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Ideal und Wirklichkeit bei römischen Münzporträts

Nachdem Caesar 44 v. Chr. als erster lebender Römer auf einer römisch-republikanischen Prägung abgebildet worden war, übernahmen sein Erbe und Adoptivsohn Octavian sowie alle Mitbewerber um die Macht in Rom dieses Vorgehen. Daraus entstand letztendlich die Tradition, dass auf kaiserzeitlichen Münzen auf dem Avers das Porträt des Kaisers oder eines Angehörigen des Kaiserhauses dargestellt wird. Inwieweit diese Porträts der Wirklichkeit entsprachen, wurde vom jeweiligen Herausgeber der Münzen bestimmt. Denn dieser legte fest, wie ihn die Öffentlichkeit sehen sollte; waren doch die Münzen ein wichtiges Medium für die kaiserliche Repräsentation und bedeutend als Träger politischer Botschaften. Daher gibt es neben naturalistischen Porträts auch Idealporträts. Dies soll im Folgenden anhand einiger ausgewählter Beispiele gezeigt werden.


Ein Meister der kaiserlichen Selbstdarstellung und Vorbild aller ihm nachfolgenden römischen Herrscher war zweifellos Augustus. Er erkannte die Macht der Bilder und setzte sie überaus geschickt in den verschiedensten Medien, darunter auch auf den Münzen, ein. In der Abfolge seiner Münzporträts spiegelt sich, analog zu seinen rundplastischen Porträts, auch die persönliche Entwicklung vom jugendlichen Octavian, dem Retter der res publica, bis zum erhabenen Augustus, dem souveränen Princeps des „Goldenen Zeitalters“, wider.


links: Abb. 1, D, 28 v. Chr. RRC 534,3; mitte: Abb. 2, D, 18/16 v. Chr. RIC Aug. 126; rechts: Abb. 3, D, 13/14, RIC Aug. 220. Bildquellen: https://ikmk.smb.museum/object?id=18210723 (1); =18207333 (2); =18207646 (3).


Der 38 v. Chr. geprägte Denar Abb.1 mit dem Porträt Ocavians gehört zu einer Münzgruppe, bei der dieser zum ersten Mal in der Umschrift „Sohn des vergöttlichten Iulius“, "DIVI IVLI F," als Ergänzung seiner offiziellen Titulatur führt. Dargestellt ist ein jugendlicher, energiegeladener Mann, dessen Porträt durchaus individuelle Züge aufweist: der Hals ist langgestreckt, die halbkugelförmige Haarkappe wird durch kräftige Locken strukturiert. Stirn und Wange sind glatt, das Auge liegt tief. Nasenrücken und Augenbraue sind klar akzentuiert. Octavian trägt einen leichten Vollbart. Rund zwanzig Jahre später, um 18 v. Chr., wird der Denar Abb. 2 geprägt. Auf dem Avers ist der nach rechts gerichtete Kopf von Augustus abgebildet. Der Stempelschneider verzichtet auf eine Umschrift, lediglich ein einfacher Linienkreis umrahmt den Kopf, nur auf dem Revers ist im Feld "AVGVSTVS" zu lesen. Durch diesen Trick des Graveurs wird das Porträt ganz besonders hervorgehoben. Auf einem langen, sehnigen Hals sitzt jetzt ein eher rechteckiger Kopf. Die sichelförmigen Haarlocken fallen an der Seite wirr durcheinander, über der glatten Stirn sind sie nach rechts ausgerichtet. Wange und Nasolabialfalte sind fein modelliert und verleihen dem Porträt ein hohes Maß an Individualität. Gegen Ende der Regierungszeit des Augustus wird der Denar Abb. 3 in Lugdunum geprägt. Augustus ist zu diesem Zeitpunkt fast 75 Jahre alt. Ein Blick auf dieses Münzporträt zeigt allerdings nicht den Kopf eines Greises, sondern einen Kopf, der an die griechische Idealplastik der Hochklassik, speziell an Köpfe des Bildhauers Polyklet erinnert. Auf jegliche Mimik wird verzichtet. Das Augustus-Porträt erscheint hier alterslos und strahlt wie eine klassische Statue Ernst und Würde aus. Durch diese Bildformel wird die auctoritas Augusti besonders hervorgehoben. Dieses „würdevolle“ Bild war dann auch richtungsweisend für die folgenden Herrscher der iulisch-claudischen Dynastie.


links: Abb. 4, D, 56/57, RIC Nero 12; mitte: Abb. 5, AV, 63/64, RIC Nero 40; rechts: Abb. 6, D, 65/66, RIC Nero 61. Bildquellen: https://ikmk.smb.museum/object?id=18203193 (4); =18219775 (5); =18220673 (6).


Am 13. Oktober 54, unmittelbar nach dem Tod seines Vorgängers und Adoptivvaters Claudius, wird Nero zunächst von den Prätorianern und unmittelbar darauf auch vom Senat zum Kaiser erhoben. Während seiner vierzehnjährigen Regierungszeit lassen sich auf den Münzen wie auch in der Rundplastik drei Porträttypen unterscheiden. Der erste Typ, der auf dem Denar Abb. 4 gut zu erkennen ist, steht noch ganz in augusteischer Tradition. Auf einem relativ kurzen Hals sitzt ein kugelförmiger Kopf. Die Haarsträhnen, die von einem imaginären Punkt am Hinterkopf ausgehen, verlaufen wellenförmig zur Seite bzw. in Richtung Stirn. Dort reichen sie fast bis zu den Augenbrauen herab. Das große Auge sitzt tief, die Gesichtsoberfläche ist fein modelliert. Die Koteletten erreichen fast Ohrlänge. Mit Beginn der sechziger Jahre verändert sich dann das Bild Neros markant (Abb. 5). Die Haarkappe wird voluminöser, die Haarsträhnen verlaufen wellenförmig bis zur Stirn und bilden dort einen regelrechten Lockenkranz. Gleichzeitig reichen die Strähnen weit in den Nacken hinab. Auch das Gesicht, insbesondere Wange und Kinn, wird fülliger. Beibehalten wird das tiefliegende Auge. Eine nochmalige Steigerung hin zu einem extremen Verismus erfährt das Neroporträt dann ab 64/65 (Abb. 6). Die Haarkappe ähnelt der des vorhergehenden Typs, allerdings ist der Sichellockenkranz über der Stirn noch weiter ausformuliert. Die weit herabreichenden Koteletten werden durch einen feinen Flaumbart bis zum Kinn fortgeführt. Kopf und Hals bilden nahezu eine übergangslose Einheit, das Kinn setzt sich kaum mehr vom Hals ab. Das Gesicht wirkt schwammig, um nicht zu sagen aufgeschwemmt. Nero war zu diesem Zeitpunkt gerade 28 bzw. 29 Jahre alt. Mit Nero endet die iulisch-claudische Dynastie.


links: Abb. 7, AV, 71, RIC Vesp. 1125; rechts: Abb. 8, AV, 97, RIC Nerva 16; Bildquellen: https://ikmk.smb.museum/object?id=18219214 (7); =18272963 (8).


Als Sechzigjähriger übernimmt Vespasian 69 die Macht in Rom. Sein Münzporträt (Abb. 7) unterscheidet sich trotz des unverkennbaren Realismus in der Darstellung deutlich von dem des „Luxusmenschen“ Nero. Bei Vespasian wird nichts geschönt, es wird beispielsweise kein Versuch unternommen, die beginnende Stirnglatze zu kaschieren. Die tiefliegenden Horizontalfalten der Stirn, die ebenfalls tief eingegrabene Nasolabialfalte und die Krähenfüße am Auge lassen das Gesicht kleinteilig strukturiert erscheinen. Trotz allem überträgt sich der Realismus des Porträts auch auf den tatsächlichen Realismus und Pragmatismus des Kaisers. Bekannt ist die Anekdote, dass Vespasian auf die Einwände gegen die Einführung einer Urinsteuer geantwortet hat: „pecunia non olet“ (Geld stinkt nicht). Der nur rund eineinhalb Jahre regierende Nerva wird 96 mit knapp sechsundsechzig Jahren römischer Kaiser. Die Porträtauffassung der Nerva-Bildnisse (Abb. 8) ist wieder ganz anders geartet als bei Vespasian. Die Haarkappe Nervas ist - wohl naturbedingt - voluminöser als bei Vespasian. Das Gesicht wirkt nicht mehr kleinteilig zerfurcht, sondern bildet eine geschlossene Einheit. Die Gesichtsoberfläche ist relativ glatt. Markant sind das tief liegende Auge und die hakenförmige Nase. Insgesamt erscheint das Nerva Porträt etwas „geschönt“.

links: Abb. 9, AV, 98/99, RIC Trajan 5; rechts: Abb. 10, D, 116, RIC Trajan 349; Bildquellen: https://ikmk.smb.museum/object?id=18272975 (9); https://ikmk-win.ch/object?id=ID3311 (10).


Der unmittelbare Nachfolger Nervas ist Traian, der im Januar 98 mit rund 45 Jahren zum Kaiser erhoben wird. Der Aureus Abb. 9 zeigt Traian am Beginn seiner Regierung. Sein Porträt steht noch in der Tradition des Nerva. Die Haare sind einfach nach vorn in die Stirn gekämmt; das volle Gesicht erscheint auf den ersten Blick relativ glatt. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch feine Strukturen im Nasen-Mund- und Augen-Bereich. Hier ist die Augenbraue wulstförmig geformt, Ober- und Unterlid treten deutlich hervor.

Der Denar Abb. 10 stellt Traian gegen Ende seiner Herrschaft dar. Die Kopfform entspricht derjenigen auf dem Aureus. Die Haarkappe ist jetzt noch einfacher gestaltet. Das Gesicht wirkt etwas fülliger und glatt; eine Binnenstruktur ist lediglich im Mundbereich zu erkennen. Das tiefliegende Auge wird von einem mächtigen Augenbrauenwulst überdeckt. Ansonsten zeigt dieses Porträt eine gewisse Reminiszens zu dem idealen Augustusporträt Abb. 3., es ist zumindest ein leichter Trend zum Idealisieren des Porträts erkennbar.

Die wenigen Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie unterschiedlich sich die jeweiligen Kaiser der Öffentlichkeit präsentieren wollten. Es gibt keine stringente Entwicklung des Münzporträts vom Ideal hin zum Realismus, sondern die Münzporträts unterliegen, wie auch die rundplastischen Porträts, ganz unterschiedlichen Entwicklungen.

Horst Herzog


Abkürzungen:

AV Aureus

D Denar

RIC Roman Imperial Coinage. Spink & Son, London 1923 ff.

RRC Roman Republican Coinage. Michael Crawford, Cambridge 1974.

 

Ein Großteil der Bilder stammt aus dem sammlungsübergreifenden Internetportal IKMK. Einen Artikel in unserem Blog zu diesem Projekt finden Sie hier.

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