Als der ehemalige General und Leibwächter Alexanders des Großen, der Diadoche und spätere König von Thrakien Lysimachos, um 297/96 v. Chr. anfing, einen Münztypus mit dem idealisierten Porträt des vergöttlichten Alexander und der Nike-tragenden Athena (der Athena Nikephoros) zu prägen, beschritt er damit einen völlig neuen Weg. Alexander erscheint uns auf diesen Münzen als Gott; weist ihn doch das Widderhorn, das er über der Königsbinde (dem Diadem) trägt, eindeutig als Sohn des widdergestaltigen Gottes Amun (Zeus Ammon) aus. Zudem wird das Göttliche durch lange, bewegte lockige Haare – im übrigen ein Merkmal des jugendlichen Dionysos – sowie durch die großen, tiefliegenden, aufblickenden Augen betont – diese waren im Hellenismus ein Stilmittel zum Ausdrücken von Pathos. Auch ist die für Alexander charakteristische Stirnlocke, die Anastole, auf diesen Münzen deutlich sichtbar. Dass Lysimachos auch als König nicht dem Beispiel der Könige Ptolemaios I. Soter und Demetrios Poliorketes folgte und wie diese sein eigenes Porträt auf seine Münzen setzte, sondern stattdessen mit dem Bildnis des vergöttlichten Alexander prägen ließ, ist bemerkenswert. Während jedoch die Vorderseite dem Gott Alexander „die Ehre erweist“, nimmt die Rückseite eindeutig Bezug auf Lysimachos und seinen überwältigenden Sieg bei Ipsos (301 v. Chr.). Denn dadurch, dass die Nike seinen Namen mit dem Lorbeer des Siegers bekränzt, selbst aber auf der Hand der mächtigen Göttin Athena steht, wird deutlich, dass es eigentlich Athena war, die Lysimachos den Sieg schenkte. Und da Ipsos sein größter Sieg war, dürfte es sich bei dieser Münzrückseitendarstellung um eine Anspielung auf jenen überragenden Sieg von Ipsos handeln. Die ikonographische Botschaft dieser Münze lautet: Die Königsherrschaft des Lysimachos ist legitim, weil sie vom vergöttlichten Alexander hergeleitet ist, während Athena als die machtvolle Gönnerin und Beschützerin des Königs fungiert. Oder anders formuliert: Lysimachos, der ehemalige Leibwächter, General und enger Vertrauter Alexanders des Großen, ist der rechtmäßige König und Nachfolger Alexanders und ein Liebling der Göttin Athena. Soweit die Bildsprache dieser Münze.
Künstlerisch betrachtet, gehören die Münzen mit dem idealisierten Porträt des vergöttlichten Alexander und der Nike-tragenden Athena zu den großartigsten des Hellenismus und zu den schönsten und eindrucksvollsten der gesamten griechischen Antike. „Zu den Meisterwerken des frühen Hellenismus gehören die Münzen des Lysimachos. [...] Aber erst seit 297 v. Chr. sind seine Prägungen von künstlerischem Rang. [...] An Kraft des Ausdrucks, an Erfassung und Idealisierung der gewaltigen Persönlichkeit des Makedonen-Königs und an Feinheit der Durchmodelierung sind viele dieser Stücke unübertroffen.“ (P. R. Franke / M. Hirmer: Die griechische Münze, München 1964, S. 118f.) Ob der Schöpfer dieses Münztypus allerdings der berühmte griechische Gemmenschneider Pyrgoteles war, der Lieblings-Gemmenschneider Alexanders des Großen, lässt sich definitiv weder mit ja noch mit nein beantworten. J. J. Pollitt schrieb diesbezüglich wörtlich: „This type is one of the most beautifully conceived medallions in ancient art, the masterpiece of a skilled gem-maker. One wonders if Pyrgoteles survived long enough to be its creator.“ (J. J. Pollitt: Art in the Hellenistic Age. 1986, S. 26) Mit anderen Worten: Hätte Pyrgoteles nur lange genug gelebt, um von Lysimachos mit der Kreation dieses Münztypus beauftragt worden zu sein, dann könnte er nach Pollitt durchaus dessen Schöpfer sein. Aber auch wenn es nicht Pyrgoteles gewesen sein sollte, der diesen Münztypus schuf, der Schöpfer war zweifellos ein wahrer Meister seines Faches.
Nun sind zwar längst nicht alle Münzen des Lysimochos von überragendem Stil, doch sind viele dieser lysimachischen Originale ausdrucksstark und ästhetisch. Leider lässt sich dies von den zahlreichen postumen Prägungen, die bis ins erste vorchristliche Jahrhundert hineinreichen und vor allem von thrakischen, westpontischen und kleinasiatischen Städten emittiert wurden, nicht mehr durchweg behaupten. Allmählich wurden die Münzreliefs nämlich immer flacher, die Münzen zunehmend breiter und die Porträts und figürlichen Darstellungen immer ausdrucksschwächer und lebloser.
Aber wie erklärt sich dieser stilistische Verfall? Nun, die Künstler, die für Lysimachos in Pergamon, Alexandria Troas, Lampsakos oder Ephesos die Münzstempel schnitten, waren zweifellos sehr viel besser, als jene, die in späterer Zeit für einzelne thrakische, westpontische oder kleinasiatische Städte arbeiteten. Immerhin war Lysimachos wohlhabend und mächtig genug, die Besten ihres Faches zu beschäftigen. Er dürfte auch alles daran gesetzt haben, genau diese zu bekommen. Für ihn hatten die Münzen nämlich, wie anderenorts bereits erwähnt, einen äußerst wichtigen propagandistischen Zweck zu erfüllen – der vergöttlichte Alexander und die Göttin Athena, mit deren Hilfe er seine Herrschaft legitimieren wollte, mussten deshalb so ästhetisch und so beeindruckend wie nur möglich gestaltet werden. Weil die nachprägenden autonomen Städte ihre Herrschaft allerdings nicht mehr durch Münzen zu legitimieren suchten, ist zu vermuten, dass sie ihren Stempelschneidern und deren Bildgestaltung wohl auch nicht mehr so große Aufmerksamkeit widmeten. Bedenkt man zudem, wie lang der Zeitraum war, über den sich die Emission der postumen Lysimachos-Münzen erstreckte und dass die Stempelschneider späterer Generationen allem Anschein nach nicht mehr nach den lysimachischen Originalen, sondern nur noch nach Kopien von Kopien gearbeitet haben dürften, dann mag hierin ein weiterer Grund dafür zu finden sein, dass die Alexander- und Athena-Darstellungen auf den postumen Prägungen im Laufe der Zeit immer fader und ausdrucksloser wurden. Für die ersten vier der hier gezeigten numismatischen Meisterwerke waren also zweifellos außergewöhnliche Künstler verantwortlich, während gleichzeitig das propagandistische Anliegen des Lysimachos eine entscheidende Rolle spielte, nämlich seine Herrschaft mit Hilfe stilistisch überragender Münzen zu legitimieren.
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