiv dieses neuen Münztyps angeht, so zeigt es den Delphischen Gott Apollon auf dem Omphalos (dem „Nabelstein“ des Apollon-Heiligtums in Delphi) nach links sitzend. Der Omphalos ist mit einem kunstvoll geflochtenen Netz bespannt. Auf ihm liegt der Tuchmantel (Himation) Apollons, der nur den rechten Oberschenkel des ansonsten völlig nackten Gottes bedeckt. Apollon stützt sich mit der Linken auf seinen Bogen und hält in der Rechten einen Pfeil, den er mit seinem Blick prüft.

Tetradrachmon Antiochos´ I. Soter (281-280 v. Chr. nach Houghton/Lorber; um 270-267 v. Chr. nach Newell), 16,88 g, Ø (Höhe Vs.) 28,15 mm, Münzstätte Seleukeia am Tigris. [Bildquelle: MA-Shops, Thierry Dumez Numismatique (F), Februar 2011].


Ob die erwähnte Gold-Elfenbeinstatue, die der berühmte Bildhauer Bryaxis von Athen für Seleukos I. schuf, allerdings das Vorbild für die Gestaltung der Münzrückseite war, kann heute niemand mehr sagen. Besagte Statue hat sich weder im Original noch in einer Kopie erhalten. Denkbar wäre es natürlich, zumal diese Rückseite, wie Otto Morkholm betont, zum Wappen der Seleukiden-Dynastie wurde – wenn man mal von den Münzen Seleukos II. absieht – und bis weit ins zweite vorchristliche Jahrhundert hinein alle Gold- sowie Silbermünzen und auch ein paar Bronzemünzen zierte.


Als Seleukos II. Kallinikos (246-225 v. Chr.) – er war der Sohn Antiochos´ II. Theos (261-246 v. Chr.), der Enkel Antiochos´ I. Soter und der Urenkel Seleukos´ I. Nikator – die Regierung im Seleukidenreich übernahm, prägte er zunächst in einigen wenigen Münzstätten noch Tetradrachmen und Drachmen mit dem auf dem Omphalos sitzenden Apollon. In Antiocheia am Orontes (der Hauptstadt) und den meisten übrigen Münzstätten seines Reiches (z. B. Ephesos, Sardeis, Smyrna, Laodikeia am Meer, Tarsos, Magnesia am Sipylos etc.) ging er jedoch daran, Münzen mit neuen Rückseiten zu verausgaben. Diese zeigen, wie im Falle der goldenen Statere, der silbernen Drachmen und einiger Bronzenominale, den leicht nach links stehenden nackten Gott Apollon, der seine Linke auf einen Bogen stützt und in seiner Rechten einen Pfeil hält, den er optisch begutachtet.

Seleukos II. Kallinikos. Stater (um 246-225 v. Chr.), Gold, 8,52 g, Ø 19 mm. Münzstätte Antiocheia am Orontes. [Bildquelle: Roma Numismatics Ltd., Auktion XVI. (26. September 2018), Los 393].

Seleukos II. Kallinikos. Drachme (ab 244-226 v. Chr.), Silber, 4,18 g, Ø 19 mm. Münzstätte Antiocheia

am Orontes. [Bildquelle: Classical Numismatic Group – Triton, Auktion XXIV (19. Januar 2021), Los 756].

Seleukos II. Kallinikos. Bronzenominal C (ab 244-226 v. Chr.), Bronze, 4,05 g, Ø 18 mm.

Münzstätte Sardeis oder Antiocheia am Orontes. [Bildquelle: Ma-Shops, Dr. Busso Peus Nachfolger].


Auf dem Tetradrachmon, dem größten Silbernominal, erscheint rückseitig zwar ebenfalls der nackt stehende Apollon mit Pfeil in seiner Rechten, allerdings stützt er seine Linke nicht mehr auf einen Bogen, sondern ruht mit dem linken Ellbogen oder Unterarm auf seiner heiligen Gerätschaft, dem Dreifuß.

Seleukos II. Kallinikos. Tetradrachmon (um 246-225 v. Chr.), Silber, 16,60 g, Ø 31 mm. Münzstätte Teos (?). [Bildquelle: Classical Numismatic Group, Auktion 109 (12. September 2018), Los 235].

Seleukos II. Kallinikos. Tetradrachmon (um 244 v. Chr.), Silber, 17,24 g, Ø 28 mm. Münzstätte Antiocheia am Orontes. [Bildquelle: Jean Elsen & ses Fils S. A., Auktion 138 (8. September 2018), Los 132].

Seleukos II. Kallinikos. Tetradrachmon (um 227-226 v. Chr.), Silber, 16,22 g, Ø 29 mm,

ungesicherte Münzstätte im Osten. [Bildquelle: Nomos AG, Auktion 22 (22. Juni 2021), Los 246].


Dieses Rückseitenmotiv mit dem stehenden und gegen seinen Dreifuß gelehnten Apollon gibt es aber auch auf etlichen Goldstateren aus Syrien, Mesopotamien oder Ekbatana sowie auf einigen Silberdrachmen aus Magnesia am Maiandros, Tarsos, Nisibis, Seleukeia am Tigris und Kilikien.


Vergleicht man die abgebildeten Tetradrachmen miteinander, so fällt auf, dass Seleukos uns darauf recht unterschiedlich begegnet. So erscheint er sowohl völlig glatt rasiert als auch mit leichtem Backenbart sowie mit Vollbart. Die vollbärtigen Porträts, die es sowohl mit längerem als auch mit kürzerem Bart gibt, stellen allerdings eine Ausnahme dar, da sie größtenteils aus Nisibis (Mesopotamien) und einigen ungesicherten Münzstätten aus dem Osten des Reiches stammen.


Aber wenn Seleukos II. dem Stammvater und Schutzpatron des Seleukidenhauses letztlich treu blieb, warum beließ er es dann nicht bei dem angestammten Münzmotiv des auf dem Omphalos sitzenden Gottes, das schon sein Vater und Großvater auf ihren Münzen verwandt hatten, und zog diesem den stehenden Apollon vor? Wollte er einfach nur mit einem neuen, noch nie dagewesenen Apollonmotiv herausstechen oder steckte vielleicht ein ganz besonderer Grund dahinter? Folgt man zur Beantwortung dieser Frage dem Numismatiker Oliver D. Hoover, dann könnte der Wechsel zur stehenden Apollon-Typologie damit zusammenhängen, dass sein Bruder und Feind Antiochos Hierax auf seinen Münzen stets den auf dem Omphalos sitzenden Apollon verwendete. „The shift to the standing Apollo typology may be related to the regular use of seated Apollo for the coinage of his brother and enemy, Antiochos Hierax.“ (Oliver D. Hoover: The Handbook of Greek Coinage Series, Volume 9, Handbook of Syrian Coins, Lancaster / London 2009, S. 58). Hierzu muss man wissen, dass Seleukos II. seinen Bruder Antiochos Hierax zu seinem Stellvertreter für die kleinasiatischen Besitzungen eingesetzt hatte, als er die Angriffe Ptolemaios III. während des 3. Syrischen Krieges (246-241 v. Chr.) im Osten des Reiches abwehren musste. Antiochos Hierax aber nutzte die Gunst der Stunde, schwang sich zum König der kleinasiatischen Besitzungen auf und führte nach der Rückkehr seines Bruders sogar Krieg gegen diesen (239-235 v. Chr.). Zudem prägte er silberne Tetradrachmen und Drachmen mit dem auf dem Omphalos sitzenden Apollon. Dass sich Seleukos II. mit seinen neuen Apollon-Münzen folglich nur von denen des Hierax abheben wollte, ist in Anbetracht der erwähnten Fakten eine durchaus plausible These.

Die Seleukidenkönige, die auf Seleukos II. Kallinikos folgten, kehrten in der Gold- und Silberprägung allerdings zum ursprünglichen Bildmotiv des Apollon auf dem Omphalos zurück, so dass das Münzmotiv mit dem stehenden Apollon nur ein Intermezzo in der seleukidischen Numismatik darstellt.


Michael Kurt Sonntag


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