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Fantasiemünzen richten keinen Schaden an

Vor etwa 600 Jahren begann man, an der Antike Gefallen zu finden. So fügte man zum Beispiel Gold- und Silbermünzen aus jener Epoche in edle Schalen und Kannen ein oder trug sie als Schmuck. Münzensammelnde Fürsten sollen sich beim Anblick von römischen Kaisermünzen zu Ruhmestaten angestachelt gefühlt haben, während Gelehrte und Sammler, die oft beides in einer Person waren, Forschungen zur Genealogie von antiken Herrscherfamilien anstellten und danach trachteten, dazugehörige Münzreihen möglichst komplett zu besitzen. Allerdings war das meist ein schöner Traum, denn die Originale waren rar. Die großen Funde, in denen griechische und römische Münzen zu Tausenden ans Tageslicht kamen, wurden vordergründig erst im 19. und 20. Jahrhundert geborgen. Was konnte man also machen, wenn Echtes und Altes fehlte, wenn ein Kirchenfürst, ein Feudalherr, ein wohlhabender Patrizier oder ein an der Historie und Kunst interessierter Gelehrter bzw. Sammler Münzen etwa der römischen Kaiser besitzen wollte? Einfallsreiche Leute erkannten die Marktlücke und beschafften Nachbildungen der Raritäten oder erfanden sogar neue.

Etwa 300 falsche Brakteaten gehen auf das Konto des hannoverschen Kupferstechers und Münzfälschers Nikolaus Seeländer. Er publizierte „seine“ mittelalterlichen Brakteaten in einem Buch, das 1743 in Hannover erschien. Erst etwa ein Jahrhundert später wurde er als numismatischer Hochstapler entlarvt. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Viele Fantasiemünzen wurden zur Täuschung der Sammler, aber auch aus politischen Gründen angefertigt. Wer an ihnen Gefallen hat, findet im Bereich der französischen Probe- und Sonderprägungen ein weites Betätigungsfeld. Wie besessen hat man seit der Renaissance-Zeit in unserem Nachbarland neben den regulären Münzen auch solche hergestellt, die dicker als üblich sind und auch ein abweichendes Design haben. Die Dickabschläge, auch Piedforts genannt, eigneten sich gut für Geschenkzwecke und waren, wenn sie in Gold vorlagen, begehrte Wertgegenstände, die man notfalls auch einschmelzen und in kurantes Geld umwechseln konnte. Eine Flut von Probemünzen aller Art ergoss sich auf die Franzosen im 19. Jahrhundert, etwa als Bonapartisten nicht genehmigte Münzen mit dem Bildnis Napoleons II., des niemals auf den Thron gelangten Sohns von Napoleon I., herstellten und damit für die Ablösung der 1814/15 wieder an die Macht gelangten Bourbonen warben. Nach der Entmachtung des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe in der Februarrevolution 1848 gab die republikanische Regierung neue Münzen in Anlehnung an Gepräge aus der Revolutionszeit 1789 und danach heraus. Doch strömten auch zahlreiche als „Essai“ deklarierte Probemünzen auf den Markt, die in unterschiedlichen Varianten Marianne feiern, die Symbolfigur des republikanischen Frankreich.

Französische Bonapartisten haben Napoleon IV., dem im englischen Exil lebenden Sohn des 1870 entmachteten Kaisers Napoleon III., 1874 einen „Essai“ zu fünf Francs gewidmet. Maurice, Graf von Mac-Mahon und Herzog von Magenta, war Marschall sowie von 1873 bis 1879 Präsidentder Dritten Republik. Der Versuch von Anhängern der Bourbonen, unter seinem Schutz die Monarchie wiederherzustellen, blieb erfolglos. Die Münze von 1874 mit seinem Kopf und einem Fantasiewappen ist ein Kuriosum, denn sie ist zwar mit REPUBLIQUE FRANÇAISE ausgewiesen, zeigt aber alle Merkmale einer königlichen, zudem von der katholischen Kirche geschützten Prägung. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Nach dem Sturz von Kaiser Napoleon III. wurde Frankreich am 4. September 1870, gleich nach der Niederlage seiner Armee in der Schlacht von Sedan, erneut Republik. Daraufhin änderte man die Münzbilder und gab parallel zu den offiziellen Geldstücken auch solche mit abweichenden Marianne-Köpfen und anderen Motiven heraus. Monarchisten warben mit Probeprägungen für Thronprätendenten aus den ehemaligen Herrscherfamilien Bourbon und Bonaparte sowie für machtbewusste Politiker und Militärs, von denen sich die Produzenten die Wiederherstellung von Frankreichs Glanz und Gloria erhofften.


Gefälschte Münzen, Medaillen und Fantasiegepräge liegen in manchen Sammlungen und leisten dort als Vergleichsstücke für Originale gute Dienste. Doch auch in der numismatischen Literatur werden sie erwähnt. Ab und zu bietet der Münzhandel englische Prägungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert an, die entfernt an originale Silbercrowns erinnern.

Zu den Fantasie-Crowns gehören die Ausgabe von 1798 mit der am Meer sitzenden Britannia und das Silberstück von 1835 mit dem Kopf von König Georg IV. sowie drei Grazien unter dem Motto „Zier und Schutz“. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

In Forrers „Biographical Dictionary of Medallists“ (Band VI, S. 41f.) finden wir den Hinweis auf den englischen Münzgraveur und Münzhändler William Joseph Taylor, der 1850 den Nachlass von Matthew Boulton, dem Besitzer der Soho Mint, erwarb. Darunter befanden sich originale Prägewerkzeuge von Münzen und Medaillen aus der Zeit von 1797 bis 1843. Taylor bearbeitete die Stempel und brachte sogenannte Retro-Prägungen heraus. Nach seinem Tod im Jahr 1885 ging die Firma an seine Söhne, die auch die Werkzeuge 1908 weiter verkauften. Die fantasievoll gestalteten Münzen mit dem Brustbild von König Georg III. sollen zwischen 1862 und 1880 hergestellt worden sein. Schaut man sie genauer an, dann kann man unschwer Unterschiede zu den Originalen feststellen. Da der Münzhandel sie als dubiose Prägestücke ausweist, richten sie keinen Schaden an. Das gilt auch für russische Fantasiemünzen sowie für Prägungen mit dem Kopf des deutschen Diktators Adolf Hitler. Letztere Stücke wurden nach dem Ende des NS-Regimes hergestellt und fanden, wie unzählige weitere Nazidevotionalien, Käufer vor allem im deutschen Westen.

Das Vierdukatenstück von 1905 in der Art österreichischer Goldmünzen ist ein russisches Fantasieprodukt. Bildnis und Titel von Zar Alexander II. passen nicht zur Jahreszahl, denn in dieser Zeit war Nikolaus II. an der Macht. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Wenn russische Münzen angeboten werden, ist da und dort zu entscheiden, ob es sich um ein Original etwa des 18. Jahrhunderts oder eine Anfertigung für gut betuchte Sammler aus dem 19. Jahrhundert oder ein ganz neues Produkt handelt. Aufgrund guter Beziehungen zum Hof des Zaren und zur Münzverwaltung versorgten sich Sammler mit nachgeprägten, manchmal auch fantasievoll neu erfundenen Münzen. Dazu wurden alte beziehungsweise neu geschnittene Stempel verwendet. Die Nachprägungen sind als Novodely (etwa: die „Neugemachten“) bekannt. Der Brauch, alte Münzen neu herauszubringen, geht auf Zar Peter III. zurück, der 1761 zumindest mit Duldung seiner Gemahlin Katharina II., einer aus dem winzigen deutschen Fürstentum Anhalt-Zerbst stammenden Prinzessin, umgebracht wurde. 1762 bestimmte Peter III.: „Jede Privatperson ist berechtigt, beim St. Petersburger Münzhof nicht nur eine beliebige Anzahl aus dem Verkehr gezogener Münzen, sondern ganze Sammlungen von Münzen aus den verflossenen Jahren, die bereits aus dem Verkehr gezogen sind, zu bestellen.“ Wo keine alten Stempel vorhanden waren, durften neue nach alten Vorbildern geschnitten und verwendet werden, und wo diese nicht existierten, hat man seine Fantasie spielen lassen. Manche Novodely werden wegen ihrer besonderen Entstehungsgeschichte sehr hoch bezahlt. #Fantasiemünze #Novodel #Frankreich #Russland #Antike #NikolausSeeländer #Napoleon #Marianne #NapoleonIII #Crowns #JosephTaylor #MatthewBoulton #SohoMint #PeterIII #HelmutCaspar

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