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Mark Twain auf dem Mississippi: Das Gold der Spieler

Vier Jahre lernte Mark Twain auf einem Mississippi-Dampfer den gefahrvollen Beruf eines Lotsen. In einem autobiografischen Bericht fing er das bunte, abenteuerliche Treiben auf dem riesigen Fluss ein, der vor dem Bau der Eisenbahnlinien innerhalb der Vereinigten Staaten für eine Beförderung über ausgedehnte Strecken sorgte. Dabei schilderte der große Erzähler aufregend-kuriose Szenen und absonderliche Charaktere. Ein College-Professor erzählte ihm damals, was er als Landvermesser erlebt hatte, der auf einem der Dampfer unterwegs war: "An Bord gab es drei Berufsspieler - grobe, abstoßende Kerle. Ich sprach nie mit ihnen, konnte aber nicht umhin, sie ziemlich häufig zu sehen, denn sie spielten jeden Tag und jede Nacht in einem Salon des Oberdecks." (1) Während der Reise freundete er sich mit John Backus an, einem Viehzüchter aus dem Innern Ohios. Dieser vertraute ihm an, dass er für seine Rinder auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück in Kalifornien sei: "Ich hab mir 'n paar Jahre mühselig mein Geld abgeknapst, es zusammengekratzt und zurückgelegt, und hab alles hier bei mir. Er schloss einen alten, mit Fell überzogenen Koffer auf, warf ein Chaos von schäbigen Kleidungsstücken beiseite und zog für einen Augenblick einen kleinen prallen Beutel heraus; dann begrub er ihn wieder und schloss den Koffer ab. Er dämpfte vorsichtig seine Stimme und fuhr leise fort: Ist alles hier - runde zehntausend Dollar in Goldjungs." (2) Der Vermesser hoffte von diesem Moment an, dass der unbedarft wirkende Landwirt nicht den gerissenen Spielern in die Hand fallen möge. Doch einige Tage später sah er ihn, schon halb betrunken, an deren Tisch sitzen.


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Mark Twain (1835-1910)

Bildquelle: Needpix


Dass im 19. Jahrhundert das Glücksspiel auf den Dampfschiffen grassierte, ist historisch verbürgt. Die Reise erstreckte sich über viele Tage. Um sich die endlos dahinschleichende Zeit zu vertreiben, zogen einige Passagiere ihre Pokerkarten heraus, welche sie griffbereit in der Tasche stecken hatten. Auf manchen Schiffen wurden Spieler vom Kapitän zwar kurzentschlossen über Bord geworfen. Doch auf den meisten Dampfern war das Spiel erlaubt. Es war die Zeit, in der professionelle Falschspieler und Kartenzinker ihr Unwesen trieben und den Viehzüchtern und Baumwollbaronen die Barschaft mitsamt der goldenen Taschenuhr und der diamantenen Krawattennadel abzockten. Einer der berühmtesten war Canada Bill, der für spätere Film-Charaktere Hollywoods Pate stand und den sein Komplize George Devol in seinen Erinnerungen anerkennend so beschrieb: "Er besaß eine quietschende Knabenstimme, unbeholfene, linkische Manieren und hatte eine Art törichte Fragen zu stellen, die jedermann glauben machte, dass er der krasseste Tölpel, der unerfahrenste Bauernfünfer sei. Doch wehe dem Mann, der sich mit ihm einließ." (4) Die große Zeit der Riverboat-Spieler dauerte allerdings nicht sehr lange. Dann verlegten Devol, Canada Bill oder der stets tadellos wie aus dem Ei gepellte Doc Braggs ihr Geschäft auf die zwischen der Ostküste und Kalifornien verkehrenden Eisenbahnen.


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Illustration aus der Erstausgabe Life on The Mississippi von Mark Twain (1883)

Bildquelle: James R. Osgood and Company


Mit welchen Münzen um 1840 auf den Dampfern gespielt worden ist, lässt sich der Fachliteratur entnehmen. Das einheimische Silber war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA unterbewertet. Die schweren Silberdollars wanderten daher ins Ausland ab. Ihre Prägung wurde zeitweilig eingestellt. Das Wertverhältnis der Metalle musste daher 1834 korrigiert werden: "In diesem Jahr verminderte man den Feingehalt des Eagle und der anderen Goldmünzen so, dass sich zum Silberdollar ein Wertverhältnis der Edelmetalle von 16 zu 1 ergab, auch nahm man die Herstellung von Silberdollars wieder auf. Aber nun hatte man das noch immer bestehende allgemeine Wertverhältnis von 15,5 zu 1 nach der anderen Seite missachtet: Jetzt war das Gold zu billig und die neuen Silberdollars flossen mit den spanischen Piastern ab, die noch einigermaßen ihren Fuß hielten; es blieben nur die ganz abgenützten. Langsam kam das Land nun zur faktischen Goldwährung, denn jetzt war die Prägung von Goldmünzen lohnend." (5) Als Wertspeicher dienten Goldmünzen, insbesondere die höchste Wertstufe des Eagle zu zehn Dollars. Die Eagles lagen bei hohen Einsätzen auch oft auf den Spieltischen der Dampfschiffe. Die in insgesamt in drei Wertstufen verfügbaren Goldmünzen wurden ebenso als Zahlungsmittel für größere Anschaffungen genutzt. Hierfür wurden nicht nur die Eagles verwendet, sondern auch Halb-Eagles zu fünf Dollars sowie Viertelstücke zu 2,5 Dollars.


Eagle (10 Dollars, USA, 1840, 900er Gold, 16,7 Gramm, 27 mm)

Bildquelle: Numismatic Guaranty Company


Doch wie ging bei Mark Twain die Geschichte um den arglosen Landwirt John Backus und die drei auf eine billige Abzocke scharfen Spieler aus? Das Spiel hatte scheinbar harmlos eingesetzt: "Das Bieten begann. Bis jetzt waren die Summen geringfügig gewesen - ein, zwei Dollar -, aber Backus fing nun mit einem Zehn-Dollar-Goldstück an." Die Banditen frohlockten: "Jetzt ließen sie alle Diplomatie und jeden Schein beiseite, scharf und schnell kamen die Ausrufe, und die gelbe Pyramide wuchs höher und immer höher. Zum Schluss lagen zehntausend Dollar vor aller Augen." Backus hievte seinen Beutel mit der "Goldmunition" auf den Tisch. Fünftausend Dollar waren gesetzt! Sein Gegenspieler deckte vier Könige auf und legte bereits die Arme um die Stapel von Münzen. Da schleuderte Backus vier Asse auf den Tisch. Einen Moment später hatte sein Gegenspieler einen Revolver vor der Nase. Die Stimme von Backus erschallte wie Donner: "Ich bin selber Berufsspieler und habe euch Stümpern die ganze Fahrt über aufgelauert." (3) Einer der drei anderen Berufsspeler war sein Kumpan. Als er die Karten gab, hatte er Backus die drei Asse zugespielt. Das Duo der Gegenspieler hatte verloren!


Dietmar Kreutzer


Quellenangaben:

(1) Mark Twain: Leben auf dem Mississippi, Berlin 2001, S. 250

(2) Ebenda, S. 252

(3) Twain, S. 255

(4) Wolfgang Koydl: Die goldene Gans am Mississippi; in: Süddeutsche Zeitung, 19.05.2010

(5) Herbert Rittmann: Moderne Münzen; München 1974, S. 102

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