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Die Goldstatere von Lampsakos

Bei Lampsakos handelt es sich um eine antike Stadt in Mysien, die nach Lampsake, der Tochter des Bebrykerkönigs Mandron benannt worden war. In einer antiken Quelle heißt es diesbezüglich: „Als die Phokäer, welche Mandron in seine Stadt als Kolonisten eingeladen hatte, in dessen Abwesenheit in Gefahr waren, von den Bebrykern überfallen und getötet zu werden, rettete sie Lampsake durch heimliche Warnung. Die Phokäer töteten nun die Bebryker und machten sich zu Herren der Stadt, und als bald nachher Lampsake starb, bestatteten sie dieselbe in der Stadt aufs ehrenvollste und nannten die Stadt nach ihr Lampsakos.“ (W. H. Roscher [Hrsg.]: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. II, 2, Sp. 1824)

Historisch betrachtet, wurde Lampsakos um 654/53 v. Chr. von den Phokaiern als Kolonie gegründet. Um 560 v. Chr. kam es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Miltiades dem Älteren und den Lampsakenern, über die der antike Historiker Herodot schreibt: „Nachdem Miltiades die Mauer auf der Landenge erbaut und damit den Apsinthiern einen Riegel vorgeschoben hatte, führte er zuerst Krieg mit den Lampsakenern, aber die Lampsakener legten ihm einen Hinterhalt und nahmen ihn gefangen. Miltiades aber war bei dem Lyderkönig Kroisos gut angeschrieben, und als der das erfuhr, schickte er zu den Lamsakenern und befahl ihnen, Miltiades freizulassen, … Da gaben die Lampsakener aus Furcht vor Kroisos Miltiades frei und ließen ihn ziehen.“ (Theodor von Braun (Übersetzer): Das Geschichtswerk des Herodot von Halikarnassos, 6,37)

546/45 v. Chr. geriet Lampsakos wie eine Vielzahl anderer kleinasistischer Griechenstädte in den Herrschaftsbereich der Perser und wurde bald darauf von den Tyrannen Hippoklos und Aiantides beherrscht. Im Ionischen Aufstand gegen die Perser, der 499 v. Chr. von Milet ausging und dem sich zahlreiche Griechenstädte Kleinasiens anschlossen, erhob sich auch Lampsakos, wurde aber durch Daurises wieder eingenommen. 464 v. Chr. gab der persische Großkönig Artaxerxes I. Lampsakos als Lehen an den exilierten Athener Staatsmann Themistokles. Als Mitglied im Attisch-Delischen Seebund zahlte die Stadt einen jährlichen Tribut von 12 Talenten. 411 v. Chr. fiel Lampsakos jedoch von Athen ab, wurde aber zurückerobert. Nach der Einnahme der Stadt durch den Spartaner Lysander (405 v. Chr.), blieb Lampsakos spartanisch bis zum Königsfrieden (auch Friede des Antalkidas genannt) von 387/86 v. Chr., als es wieder in den persischen Herrschaftsbereich überging. Zwar gelang es dem athenischen Feldherrn Chares Lampsakos 356 v. Chr. zurückzuerobern, doch wurde die Stadt um 342 v. Chr. erneut persisch und blieb es wohl auch bis 334 v. Chr., als Alexander der Große den Hellespont überschritt und Lampsakos einnahm. „In den Diadochenkriegen wechselte Lampsakos von Antigonos 302 v. Chr. zu Lysimachos, dann zu Demetrios und 295/4 v. Chr. erneut zu Lysimachos.“ (Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 6, Sp. 1089)

Nach dem Tode des Lysimachos (281 v. Chr.) gehörte die Stadt zum Seleukidenreich, bis Pergamon unter Attalos I. seine Herrschaft über die Städte Ilion, Alexandreia Troas und Lampsakos 227/26 v. Chr. ausdehnen konnte. Im Kampf gegen den Seleukidenkönig Antiochos III. schickte die Polis 196 v. Chr. Gesandte nach Rom. 190 v. Chr. verzichtete Antiochos III. schließlich auf Lampsakos. „Im Frieden von Apameia 188 v. Chr. wurde Lampsakos als autonome Stadt im Attalidenreich bestätigt, was Lampsakos – evtl. mit kurzer Unterbrechung durch die Eroberung des Perseus im Jahre 170 [v. Chr.] – bis zur Errichtung der Provinz Asia 129 v. Chr. blieb.“ (Der neue Pauly, ebenda, Sp. 1090)

Vergegenwärtigt man sich, daß Lampsakos auf Grund seiner überaus günstigen geografischen Lage am Hellespont, am Eingang zur Propontis (siehe Karte),


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Karte des nordwestlichen Kleinasien in der Antike. [Bildquelle: Eva und Wolfgang Szaivert nach David R. Sear: Griechischer Münzkatalog, Bd. 2: Asien und Afrika, München 1983, S. 82]


durch Seehandel zu beträchtlichem Wohlstand gekommen war und daß es auf seinem Gebiet über ergiebige Goldminen verfügte, dann wird schnell klar, wieso diese Polis im 4. Jahrhundert v. Chr. zu einem der bedeutendsten Goldstater-Emittenten wurde.



Die goldenen Statere von Lampsakos


Die Goldstatere von Lampsakos, die allesamt zwischen 390/89 und 330 v. Chr. im persischen Fuß (um 8,40 g/Stater) geprägt wurden, umfaßten aber nicht nur einen einzigen Typus, der dann ähnlich wie die persische Golddareike oder der Goldstater Phillips II. viele jahrzehntelang unverändert kursierte, sondern beliefen sich nach Agnes Baldwins Standardwerk über die lampsakenischen Goldmünzen von 1924 auf insgesamt 41 verschiedene Typen. Inzwischen kennt man noch etwa drei bis vier Typen mehr. Nun ja, gänzlich verschieden sind diese Münytypen nicht wirklich, da sie rückseitig alle das Wappen von Lampsakos, eine nach links oder rechts fliegende Pegasosprotome, zeigen. Einzelne Fachleute interpretierten diese Protome auch schon als „das Vorderteil eines geflügelten Seepferdes“. (vgl. Griechische Münzen aus der Sammlung eines Kunstfreundes, Basel/Zürich 1974, S. 304)

Allerdings unterscheiden sich diese anepigraphischen goldenen Statere grundlegend voneinander durch die völlig verschiedenen Vorderseitendarstellungen. So sehen wir in Abb. 1 der nachfolgend abgebildeten Münzen das Porträt der Göttin Athena im Korinthischen Helm, in Abb. 2 das Haupt des jugendlichen Gottes Hermes mit Petasos, in Abb. 3 den Kopf des bärtigen Helden Herakles im Löwenskalp, in Abb. 4 das Porträt des jugendlichen Gottes Apollon im Lorbeerkranz, in Abb. 5 den Kopf einer Mainade mit Efeukranz, flatternden Haaren, einem Haarband, Orringen und einer Perlenhalskette, in Abb. 6 den Kopf eines Satrapen mit weicher Tiara, in Abb. 7 die Erdgöttin Gaia mit gegürtetem Chiton, Getreideähren in ihrer Rechten sowie Ähren und Weintrauben hinter ihr, in Abb. 8 die halbnackte nach rechts kniende Göttin Nike beim Errichten eines Tropaions, in Abb. 9 ein Porträt der Göttin Athena im attischem Helm mit Ohrringen und Perlenhalskette in Dreiviertelansicht, in Abb. 10 den Kopf des bärtigen Gottes Pan mit geschultertem Lagobolon (Wurfholz für die Hasenjagd) und Stephane im Haar, in Abb. 11 das Porträt eines weiblichen Satyr mit Efeukranz, Orringen und Perlenhalskette, in Abb. 12 den Kopf des bärtigen Gottes Zeus im Lorbeerkranz, in Abb. 13 das Porträt des Jägers Aktaion mit kleinem Hirschgeweih, zum Zeichen dafür, dass er von Artemis in einen Hirsch verwandelt wurde, in Abb. 14 den Kopf eines bärtigen Kabiren mit lorbeergeschmücktem Pilos und in Abb. 15 das Porträt der Göttin Aphrodite mit Ohrring, Lotuskranz im Haar und Sphendone (Haartuch).


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Abb. 1: Lampsakos (Mysien). Stater (um 390 v. Chr.), Gold, 8,41 g, Ø 16 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Baldwin´s Auciton Ltd / Dimitry Markov Coins & Medals / M&M Numismatics Ltd, The New York Sale XXVII (4. Januar 2012), Los 467]

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Abb. 2: Lampsakos (Mysien). Stater (um 390–350 v. Chr.), Gold, 8,41 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatik Lanz, Auktion 150 (13. Dezember 2010), Los 143]

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Abb. 3: Lampsakos (Mysien). Stater (um 390–350 v. Chr.), Gold, 8,44 g, Ø 16 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatik Naumann, Auktion 39 (3. Januar 2016), Los 281]

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Abb. 4: Lampsakos (Mysien). Stater (um 390–350 v. Chr.), Gold, 8,41 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Gorny & Mosch, Auktion 185 (8. März 2010), Los 138]

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Abb. 5: Lampsakos (Mysien). Stater (um 390–350 v. Chr.), Gold, 8,43 g, Ø 17 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Nomos AG, Auktion 23 (30. November 2021), Los 128]

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Abb. 6: Lampsakos (Mysien). Stater (um 367–344 v. Chr.), Gold, 8,46 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: F. R. Künker, Auktion 312 (8. Oktober 2018), Los 2295]

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Abb. 7: Lampsakos (Mysien). Stater (um 370 v. Chr.), Gold, 8,35 g, Ø 17 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Classical Numismatic Group, Triton IX (10. Januar 2006), Los 901]

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Abb. 8: Lampsakos (Mysien). Stater (um 360–350 v. Chr.), Gold, 8,39 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatica Genevensis SA, Auktion 5 (3. Dezember 2008), Los 110]

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Abb. 9: Lampsakos (Mysien). Stater (um 360–340 v. Chr.), Gold, 8,44 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Gemini, LLC, Auktion IV (8. Januar 2008), Los 148]

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Abb. 10: Lampsakos (Mysien). Stater (um 350 v. Chr.), Gold, 8,42 g, Ø 18,3 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatica Ars Classica, Auktion 124 (23. Juni 2021), Los 197]

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Abb. 11: Lampsakos (Mysien). Stater (um 350 v. Chr.), Gold, 8,41 g, Ø 18,3 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatica Ars Classica, Auktion 116 (1. Oktober 2019), Los 170]

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Abb. 12: Lampsakos (Mysien). Stater (um 350 v. Chr.), Gold, 7,90 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatica Ars Classica, Auktion 100 (29. Mai 2017), Los Nr. 150]

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Abb. 13: Lampsakos (Mysien). Stater (um 350 v. Chr.), Gold, 8,45 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Classical Numismatic Group, Auktion Triton XVIII (6. Januar 2015), Los 582]

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Abb. 14: Lampsakos (Mysien). Stater (um 350–330 v. Chr.), Gold, 8,38 g, Ø 19 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Gemini, LLC, Auktion IV (8. Oktober 2008), Los 150]

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Abb. 15: Lampsakos (Mysien). Stater (um 330 v. Chr.), Gold, 8,41 g, Ø 18 mm, Münzstätte Lampsakos. [Quelle: Numismatica Ars Classica, Auktion 116 (1. Oktober 2019), Los 172]


Um welchen Satrapen es sich bei dem Goldstater aus Abb. 6 handelt, konnte in Ermangelung einer Legende bis heute nicht restlos geklärt werden. Agnes Baldwin sah in ihm Orontes, den Satrapen Mysiens. Andere Numismatiker sprachen sich dagegen für die Satrapen Ariobarzanes oder Artabazos III. von Kleinphrygien aus. „Für Artabazos III. spricht, daß die Athener unter Chares Lampsakos für Artabazos III. einnahmen und von diesem mit Goldmünzen belohnt wurden, die dieser möglicherweise in Lampsakos mit seinem Porträt prägen ließ. Die Möglichkeit, daß schlicht der Kopf eines Satrapen (ohne hiermit einen bestimmten Satrapen zu meinen) abgebildet ist, ist freilich nicht auszuschließen.“ (Auktionskatalog 312 des Auktionshauses F. R. Künker)

Anlaß zur Diskussion lieferte übrigens auch die Darstellung der jungen Frau auf dem Goldstater aus Abb. 7. Während Agnes Baldwin diese für die Erdgöttin Gaia hielt, interpretierten sie andere als Demeter, genauer gesagt als Demeter Chtonia. Chtonische Gottheiten bezogen ihre Kraft aus der Erde und Demeter symbolisiert den sich jährlich wiederhohlenden Zyklus von Leben (Geburt) und Tod im Bereich der Ackerpflanzen speziell des Getreides. Problematisch bei der Demeterinterpretaion sind allerdings die im Münzbild gezeigten Trauben, da sie zu dieser Göttin einfach nicht passen. Schließlich wurde Demeter in historischer Zeit zur Ackerbaugöttin, zur Göttin des Getreides und Dionysos zum Weingott. Das Attribut der Demeter war fortan die Getreideähre und das des Dionysos der Weinstock und dessen Trauben. Vergegenwärtigt man sich zudem, daß Gaia nicht allein die Personifikation der kosmischen Erde war, sondern als Spenderin und Trägerin von Leben und Vegetation, zu den ältesten Gottheiten überhaupt zählt, die die Griechen verehrten, dann sind Getreideähren und Trauben Attribute, die zu dieser Göttin durchaus passen, zumal der Begriff Vegetation im Umfeld der Gaia noch allumfassend zu verstehen ist. Mit anderen Worten, Vegetation bei Gaia schließt nicht nur Getreide ein, sondern ebenso Feldfrüchte, Obst, Gemüse, Blumen, Gräser, Hecken, Sträucher und Bäume – die gesamte bekannte Vegetation halt.

Ebenfalls interessant ist, daß Agnes Baldwin das Porträt aus Abb. 10 nicht als das des Pan interpretiert, obwohl der Bärtige kleine Hörnchen über der Stirn hat, sondern in ihm Herakles als Omphale mit Stephane und geschulterter Keule sieht. Nun ist die Stephane in der Tat ein weibliches Attribut, allerdings passen die kleinen Hörnchen weder zu Herakles noch zu Omphale. Und da auch das geschulterte „Instrument“ ein Lagobolon sein kann und nicht zwangsläufig eine Keule sein muß, ist in dem Porträt wohl eher Pan als Herakles zu sehen, wenngleich die Stephane kein Attribut Pans ist und somit das einzig „Ungewöhnliche“ an dem Pan-Porträt darstellt.

Betrachtet oder besser gesagt studiert man die 15 Abbildungen dieser Goldstatere noch einmal eingehend, dann offenbart sich einem nicht nur ihre große thematische Vielfalt, sondern vor allem ihr außergewöhnlich hohes künstlerisch-stilistisches Niveau. Zeigen doch diese Goldmünzen hochklassische bis spätklassische Porträts und figürliche Darstellungen, die den viel gerühmten antiken griechischen Porträtköpfen und Skulpturen in den großen Museen dieser Welt in nichts nachstehen – und dies gilt für nahezu alle Goldstatere von Lampsakos, auch für die, die hier nicht abgebildet werden konnten. Wenn Numismatiker und Liebhaber antiker griechischer Münzen behaupten, die goldenen Statere von Lampsakos seien nicht bloß die ansprechendsten antiken griechischen Goldmünzen, sondern gehörten auch eindeutig zum Schönsten, was die antike griechische Numismatik je hervorgebracht habe, dann triftt das, salopp gesagt, „ins Schwarze“ und ist beileibe keine Übertreibung.


Michael Kurt Sonntag



Literatur:

Peter Robert Franke, Max Hirmer: Die Griechische Münze. München 1964; Eva und Wolfgang Szaivert nach David R. Sear: Griechischer Münzkatalog. Bd. 2: Asien und Afrika. München 1983; Agnes Baldwin: Lampsakos. The Gold Staters, Silver and Bronze Coinages, in: American Journal of Numismatics, Vol. III. Third (Final) Part. New York 1924; Theodor von Braun (Übersetzer): Das Geschichtswerk des Herodot von Halikarnassos. Leipzig 1927, Neuauflage Frankfurt a. M. und Leipzig 2001; Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Hrsg.): Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, 16 Bde. Stuttgart, Weimar 1996–2003; Wilhelm H. Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, 10 Bde., 3. Nachdruckauflage. Hildesheim, Zürich, New York 1992/93.


Den in den Bildunterschriften erwähnten Quellen sei an dieser Stelle ausdrücklich und herzlich gedankt.

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