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Letzter Obolus: Die großen Schicksalsschläge

Die zwölf Geschichten, die der kolumbianische Nobelpreisträger Gabriel García Márquez über die Erlebnisse von Südamerikanern in Europa erzählt, beruhen auf wahren Begebenheiten. Da ist der abgehalfterte Staatspräsident, der bei Landsleuten in der reichen Schweiz um Geld bettelte, um eine lebenswichtige Operation zu bezahlen: „Alle Welt weiß, dass er sich mit dem Gold der Regierung davongemacht hat und der reichste Exilant auf Martinique ist.“ [1] Da ist der Graf von Cardona, der seit Jahrzehnten denselben Obolus bei einer Prostituierten in Barcelona entrichtete: „Bevor er ging, immer getrieben von der heranrückenden Mitternacht, legte der Graf fünfundzwanzig Pesetas unter den Aschenbecher im Schlafzimmer. Das war der Preis von María dos Prazeres, als er sie in einem Stundenhotel des Paralelo kennengelernt hatte, und das einzige, was nicht vom Rost der Zeit angegriffen worden war.“ [2] Und da ist Prudencia Linero, die sich auf die weite Reise nach Rom begab, um vom Papst empfangen zu werden. Ein Priester hatte ihr verraten: „Der Papst mache Urlaub in Castelgandolfo und empfange jeden Mittwochnachmittag Pilger aus aller Welt in öffentlicher Audienz. Der Eintritt sei gar nicht teuer: zwanzig Lire.“ [3]


Gabriel García Márquez (1927–2014) [Wikimedia, Malaparte]


Der Numismatiker findet in diesen Geschichten nicht nur große Schicksalsschläge, die einfachen Menschen begegnen können, sondern auch Geschichten rund um das Geld. Die drei oben genannten Geschichten spielen in der Schweiz, in Spanien und Italien. Alle drei Länder hatten vor dem Ersten Weltkrieg praktisch dieselbe Währung. Der Schweizer Franken und die Lira waren damals nämlich gleichwertig und in der Lateinischen Münzunion verbunden. Die teilnehmenden Länder hatten einen gemeinsamen Umlauf von Gold- und teilweise auch Silbermünzen. Spanien gehörte zwar nicht zu den Mitgliedsstaaten dieses Verbundes. Die Peseta hatte allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Münzfuß der Union übernommen.


In den darauffolgenden Jahrzehnten entwickelten sich die genannten Währungen jedoch äußerst unterschiedlich. Von den Weltkriegen quasi unberührt, bewahrte der Schweizer Franken viel von seinem Wert. Zwischen 1929 und 1936 gelang es der Schweiz sogar, den Goldstandard der Vorkriegsjahre wiederherzustellen. Und auch danach hielt sich der Wertverlust in Grenzen: „Die Nationalbank war seit 1936 lediglich aufgefordert, die Goldparität des Schweizer Franken bei einem Wert zwischen 190 und 215 Milligramm Feingold zu halten.“ [4] Während der Silberspekulation vor 50 Jahren musste allerdings auch die Schweiz ihre silbernen Umlaufmünzen aus dem Verkehr ziehen: Der Silberwert hatte den Nennwert übertroffen. Dennoch blieb der Wert des Franken in all den Jahrzehnten relativ stabil.


Schweiz. 2 Franken von 1965. 835er Silber, 10,0 g, 27 mm [MA-Shops, Kölner Münzkabinett]


Das ganze Gegenteil traf auf die italienische Lira zu: Bereits zu Zeiten der Lateinischen Münzunion ein Sorgenkind, hatte sie nach dem Ersten Weltkrieg etwa 82 Prozent ihres Wertes verloren. Im August 1926 versprach der italienische Diktator Benito Mussolini die Lira „bis zum letzten Blutstropfen“ zu verteidigen. Doch Im Dezember 1927 musste er ihre Abwertung auf 79,19 mg Gold hinnehmen. Der Zweite Weltkrieg gab der Währung den Rest. Der Dollarkurs lag nach Kriegsende zunächst bei 500 Lire: „Am 30 März 1960 ließ Italien den neuen Kurs der Lira registrieren, die nun wieder stabil und für den Gebrauch im Ausland konvertibel war. Ihre Parität war nun auf 1,42 mg Feingold fixiert, was immer noch einem Dollarkurs von 625 Lire entsprach.“ [5] Als vertrauensbildende Maßnahme wurden ab 1958 neue Kursmünzen aus Silber geprägt. Die Stücke hielten sich aber nicht lange im Umlauf. Sie wurden gehortet. Ab 1968 kamen sie daher nur noch in veredelter Form und kleiner Auflage für Sammler heraus.


Italien. 500 Lire von 1958. 835er Silber, 11,0 g, 29 mm [MA-Shop, Kölner Münzkabinett]


Die spanische Peseta erlebte keinen so dramatischen Niedergang. Spanien war in den beiden Weltkriegen neutral geblieben. Die Weltwirtschaftskrise und der anschließende Bürgerkrieg hatten jedoch die Währung geschwächt: „Die Nationalisten tauschten 1939 nach ihrem Sieg die alten, vor Kriegsausbruch ausgegebenen Noten im Verhältnis 1 zu 1 in neue um und zogen die neueren der Republik (peseta roja) ohne Entschädigung ein. Alle Silbermünzen wurde für wertlos und ihr Besitz für strafbar erklärt. Die Bankguthaben wurden um 5 bis 90 v.H. gekürzt. So verminderte sich der Geldumlauf um zwei Drittel.“ [6] War eine Peseta im Jahre 1933 noch 4,2 g Silber wert, so waren es 1966 nur noch 0,15 g. Um das Vertrauen in die Währung zu stärken, kam 1966 ein silbernes 100-Peseten-Stück in den Verkehr. Inflationsbedingt wurde es aber bald durch eine gleichartige Kupfer-Nickel-Münze ersetzt. So erwies sich allein der Schweizer Franken als Hort der Stabilität. Im Jahre 1971 lag sein Wert noch immer bei beachtlichen 217,6 mg Feingold.


Spanien. 100 Pesetas von 1966. 900er Silber, 18,9 g, 34 mm [MA-Shop, Kölner Münzkabinett]


In der einleitenden Erzählung „Gute Reise, Herr Präsident“ von Gabriel García Márquez gelingt es dem alten karibischen Staatspräsidenten, mit dem Verkauf seines Goldes die nötigen Franken für einen medizinischen Eingriff aufzutreiben. Weniger gut kommen die Protagonisten in den weiteren Erzählungen davon. Manche von ihnen verlieren nicht nur ihr Geld, sondern auch das Leben. In „Der glückliche Sommer der Frau Forbes“ etwa hat es eine ältere Hauslehrerin auf einen blutjungen sizilianischen Taucher abgesehen: „Er hatte die Maske in die Stirn geschoben und trug eine winzige Badehose sowie einen Ledergürtel mit sechs Messern verschiedener Form und Größe.“ [7] Die tagsüber so gestrenge Dame hatte kundgetan, man könne sich keinen schöneren Menschen vorstellen als ihn. Um dem angebeteten Jüngling nahe zu sein, ging sie nachts heimlich schwimmen. Eines Morgens war ihr Körper jedoch von zahlreichen Messerstichen durchsiebt: „Es waren siebenundzwanzig tödliche Verletzungen, und an der Zahl und der Grausamkeit war zu erkennen, dass sie ihr mit der Wut einer ruhelosen Liebe zugefügt worden waren.“ [8]


Quellen

  1. „Gute Reise, Herr Präsident“, in Gabriel García Márquez: Zwölf Geschichten aus der Fremde. Köln 1997, S. 32.

  2. „María do Prazeres“, in: Zwölf Geschichten, S. 134.

  3. „Siebzehn vergiftete Engländer“, in: Zwölf Geschichten, S. 154.

  4. René Sedillot, Muscheln, Münzen und Papier – Die Geschichte des Geldes. Frankfurt/Main 1992, S. 308.

  5. Ebd., S. 311.

  6. Herbert Rittmann, Moderne Münzen. München 1974, S. 201.

  7. „Der glückliche Sommer der Frau Forbe“, in: Zwölf Geschichten, S. 172.

  8. Ebd., S. 186.

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