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Modernes Antiquariat: Maghrebinische Geschichten von Gregor von Rezzori

Mit seinen Maghrebinischen Geschichten wurde der Schriftsteller Gregor von Rezzori einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg weithin bekannt. Anhand zahlreicher satirischer Anekdoten schilderte der Autor die Schlitzohrigkeit der Bewohner des Landes, bei denen es sich zumeist um "Schlawiner" und "Schnorrer" handelt. Das Währungsystem von Maghrebinien erläuterte Gregor von Rezzori anhand des örtlichen Markttreibens. Die besten Mädchen des Landes seien angeblich auf den Märkten der Hauptstadt Metropolsk im Angebot. Sie hätten Augen, so schön wie Kirschen, und Zähne wie Schnee. Ihre Lippen seien wie das Fleisch eines Granatapfels: "Man kann, besonders für die fetten unter ihnen, bis zu hundertfünfzigtausend Lewonzen (das ist soviel wie 60 Millionen Parale oder sieben Milliarden walachischer Gologanij - also etwa 34 DM) pro Stück von den Mädchenhändlern in Metropolsk erzielen." (1) Numismatiker schlussfolgern daraus, dass 400 Parale in diesem Lande auf eine Lewonze kommen. Der "walachische Gologan" war jedoch nur der Bruchteil einer Lewonze.


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Gregor von Rezzori: Maghrebinische Geschichten

Rowohlt Verlag, Hamburg 1958

Bildquelle: Booklooker


Dem Namen nach müsste der Fantasiestaat Maghrebinien irgendwo in Nordafrika liegen. Den Worten des Autors zufolge ist dies aber keineswegs der Fall: "Ich berichte ihnen hier von dem sehr großen und ruhmreichen Lande Maghrebinien. Sie werden es vergeblich auf der Karte suchen. Es ist in keinem Atlas eingezeichnet und auf keinem Globus zu finden." (2) Pedanten könnten versucht sein, das Land auf dem Balkan anzusiedeln. Aber auch das ist seiner Situation nicht angemessen: "Denn die wahren, die eigentlichen Grenzen Maghrebiniens liegen im Herzen und der Seele seiner Menschen. Und Pedanten wissen nichts vom Herzen und der Sele eines Menschen." (3) Dennoch lassen sich zahlreiche Hinweise auf die Vorbilder der Akteure finden. König Nikifor XIII. hat große Ähnlichkeit mit König Nikola I. von Montenegro (1841-1921). Die um die Herrschaft im Lande konkurrierenden Geschlechter der Kantakukuruz und der Pungaschij erinnern an die erbitterte Feindschaft der serbischen Dynastien der Obrenović und der Karađorđević, die das Land am Ende des 19. Jahrhunderts regierten. Nicht von ungefähr trägt Nikifor, der König des ruhmreichen Landes, den Beinamen Karakriminalowitsch.



10 Perpera (Montenegro, 1910, Gold) mit dem Porträt von König Nikola I.

Bildquelle: Numista, Heritage Auctions


Auch die Währungsbezeichnungen sind im Balkan verankert. Der zur "Lewonze" verhunzte Lew (Mehrzahl: Lewa) ist seit 1881 die Währungseinheit von Bulgarien. Der Para (Mehrzahl: Parale) ist eine ehemals osmanische Währungseinheit, die auch in den Balkan-Provinzen verwwendet wurde. Nach deren Unabhängigkeit fungierte er in Serbien als Scheidemünze des Dinars, in Montenegro als Scheidemünze des Perper. Ein "walachischer Gologan" hat dagegen nie existiert, jedenfalls nicht als Münze. Nach der Unabhängigkeit von Bulgarien wurde eine Scheidemünze zu zehn Stotinki im Wert eines zehntel Lew allerdings umgangssprachlich als Gologan bezeichnet.



20 Lewa (Bulgarien, 1894, Gold) als Vorbild der maghrebinischen "Lewonzen"

Bildquelle: ESG Edelmetall-Service


In Kapitel 19 der Maghrebinischen Geschichten heißt es in der Überschrift, dass der Leser lernen könne, wie einem jungen Pfirsichhändler in Maghrebinien die Einsicht in das Verhältnis von Angebot und Nachfrage reife. Eine junge Witwe hatte vom Balkon ihres Palastes den lockigen Knaben erblickt, der wie der junge David gewachsen war. Sie rief ihn zu sich herauf und fragte, was seine Pfirsiche kosteten: "Einen Para das Dutzend", war die Antwort. "Das ist billig", meinte die schöne Frau. "Ich will dir einen Golgan fürs halbe geben. Aber sicherlich bis du müde und hungrig von deinem Weg durch die Straßen mit dieser Last. Hebe sie darum von den Schultern deiner süßen Jugend und setze dich zu mir, auf dass wir speisen und vom gewürzten Weine trinken, dann wollen wir uns legen und ein wenig ruhen." (4) In der folgenden Stunde entsprach der junge Mann allen Wünschen seiner Gastgeberin, ohne Ausnahme. Im Anschluss daran erhielt er den versprochenen Gologan und die vollen Körbe mit den Pfirsichen obendrein. In tiefer Einsicht in das Verhältnis von Angebot und Nachfrage habe der Pfirsichhändler daraufhin nicht mehr Früchte, sondern eigene Dienstleistungen feilgeboten.



Gologan (10 Stotinki, Bulgarien, 1881, Bronze)

Bildquelle: uCoin


Finanzminister war Jaroslaw Kleptomanowitsch Kleptomanow. Aus alter Tradition bereicherte er sich schamlos in seinem Amt. Zu den Sitten des Landes gehörte es daher, dass der Minister einmal im Jahr, nämlich am Tag des Heiligen Demetrius Korrumpides, öffentlich durchgeprügelt werden musste: "Diese Zeremonie wurde unter großem Aufwand vollzogen und gehörte zu den wichtigsten Staatsakten des ehemaligen Königreichs." (5) Das Projekt einer Währungsreform zugunsten einer harten Landeswährung ist dem aus der rumänischen Bukowina stammenden Autor der Maghrebinischen Geschichten von seinem Onkel angeblich kindgerecht auf folgende Weise erklärt worden: "Die Lewonze wird stabilisiert." Auf Nachfrage erklärte der Onkel den geplanten Akt anhand eines Beispiels genauer. Er fragte den Bub: "Wieviel besitzest du?" Der Neffe antwortete: "Nichts." Da sprach sein Onkel: "Siehst du. Nach der Stabilisierung der Lewonze wirst du das gleiche in gutem Gold besitzen." (6)


Dietmar Kreutzer


Quellenangaben:

(1) Gregor von Rezzori: Maghrebinische Geschichten; Hamburg 1958, S. 75

(2) Ebenda, S. 7

(3) Ebenda

(4) Ebenda, S. 95

(5) Ebenda, S. 144

(6) Ebenda

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