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Der Streit um den „Morgan-Dollar“

Im Jahr 1876 beabsichtigten die Vereinigten Staaten, ihre im Bürgerkrieg entwerteten Banknoten einzuziehen und zum Goldstandard zurückzukehren. Auch eine Silbermünze sollte als gesetzliches Zahlungsmittel dienen. Die Abgeordneten William Kelley und Richard Bland vom Repräsentantenhaus schlugen vor: „Es möge Gesetz werden, dass bei den Münzstätten der Vereinigten Staaten von Zeit zu Zeit Silberdollars mit einem Gewicht von 412,5 Grains Standardsilber pro Dollar ausgemünzt werden, wie schon im Gesetz vom 18. Januar 1837 vorgesehen, und dass diese Dollars zum gesetzlichen Zahlungsmittel für alle öffentlichen und privaten Schulden dienen, außer, die Zahlung in Goldmünzen ist gesetzlich vorgeschrieben.“ (Laurence Laughlin: The History of Bimetallism in the United States, New York 1893, S. 182). Das Repräsentantenhaus nahm die Vorlage im Dezember 1876 mit 167 zu 53 Stimmen an. Der Senat trug den Beschluss jedoch nicht mit. Mit der Umsetzung wäre die freie Silberprägung eingeführt worden. Angesichts eines zu dieser Zeit stark rückläufigen Silberpreises hätte dies in einem Währungssystem, das auf Gold basierte, zu einer Inflation führen können. Auf Initiative von Senator William Allison wurden dem Vorhaben daraufhin enge Grenzen gesetzt. Der Finanzminister sollte pro Monat Silber im Wert von zwei bis vier Millionen Dollar zum Marktpreis ankaufen und zu Dollarmünzen ausprägen lassen. Der „Brand-Allison-Act“ war geboren. Senator Allison forderte darüber hinaus, eine internationale Währungskonferenz zur künftigen Rolle des Silbers einzuberufen. Silber als zweites Währungsmetall mit einem festen Wechselverhältnis zum Gold sei problematisch. Ein Massenausstoß von Silberdollars werde wegen des Wertverhältnisses zwischen Gold und Silber von 1:16 in den USA und 1:15,5 in Europa erhebliche Konsequenzen haben: „Was wird dann das Ergebnis sein, wenn wir auf diesem Kurs beharren? Das Ergebnis wird entweder sein, dass die bimetallischen Nationen Europas ihre Münzstätten geschlossen halten werden; oder wenn sie ihre Münzstätten für die freie Prägung von Silber öffnen, wird jeder Silberdollar, der sich in den Vereinigten Staaten befindet, wieder nach Europa fliehen.“ (Congressional Record: Forty-Fifth Congress, Second Session, Volume VII, Washington 1878, S. 1085).

Senator William Boyd Allison (1829-1908). [Bildquelle: Lens of History].

Doch weshalb entbrannte damals überhaupt ein so hartnäckiger Streit um das Währungsmetall, insbesondere die Remonetisierung des Silbers? Ein Blick auf die wirtschaftliche Lage hilft: „Ab 1870 gab es in den USA ein intensives Wachstum; durch die rasante Technisierung, den Ausbau der Infrastruktur, der Eisen- und Stahlerzeugung wurden immer höhere Produktionsziffern durch weiter steigende Produktivität erzielt. 1865 war der amerikanische Industrieausstoß deutlich geringer als der Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs; 1900 hatten die USA in dieser Hinsicht alle drei Länder zusammengenommen überflügelt. Die Vereinigten Staaten wurden das Land des Fortschritts schlechthin, immer neue Erfindungen veränderten die Arbeits- und Alltagswelt.“ (Guido Thiemeyer: Internationalismus und Diplomatie, München 2009, S. 127). In dieser Situation gewann die Währungsfrage an Bedeutung. Angesichts des historisch niedrigen Silberpreises sahen die Befürworter eines bimetallischen Währungssystems die Chance, die Wirtschaft mit ausreichend Geld zu versorgen. Die Farmer des Westens, die sich für den Ausbau ihrer Betriebe verschuldet hatten, hofften auf eine Rückzahlung der Kredite in günstigem Silber. Die unter niedrigen Preisen leidenden Besitzer von amerikanischen Silberminen setzen auf einen festen staatlichen Abnehmer. Lediglich die im internationalen Handel auf Goldbasis agierenden Kaufleute des Ostens hatten kein Interesse an einer „Silberinflation“. Sie wollten einen stabilen Golddollar. Als fragwürdiger Kompromiss kam eine mehrfach veränderte Quotenregelung für Silberdollars heraus.

Morgan-Dollar (USA, 1882, 900er Silber, 26,7 Gramm). [Bildquelle: Numismatic Guaranty Corp.].

Genau zu dieser Zeit war der Designer George Morgan (1845-1925) von der Royal Mint in London als Assistent zur Philadelphia Mint gewechselt. Im Oktober 1876 traf Morgan in Philadelphia ein. Leitender Graveur war damals William Barber. Henry Linderman, der Direktor der Münzstätte, ließ Morgan zunächst Entwürfe für einen neuen „Half Dollar“ anfertigen. Zugleich legte er einen Entwurf für eine 100-Dollar-Goldmünze vor, die allerdings nie geprägt wurde. Als Modell für das Porträt der Lady Liberty auf dem „Half Dollar“ schlug ihm ein Freund vor, auf Anna Willess Williams (1857-1926) aus Philadelphia zurückzugreifen. Nach einem Termin mit der jungen Lehrerin sagte Morgan, ihr Profil sei das beste, das er bislang gesehen habe. Die Vorlage für den Avers-Stempel entstand in fünf Sitzungen. Im Oktober 1877 zeichnete sich ab, dass es aller Voraussicht nach in Kürze zur Prägung neuer Dollar-Münzen kommen würde. Der Direktor der Münzstätte wies daraufhin seinen Chefgraveur William Barber und dessen Assistenten George Morgan an, die nötigen Entwürfe anzufertigen. Er werde dann auswählen, welches Porträtbild verwendet werde. Morgan reichte einen überarbeiteten Entwurf seines „Half Dollar“ ein. Im Februar 1878 ließ Direktor Linderman dem Superintendenten der Münzstätte die Nachricht zukommen: „Zu Ihrer Information teile ich Ihnen mit, dass ich im Fall des im Kongress anhängigen Silbergesetzes die Absicht habe, beim Finanzminister eine Genehmigung für die von Mr. Morgan vorgelegten Entwürfe zu beantragen.“ (Leroy van Allen / George Mallis: Comprehensive Catalog of Morgan & Peace Dollars, Virginia Beach 1991, S. 83). Obwohl Morgan später zahlreiche weitere Münzentwürfe fertigte, ist der nach ihm benannte Dollar sein bekanntestes Werk geblieben. Im Februar 1917 erhielt Morgan nach dem Tod von William Barber die Stelle des Chefgraveurs der United States Mint zugesprochen. Anna Willess Williams, die Modell für sein Porträt gesessen hatte, wurde nach der Ausgabe der ersten Münzen landesweit bekannt. Sie bekam tausende Briefe, erhielt Besuch von fremden Menschen an ihrer Arbeitsstelle und zu Hause. Von den Silberdollars mit ihrem Porträt als „Lady Liberty“ wurden 1878 bis 1904 jährlich Millionen geprägt. Letzte reguläre Auflage war 1921. #USA #Dollar #Goldstandard #SenatorWilliamBoydAllison #GeorgeMorgan #PhiladelphiaMint #Münzstätte #AnnaWillessWilliams #Münzentwurf #LadyLiberty #DietmarKreutzer

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