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Dietmar Kreutzer

Pariser Hungerjahre: Hemingway und das Geld

Im Dezember 1921 zog Ernest Hemingway mit seiner Frau und dem kleinen Sohn nach Paris. Fast mittellos, wollte er die Stadt und ihre Künstler kennenlernen. Kurz vor seinem Tod erinnerte er sich jener Jahre: „Paris hat kein Ende, und die Erinnerung eines jeden Menschen, der dort gelebt hat, ist von der jedes anderen verschieden. (…) Paris war es immer wert, und man bekam den Gegenwert für alles, was man hinbrachte. Aber so war das Paris unserer ersten Jahre, als wir sehr arm und sehr glücklich waren.“ (Ernest Hemingway, Paris – ein Fest fürs Leben, Reinbek 1971, S. 123).


In der Dachkammer des Hauses, in dem Paul Verlaine gestorben war, versuchte er zu arbeiten. Doch es war zu kalt und zu zugig, und für Holz hatte er kein Geld. Also setzte er sich in ein gut geheiztes Café und schrieb dort seine Geschichten. Hatte er eine Seite seines Notizbuches gefüllt, ließ er den Blick durchs Lokal schweifen. „Ein Mädchen kam ins Café, und setzte sich allein an einen Tisch dicht am Fenster. Sie war sehr hübsch, ihr Gesicht frisch wie eine neugeprägte Münze, falls man Münzen aus glattem Fleisch und vom Regen erfrischter Haut prägte, und ihr Haar war schwarz wie ein Krähenflügel und knapp und schräg über der Wange gestutzt.“ (Ebenda, S. 8).


An der Rue de l’Odeon lag seine bevorzugte Buchhandlung. Die Inhaberin nahm die Post für den jungen Mann entgegen. Als sie sah, dass Hemingway wieder nichts gegessen hatte, hielt sie den Geldbrief eines deutschen Verlegers namens Wedderkop hoch, der eben gekommen war: „Es sind sechshundert Francs. Er schreibt, es kommt mehr.“ Hemingway war nicht sonderlich optimistisch: „Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich was verkaufen kann. An ihn und die Frankfurter Zeitung.“ Die Buchhändlerin machte ihm Mut. Er könne doch seine Geschichten an Ford verkaufen. Hemingway: „Dreißig Francs die Seite. Sagen wir eine Geschichte alle drei Monate in The Transatlantic. Eine Geschichte von fünf Seiten macht einhundertundfünfzig Francs im Vierteljahr. Sechshundert Francs im Jahr.“ (Ebenda, S. 43).


Davon konnte man jedoch weder leben noch sterben. Frankreich hatte zwar den Krieg gegen Deutschland gewonnen. Doch das Land, das vier Jahre lang Kriegsschauplatz war, lag am Boden. Die Kaufkraft des Franc war auf ein Fünftel gesunken. Die Silbermünzen der Vorkriegszeit waren durch Stücke der Handelskammern aus Alu-Bronze ersetzt worden. Nicht weniger als elf Regierungen mühten sich zwischen März 1924 und Juli 1926 um eine Stabilisierung der Währung. Hemingway versprach dennoch, etwas zu essen.


Von den Honoraren konnte der Autor nach einiger Zeit etwas zurücklegen. So konnte er mit seiner Frau Hadley und dem Sohn Jack für einmal nach Vorarlberg in Österreich fahren: „Die Pension kostete für uns drei ungefähr zwei Dollar am Tag, und da der österreichische Schilling durch die Inflation fiel, kosteten das Zimmer und Essen immer weniger. Es war keine schreckliche Inflation und Armut, wie sie in Deutschland gewesen war. Der Schilling ging rauf und runter, aber im längeren Verlauf runter.“ (Ebenda, S. 115).


Dieses Schicksal der Inflation traf nicht nur Länder, die im Krieg unterlegen waren und Gebietsverluste beziehungsweise Reparationen zu bewältigen hatten. Verglichen mit dem Niveau der Vorkriegszeit stiegen die Preise in Österreich um das 14.000-fache, in Ungarn um das 23.000-fache, in Polen um das 2.500.000-fache, in Russland um das 4.000.000.000-fache und in Deutschland um das 1.000.000.000.000-fache. In Deutschland war der Spuk im November 1923 mit der Einführung der Rentenmark im Wert von einer Billion Mark des alten Geldes zu Ende. Österreich konnte seine Währung zum 1. Januar 1925 mit dem Übergang von der Krone zum Schilling stabilisieren. Das Wechselverhältnis zur Papierkrone betrug 1 zu 10.000.


Während der Jahre in Paris versuchte Hemingway nicht nur, seine Kurzgeschichten in Zeitschriften unterzubringen. Er arbeitete zudem an Fiesta, seinem ersten Roman. Hatte er sein Tagespensum geschafft, traf er Freunde wie Gertrude Stein, James Joyce und Scott Fitzgerald. Letzterer schrieb ebenfalls Kurzgeschichten. Um sie in Zeitschriften zu platzieren, veränderte er sie nach dem Geschmack des Publikums. Hemingway: „Ich war empört darüber, und ich sagte ihm, ich hielte das für Hurerei. Er sagte, es sei Hurerei, aber er müsse es tun, weil er das Geld von den Zeitschriften brauche, um dann Geld zu haben, anständige Bücher zu schreiben.“ (Ebenda, S. 88).

Eines Nachmittags lernte Hemingway Ernest Walsh (1895-1926) kennen, einen renommierten amerikanischen Dichter. Mit einer Limousine samt Chauffeur war dieser vor dem Atelier von Ezra Pound vorgefahren. In seiner Begleitung befanden sich zwei Blondinen in Nerzmänteln. Eines der Mädchen zeigte Hemingway eine Ausgabe von Poetry. A Magazine of Verse mit Gedichten des Poeten: „Er bekommt zwölfhundert Dollar pro Stück“, sagte sie. „Für jedes Gedicht“, sagte das zweite Mädchen (Ebenda, S. 70). Hemingway erinnerte sich, dass er von derselben Zeitschrift zwölf Dollar pro Seite bekam, wenn nicht sogar weniger. Was könnte man nicht alles tun, wenn man tausend Dollar hätte? „Das war in jenen Tagen eine Riesensumme für einen ernsthaften Schriftsteller. (…) Zwei Menschen konnten damals in Europa gut und bequem von fünf Dollar pro Tag leben – und reisen.“ (Ebenda, S. 71).


Dies war nicht weiter verwunderlich. Als Siegermacht des Weltkrieges hatten die Vereinigten Staaten von Waffenlieferungen an ihre Verbündeten in Europa profitiert. Bezahlt wurden die Waren in Gold. So war der Dollar zum Maß der Dinge geworden – weltweit. Schon im Jahr 1919 konnten die USA zur Goldparität des Dollars aus der Vorkriegszeit zurückkehren. Ein Jahr später wurde die Prägung von Goldmünzen zu zehn und zwanzig Dollar wieder aufgenommen. Anno 1921 kam schließlich der Peace-Dollar heraus, der an das Ende des Krieges erinnerte.


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