Potosí heute: Silberabbau unter Lebensgefahr
- Dietmar Kreutzer

- vor 3 Tagen
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Seit dem 16. Jahrhundert versorgte der Cerro Rico, der 800 Meter hohe Silberberg von Potosí, den europäischen Kontinent mit Bargeld aus Silber. Heute sind die Vorräte weitgehend erschöpft. Doch noch immer arbeiten 12.000 Menschen in den einsturzgefährdeten Schächten. Auf der Suche nach Silber und ZInn holen sie täglich 4.000 Tonnen Gestein aus dem Berg. Es ist eine Zeitbombe! Ein Reporter der ZEIT kletterte mit einer Gruppe illegaler Bergarbeiter in die Schächte.

Mineros am Cerro Rico
Bildquelle: Sentinel
Der Fluch des Silberbergs heißt eine Reportage des ZEIT Magazins im Dezember: "Seine Schätze machten Europa reich. Seit Jahrhunderten wird der Cerro Rico in Bolivien ausgebeutet. Nun beginnt der Berg einzustürzen, doch noch immer arbeiten Tausende in ihm." Der Reporter Martin Nejezchleba und der Fotograf Manuel Seoane begleiteten Bergleute in eine Mine, die so hoch auf dem Cerro Rico liegt, dass die Arbeiten dort wegen Einsturzgefahr verboten sind. Mit Schaufeln und Pickeln bewaffnet, ziehen die Männer der Berg hoch. Dann geht es durch eine der Öffnungen ins Innere, bis zu 900 Meter tief. Sie setzen Sprengladungen an, schippen loses Gestein in einen Schacht. Am unteren Ende des Schachtes sammeln es zwei Kameraden auf und befördern es mit Karren ans Tageslicht. Doch der von 500-jähriger Arbeit durchlöcherte Berg ist akut einsturzgefährdet. Beim Herabsteigen zeigt einer der Männer auf Risse im Boden: "Das ist das letzte Mal, dass ich hier oben bin." Immer wieder gibt es Tote beim Einsturz der Gänge. Draußen wird schließlich das Gestein zerkleinert, um das Silber zu extrahieren. Am Ende der Schicht haben die illegalen Bergleute zwanzig Wagen mit Gestein gefüllt. Das ergibt 45 Euro pro Person. In einem Land, in dem der Durchschnittslohn bei 350 Euro liegt ist das eine Menge Geld!

Potosí mit Cerro Rico einst
Bildquelle: Picryl

Potosí mit Cerro Rico heute
Bildquelle: Wikimedia, Cazas
Das Silber im Cerro Rico bei Potosí war im Januar war im Januar 1545 entdeckt worden, angeblich von einem Lama-Hirten, der in einer Höhle übernachtet hatte. Sein Lagerfeuer hatte der Legende nach mehrere Klumpen Silber aus Wand und Decke der Berghöhle ausgeschmolzen. Die spanischen Kolonialherren begannen unmittelbar danach mit der Ausbeutung des ungewöhnlich silberreichen Gesteins. Ein Teil der Indios aus der Umgebung wurde zur Mita verpflichtet, einem 18-monatigen Frondienst. Einige der Mitayos hatten in einer 36 Stunden dauernden Schicht mit einem schweren Schlägel und Meißel das Erz aus dem Gestein zu schlagen, in der stockdunklen Mine bei Kerzenlicht! Andere schaufelten es in Ledersäcke, um es auf Strickleitern bis zu 400 Meter nach oben zu bringen. Außer den erzgefüllten Ledersäcken musste die Schlepper immer wieder tote Kamerden aus den Schächten holen. Auf dem Rücken von Maultieren brachte man sie zu einem Berghang und warf sie in die Schlucht. Aasgeier besogten den Rest. Im Durchschnitt starben anfangs 150 Mitayos pro Tag. Der Lohn für die Zwangsarbeit betrug 18 Pesos pro Jahr. Brutto! Abgezogen wurden acht Pesos Kopfsteuer, und 2,25 Pesos für Kleidung. Von den übrigen 7,75 Pesos ging noch der Kirchenzehnt ab.

Casa de la Moneda in Potosí
Bildquelle: Wikimedia, Elemaki
Am Fuß des Berges wurde die Casa de la Moneda errichtet, die königliche Münze. Indios und Sklaven aus Afrika haben sie gebaut. Sie bedienten auch die Göpelwerke der Walz- und Prägemaschinen. Einer Volkszählung zufolge hatte allein vom Silber lebende Stadt Potosí zu Beginn des 17. Jahrhunderts sagenhafte 160.000 Einwohner. Die kleine Oberschicht der Spanier lebte aus dem Ertrag der etwa 5.000 Silberminen in Saus und Braus. Von dem gewonnenen Silber hatten sie ein Fünftel an den König abzugeben, weitere 1,5 Prozent als Probe und Stempelgebühr. Der Rest des Metalles gehörte ihnen. Dementsprechend luxuriös ging es unter den Minenbetreibern zu. Für den Fronleichnamszug des Jahres 1658 wurden die Pflastersteine der Straße, die von der Hauptkirche zur Iglesia dos Recoletos führt, herausgerissen und durch Silberbarren ersetzt. Die Häuser in den vornehmen Vierteln erhielten eine Verkleidung aus Silberplatten. Am Stadtrand hauste das Gros der Indios in elenden Hütten. Viele von ihnen waren durch die Arbeit in den Bergwerken teilweise verstümmelt oder durch das die Gesundheit schädigende Amalgamieren des Silbers erblindet. Im 18. Jahrhundert war nur noch wenig Silber im Berg zu finden. Die Erträge sanken rapide. Im Jahr 1890 lebten hier nur noch 12.000 Einwohner.

Mineros im Cerro Rico
Bildquelle: Wikimedia, Backer
Heute hat die Stadt etwas 220.000 Einwohner. Im ersten Halbjahr 224 wurden 628 Tonnen Silber in Potosí und Umgebung gefördert. Die Betreiber der Bergwerke sind in gemeinnützigen Kooperativen zusammengeschlossen. Der sozialistische Anstrich hat jedoch keine wirksamen Sicherheitsmaßnahmen zur Folge. Der unkontrollierte Erzabbau führt zu immer mehr Einsturzstellen. In den zehn Monaten bis Oktober 2025 waren etwa hundert Tote in den Minen zu beklagen. Das kommt nicht von ungefähr. Der Abbau oberhalb einer Höhe von 4.400 Metern ist eigentlich verboten. Praktisch gehet er jedoch weiter. Wegen der besonders silberhaltigen Gesteins ganz oben werden die regulären Arbeiter in den Minen einfach möglichst weit nach oben geschickt. Viele Arbeiter klettern zudem auf eigene Faust hinauf, um ihren persönlichen Ertrag zu steigern. Zur Beruhigung des amtlichen Gewissens wird der Berg von den Kooperativen von oben mit Schutt verfüllt. 1.500 Tonnen werden pro Tag abgekippt. Doch was oben hineingeschüttet wird, kommt unten wieder heraus. Etwa 4.000 Tonnen erzhaltiges Gestein werden täglich gefördert! Hernán Rios, Geologe an der Universität von Potosí: "Bis zum großen Kollaps sind es noch fünf, vielleicht sechs Jahre." Dann sei der große Cerro Rico in sich zusammengefallen.
Dietmar Kreutzer




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