Interview zur Bedeutung der Traveller-Collection mit Christian Stoess
- Dietmar Kreutzer

- vor 6 Tagen
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Im November wird in der Schweiz der zweite Teil der Traveller-Collection versteigert, einer umfangreichen, geradezu spektakulären Sammlung von Goldmünzen. Wir fragten den Numismatiker Christian Stoess, der an der Aufarbeitung der Sammlung beteiligt war, nach den Hintergründen und der Bedeutung dieser Münzsammlung.

Christian Stoess
Foto: Bernhard Weisser
Münzen-Online: Sie halten die Traveller-Collection für einen der wichtigsten Münzschätze des 21. Jahrhunderts. Wie kommen Sie darauf?
Christian Stoess: Allein der Umfang mit 15.000 Münzen ist beeindruckend. Das sind nicht irgendwelche Münzen, sondern zu einem erheblichen Teil ausgesprochene Raritäten, überwiegend aus Gold. Mir ist keine Sammlung im 21. Jahrhundert bekannt, die eine solche Vielzahl an Raritäten enthält. Das Schweizer Auktionshaus Numismatica Ars Classica hat auf einer ersten Auktion im Frühjahr zunächst 200 englische Münzen versteigert. Diese erzielten über 6 Mio. Schweizer Franken, mehr als das doppelte der Schätzung. Im November kommt der erste Teil der mitteleuropäischen Münzen zur Versteigerung. Enthalten sind Münzen vom Reich der Habsburger, aus Deutschland, Polen, Skandinavien, den Niederlanden und aus Belgien, der Schweiz, von Siebenbürgen, Ungarn und dem Balkan. Insgesamt wird es wahrscheinlich vier Auktionen mit mitteleuropäischen Münzen geben, dazu kommen zu einem spätern Zeitpunkt weitere Versteigerungen mit den Serien der anderen Regionen. So sind Frankreich, Italien und Russland stark vertreten, aber auch antike Prägungen oder Münzen der iberischen Halbinsel mit den zugehörigen Kolonialprägungen. Weiterhin gibt es sehr interessante Münzen aus Übersee, z. B. Japan, China, Australien und den USA. Es ist eine Universalsammlung, zu der es also eine ganze Versteigerungsserie geben wird. Die wird sich wahrscheinlich über vier Jahre erstrecken.
Münzen-Online: Wie ist die Sammlung entstanden? Wissen Sie, warum der anonym bleibende Sammler so viel zusammengetragen hat?
Christian Stoess: Die Familie des Sammlers hat den Wunsch, nichts über Details, die auf die Person hindeuten können, preiszugeben. Was wir sagen können ist, dass der Sammler damals eine der reichsten Personen in seinem Land gewesen ist. Er hat anfangs, also im Jahr 1930, nur Münzen zur Anlage gekauft, wie etwa Sovereigns, Vrenelis oder amerikanische 20-Dollar-Stücke. Er ist also, wie übrigens eine ganze Reihe von Sammlern heute noch, über einfache Anlagemünzen zum Münzensammeln gekommen. Wenig später bekam er eine gute Beratung von der Firma Schulman in Amsterdam, die damals im europäischen Markt für seltene Münzen sicher die bedeutendste Rolle gespielt hat. Im Jahr 1931 erwarb er die ersten Stücke auf einer Auktion. Nur aufgrund der Zeitumstände war es damals möglich, so eine tolle Sammlung zu bilden. Die beiden großen Sammler, Virgil M. Brand und Waldo Newcomer, waren nach ihrem Tod keine Konkurrenz mehr. Auf der anderen Seite verfügte der Sammler über nahezu unbegrenzte Mittel.
Münzen-Online: Lag es nicht auch daran, dass es während der Weltwirtschaftskrise kaum Nachfrage nach hochpreisigen Münzen gab?
Christian Stoess: Genau so war es. Es kam ein breites Angebot auf den Markt, die Sammlung Newcomer und viele weitere Kollektionen. Auf der anderen Seite fehlte eben in der Zeit der großen Depression die Nachfrage. Der "Traveller" hat auch Stücke aus der Sammlung Brand erworben, der bedeutendsten Sammlung, die jemals zusammengetragen wurden. Der amerikanische Brauereiunternehmer, der 368.000 Münzen besaß, war 1926 gestorben. Wir konnten für die November-Auktion vier Stücke nachweisen, die mit Sicherheit aus der Sammlung Brand stammen, vielleicht waren es ein paar mehr. Die wichtigste Quelle des "Travellers" war aber die amerikanische Newcomer-Collection, die in Europa nahezu unbekannt war. So hat er 1936 aus den 7.000 Goldmünzen dieser Sammlung die besten 700 Stücke über die Firma Schulman in Amsterdam erworben, etliche weitere vermutlich schon zuvor. Die Entstehung der Sammlung ist also ein Stück Zeitgeschichte. Sie spiegelt nicht nur die Auswirkungen der großen Depression auf den Münzenmarkt, sondern auch die Kräfteverschiebung innerhalb des Münzenhandels. Der vor 1933 in Europa führende deutsche Münzenhandel mit seinen großen, von Juden geführten Firmen war durch die nationalsozialistischen Repressionen bedeutungslos geworden. Die Musik spielte nun in London und, bis zum Einmarsch der deutschen Truppen, in Amsterdam.
Münzen-Online: Wie lange brauchte der Sammler, um seine Kollektion zusammenzutragen? Warum hat er das Sammeln plötzlich aufgegeben?
Christian Stoess: In nur neun Jahren ist die Sammlung entstanden. Wir können im Jahr 1939 noch die Teilnahme des Sammlers an Auktionen nachvollziehen. Dann begann jedoch die Invasion die Nazis in dem Land, in dem er lebte. Seine Wertsachen waren in akuter in Gefahr. Der Sammler hat einen beträchtlichen Teil seiner Kollektion vor Ort vergraben. Nur er und seine Frau wussten von dem Versteck. Daneben hatte er auf drei Kontinenten weitere Teile der Sammlung in Safes deponiert. Kurz nach dem Sichern seiner Sammlung starb er. Er hat vor seinem Tod sicher nicht beabsichtigt, das Sammeln aufzugeben. Fünfzig Jahre später, also Anfang der neunziger Jahre, hat seine Witwe das Versteck ihren Kindern verraten. Die haben den Schatz gehoben und ihn später bei Numismatica Ars Classica zur Versteigerung eingeliefert.
Münzen-Online: Was erwarten Sie von den Auktionen zur Traveller-Collection insgesamt? Und was sind die größten Raritäten jetzt im November?
Christian Stoess: Schon die erste Auktion mit den britischen Münzen war fantastisch. Jetzt haben wir für den zweiten Teil eine Schätzung von fünf Millionen Franken. Dass es einen enormen Zuspruch geben wird, ist keine Frage. Ich bin gespannt, was auf uns zukommt. Das wertvollste Stück in der nächsten Auktion ist zweifellos das 100-Dukaten-Stück aus dem Jahr 1629 von dem nachmaligen Kaiser Ferdinand III. Zum Zeitpunkt der Prägung war er König in Böhmen. Von dieser Münze kennen wir nur vier Exemplare, davon zwei in öffentlichen Sammlungen. Es ist es gut möglich, dass wir einen neuen Preisrekord für eine europäische Münze sehen. Die zweite große Rarität ist ein Fünf-Dukaten-Stück aus der Tschechoslowakei von 1937, von dem es nur vier Stück gibt. Auf dem Markt war bisher nur eines. Dieses hat vor fünf Jahren 850.000 Euro gebracht. Wir schätzen es jetzt auf 350.000 Schweizer Franken. Schauen wir mal, was passiert. Daneben wird eine Vielzahl von Unikaten und Stücken, die man seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hat oder teilweise überhaupt noch nicht kannte, angeboten. Da ist es fast sträflich, nur zwei Stücke herauszugreifen.
Das Interview führte Dietmar Kreutzer.



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