Die Gründung der SINCONA: Interview mit Jürg Richter
- Ursula Kampmann
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Am 30. Oktober 2025 führte die SINCONA AG ihre 100. Auktion durch. Zeit für ein Interview mit Gründer Jürg Richter, der schon seit seiner Kindheit von der Numismatik begeistert war.

Jürg Richter bei seiner 100. Auktion am 30. Oktober 2025.
Foto: UK
Frage: Jürg, die SINCONA führte heute ihre 100. Auktion durch, nun fällt dieser Name für ein Auktionshaus eigentlich aus der Reihe. Viele Münzhandlungen nennen sich nach ihrem Besitzer, andere nach dem Ort, wo sie agieren, wie bist Du auf den Namen gekommen?
Jürg Richter: Ich habe Tage lang gegrübelt. Ich brauchte schliesslich einen Namen, der noch nirgendwo verwendet wurde; dazu musste er sich in den wichtigsten Sprachen leicht aussprechen lassen. Immer wenn ich eine Idee hatte, habe ich sie im Internet überprüft, aber egal, was ich ausgesucht hatte, immer gab es irgendwo in Brasilien oder Nordpolen ein Unternehmen, das genauso hiess. Ich habe Dutzende von Ideen verworfen, bis ich auf SINCONA kam. SINCONA ist eine Abkürzung und steht für Swiss International Coin Auction AG, was sich natürlich niemand merken kann. Deshalb ist SINCONA der einprägsame Name, unter dem wir ein Teil der numismatischen Welt geworden sind.
Frage: Die SINCONA AG wurde am 1. Mai 2011 gegründet, und nicht einmal ein Jahr später hat die SINCONA ein deutliches Zeichen gesetzt, als Du am 9. Oktober 2012 mit 3,6 Mio. CHF die teuerste bis dahin in Europa versteigerte Münze zugeschlagen hast. Das ist ja extrem ungewöhnlich, dass ein Auktionshaus gleich ganz oben mitspielt.
Jürg Richter: Als ich die SINCONA 2011 gründete, hatte ich schon fast 30 Jahre im Münzhandel hinter mir. Und die SINCONA hatte den riesigen Vorteil, dass sie das numismatische Geschäft der UBS sozusagen erbte. Die UBS beschloss nämlich 2010, dass eine numismatische Abteilung nicht mehr länger in ihr Kundenportfolio passt. Was aber sollte mit dem Lager und den Mitarbeitern passieren? Ich habe daraufhin ein Management Buyout vorgeschlagen. Wir haben uns an einen Tisch gesetzt und eine für beide Seiten faire Lösung gefunden. Das war der Startschuss für die SINCONA.
Frage: Dann hattest Du ja gleich einen riesigen Kundenstamm.
Jürg Richter: So einfach war das auch wieder nicht, denn ich konnte die numismatischen Adressen der UBS nicht übernehmen. Das hätte ja das Bankgeheimnis verletzt. Wir mussten also eine kreativere Lösung finden. Wir haben uns geeinigt, dass die UBS unsere ersten beiden Auktionskataloge an ihre Kunden verschickt. Wir legten einen Brief bei, in dem wir die Situation erklärten und die Kunden baten, uns ihre Adressen mitzuteilen. Das hat hervorragend geklappt.
Frage: Was war das für ein Gefühl, so ein grosses Auktionshaus nicht langsam aufzubauen, sondern gleich ganz oben einzusteigen?
Jürg Richter: Über die Terminologie "ganz oben" lässt sich diskutieren, aber ich hatte zu dem Zeitpunkt ja schon über ein Vierteljahrhundert Erfahrung im Münzhandel.
Frage: Kannst Du uns darüber ein bisschen mehr erzählen?
Jürg Richter: Meine erste Stelle fand ich beim Monetarium der SKA an der Zürcher Bahnhofsstrasse, und zwar am 1. Mai 1985. Dort durfte ich von meinen fantastischen Kollegen Brian Silk und Kurt Zimmermann enorm viel lernen. Dann wurde das Monetarium leider 1996 geschlossen, als die SKA die Bank Leu übernommen hatte, und man im gleichen Konzern nicht zwei numismatische Abteilungen nebeneinander betreiben wollte. Kurzfristig bin ich dann zur Münzhandlung Frank Sternberg gegangen. Dort habe ich auch meine allererste Auktion durchgeführt. Ich werde sie nie vergessen: Der Kellner hat den Kaffee gebracht, der ist umgekippt und in meine Tastatur gelaufen. Ich habe sie natürlich gleich umgedreht, und am Anfang lief alles ganz normal. Aber je länger ich mit der Tastatur arbeitete, umso mehr ist der Kaffee eingesickert und immer mehr Tasten haben nicht funktioniert. Das war ein zäher Start für meine erste Auktion - aber eben unvergesslich.
Ebenfalls am 1. Mai, allerdings 1998, habe ich zur Numismatischen Abteilung der UBS in Basel gewechselt. Nach der Pensionierung von Lutz Neumann, Nachfolger von Christian Winterstein, hat man mir die Leitung der Abteilung angeboten. Mittlerweile betrieben wir die Gold- und Numismatik-Schalter an den Standorten Zürich, Basel und Genf.
Im Vergleich zur damaligen UBS Numismatik ist die SINCONA also sozusagen viel übersichtlicher und kompakter.

Jürg Richter erhält dem Otto-Paul-Wenger-Preis vom Verband Schweizerischer Berufsnumismatiker. Foto: UK
Frage: Du bist 1963 geboren, dann warst Du 1985 gerade mal 22 Jahre alt. Woher wusstest Du so früh, dass Du in den Münzhandel willst?
Jürg Richter: Ich war schon als Jugendlicher von Münzen fasziniert. 1977 hat es angefangen! Im Wechselgeld fand ich ein 5 Rappen-Stück von 1898. Das war faszinierend, sich vorzustellen, dass der eigene Großvater damit bezahlt hat! Es war natürlich völlig abgeschliffen. Ich habe dann meine erste Numispost gekauft und gesehen, dass der 5 Rappen 1898 - leider - sehr häufig ist. Aber gleichzeitig habe ich realisiert, dass es wesentlich seltenere Stücke gibt. Ich bin also zur Nationalbank und habe kistenweise 5 Rappen-Rollen geholt. Die seltenen Jahrgänge habe ich herausgefischt und beim Münzhändler Werner Bucher verkauft. Als 14-Jähriger habe ich mit dieser Arbeit bereits ein Taschengeld von rund 50 Franken pro Woche verdient!
Frage: Das war Ende der 1970er Jahre ja richtig viel Geld für einen Teenager. Trotzdem hast Du Dich für ein Studium in St. Gallen an der Handelshochschule in Nationalökonomie entschlossen.
Jürg Richter: Ich habe schnell gemerkt, dass mir das viel zu theoretisch ist. Ich war kein besonders guter Student, bin immer in der hintersten Bank gesessen, und wenn es mir zu langweilig war, habe ich die Tageszeitung oder noch lieber numismatische Zeitschriften gelesen. Zwischendurch habe ich bei der Münzenhandlung Werner Merk in Zürich gejobbt. Eines Tages im Winter hat sich Werner Merk das Bein gebrochen. Und jetzt sass er da und hatte niemanden, der ihm ein paar Wochen lang den Laden leiten konnte. Ich fand damals: "Kein Problem! Das Studium ist nicht so wichtig. Ich übernehme das." Und das hat mitunter dazu geführt, dass ich verschiedene andere Zürcher Münzhandlungen besucht habe. Irgendwann kam einer der Leiter vom Monetarium der SKA und hat mich gefragt: "Möchten Sie nicht ihr Hobby zum Beruf machen?" Ich habe schnell zugesagt und bin jeden Tag froh darüber. Ich wäre ein sehr unglücklicher Nationalökonom geworden.
Frage: Seitdem bist Du dabei und hast jetzt die 100. Auktion Deines eigenen Auktionshauses durchgeführt. Wenn Du Dich zurückerinnerst, was waren die besonderen Momente?
Jürg Richter: Schon merkwürdig, dabei kommen mir nicht die höchsten Zuschläge in den Sinn, sondern die Momente der tiefsten Krise. Am 11. September 2001 fand im Savoy die Auktion 52 der UBS statt. Alles war so normal, und dann kamen plötzlich Leute und erzählten, was da in New York geschehen war. Wir standen da und überlegten, ob wir die Auktion abbrechen sollten. Aber alles war so unvorstellbar, dass wir einfach weitermachten. Ich habe erst daheim am Fernseher die Bilder gesehen. Heute würde ich wohl anders entscheiden, aber hinterher ist man ja immer schlauer.
Frage: Das war ein schrecklicher Moment für uns alle, den wohl niemand je vergessen wird. Gab es eine andere Auktion, bei der Du eine wichtige Entscheidung treffen musstest? Eine Entscheidung, die Du nicht bereut hast?
Jürg Richter: Aber sicher. Die SINCONA hatte eine Banknoten-Auktion. Und als wir am Morgen mit der Versteigerung anfangen wollten, ging nichts mehr. Microsoft hatte in der Nacht ein Update eingespielt, das all unsere Programme ausser Gefecht setzte. Da sass ich jetzt mit einem Saal voller Leute und überlegte, was ich tun kann. Nichts. Die Auktion konnte nicht stattfinden. Ich habe mich dafür bei den Anwesenden entschuldigt und habe ihre gesamten Reisespesen übernommen, Flugtickets und alles. Ich habe ihnen angeboten, dass sie - wenn sie nochmal zu dieser Auktion kommen würden - wesentlich vergünstigte Konditionen erhalten würden. Das hat sich rumgesprochen wie ein Lauffeuer. Es war die beste Reklame für die junge SINCONA. Das ist das große Geheimnis: Man muss eben versuchen, auch aus einer schier aussichtslosen Situation immer das Beste zu machen.
Frage: Dafür bist Du ja bekannt, dass Du aus allen Situationen das Beste machst und nicht nur im Bereich des Münzhandels. Willst Du uns etwas über Deine anderen Aktivitäten erzählen?
Jürg Richter: Nun, meine Freunde wissen, dass ich nicht nur ein Auktionshaus für Münzen habe, sondern mich auch mit alten Weinen beschäftige. Ich habe die Internet-Weinhandlung Orvinum gegründet, wo man alte, kostbare Weine kaufen kann.
Frage: Ich habe mich dort mal umgesehen. Ich war schon beeindruckt, dass heute Weine aus dem Jahr 1817 auf dem Markt sind! Ganz billig sind die ja auch nicht. Wie kann man bei so altem Wein prüfen, ob auch wirklich das drin ist, was auf dem Etikett angegeben ist?
Jürg Richter: Das ist eine Frage, die mich seit vielen Jahren beschäftigt. Echtheit ist für mich als Münzhändler ja das ständige Thema. Im Weinhandel ist das noch nicht so verbreitet. Auf jeden Fall hat ein Forschungsteam der FHNW in Muttenz mit meiner Unterstützung eine Authentizitätsprüfung für Wein entwickelt. Ich habe auch dafür eine Firma gegründet. In dieser Firma bieten wir übrigens auch den Mikrobiom-Check für Hunde an. Außerdem gibt es auf unserer Plattform bottleverification.com ein Register gestohlener Weine. Die Weindiebe nehmen ja ständig zu.
Frage: In Deinem Weinkeller könnten sie sicher erhebliche Beute machen. Ich habe gehört, Deine besondere Liebe gilt den Sauternes.
Jürg Richter: Ja, da hast Du richtig gehört. Ich habe im Internet sogar einen Blog, auf dem ich meine Notizen zu den unterschiedlichen Flaschen von Sauternes veröffentliche, die ich mit Vergnügen degustiere: www.sauternes.ch. Das ist mal was anderes, als einen Münzkatalog zu schreiben.

Das Team der SINCONA bei der Münzenmesse in Basel 2025.
V.l.n.r.: Timur Demiral, Michael Otto, Inge Otto, Monika Richter, Ruedi Kunzmann, Jürg Richter.
Foto: KW
Frage: Ich hoffe trotzdem, Du bleibst der Numismatik treu. Wann wird es denn die Neuauflage des Neuen HMZ Katalogs geben?
Jürg Richter: Es macht einfach immer wieder Spass, sich so systematisch mit den Münzen eines Gebiets zu beschäftigen. Ruedi Kunzmann und ich sind intensiv an der Neuauflage von Band 1 und 2 des Neuen HMZ Katalogs. Ich kann jetzt schon verraten, dass zumindest Band 2 in einem Jahr den Sammlern zur Verfügung stehen wird; ganz in Farbe und mit unzähligen neuen Fotos, Ergänzungen und aktuellen Preisnotierungen. Man kann sich also jetzt schon darauf freuen.
Frage: Dann können wir nur wünschen, dass der Spass an den Münzen bleibt. Hast Du jemals bereut, dass Du in den Münzhandel gegangen bist?
Jürg Richter: Nein, nie. Ich habe den vielleicht schönsten Beruf der Welt. Ich arbeite mit einem tollen Team zusammen, und jeder Tag birgt immer wieder neue Überraschungen. Sollte irgendwann der Moment kommen, dass ich aufstehe und keine Lust habe, ins Geschäft zu gehen, dann ist es Zeit aufzuhören. Aber das ist hoffentlich noch in sehr weiter Ferne!
Das Interview führte Ursula Kampmann




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