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Das Währungsexperiment von „Cryptonomicon“

Der wegen seiner Exkurse in die Kryptologie berühmt gewordene Roman des US-Amerikaners Neal Stephenson ist nicht nur ein spannender Abenteuerroman. Er gilt auch als wegweisend für die Entwicklung von Krypto-Währungen. Abwechselnd spielt er in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Gegenwart. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Japan als faschistischen Verbündeten stehen im Mittelpunkt. Als sich die japanische Niederlage gegen die Vereinigten Staaten abzeichnet, so heißt es, schafften die Japaner ihre in ganz Asien geraubten Goldvorräte auf die Philippinen. Dort sei das Gold in einem unteridischen Bunkersystem versteckt worden. Es sollte dem Aufbau einer neuen Währung nach Kriegsende dienen: „Vertrauen reicht weit, doch wenn man für eine Währung einstehen will, muss man an irgendeinem Punkt den Beweis dafür antreten. Irgendwo muss man tatsächlich einen Haufen Gold im Keller liegen haben. […] Grundsätzlich braucht man, wenn man eine Volkswirtschaft betreiben will, eine Währung. Wenn jemand mit einer der dazugehörigen Banknoten in eine Bank geht, muss man imstande sein, ihm Gold dafür zu geben.“ (Neal Stephenson: Cryptonomicon, München 2005, S. 1047). Der Einflussbereich des faschistischen Japans, so heißt es in der ansatzweise authentischen Geschichte weiter, sollte sich nach Kriegsende nicht nur auf Asien beschränken, sondern bis nach Australien reichen. Aus entschlüsselten Funksprüchen hätten die Amerikaner entnommen, „dass die Japaner sich mit dem Problem der Deckung ihrer Währung auseinander gesetzt haben müssen – und zwar nicht nur für Australien, sondern auch für Neuseeland, Neuguinea, die Philippinen, Hongkong, China, Indochina, Korea, die Mandschurei“ (Ebenda). Diesem Zwecke sollte das riesige Goldlager auf den Philippinen dienen.

US-Erstausgabe von „Cryptonomicon“ (1999). [Bildquelle: LiveLib].

Der Bergbauingenieur Goto Dengo baut in dem Roman an der philippinischen Hauptlagerstätte, die sowohl das Gold der Japaner als auch das der von Niederlagen zu Niederlage eilenden Deutschen aufnehmen kann: „Anfangs waren die Lieferungen ordentlich in Kisten verstaut und die Kisten trugen Kennzeichnungen in Schablonenschrift, die den Inhalt als Maschinengewehrmunition, Mörsergranaten oder Ähnliches auswiesen. Die später kommenden Kisten tragen keine Aufschriften mehr. Ab einem bestimmten Zeitpunkt kommt das Gold in Pappkartons und verrotteten Überseekoffern. Sie platzen ständig auf und die Arbeiter sammeln das Gold geduldig ein, tragen es auf den Armen in den Tunnel und werfen es in die Grubenwagen. Die Barren purzeln und schlagen mit einem Scheppern gegen das Blech, das Wolken von Vögeln aus den überhängenden Bäumen aufscheucht. Goto Dengo kann nicht anders, er muss die Barren einfach ansehen. Sie sind von unterschiedlicher Größe und manche sind so schwer, dass es zwei Männer braucht, um sie zu transportieren. Sie tragen die Prägestempel der Zentralbanken einiger Orte, an denen Goto Dengo gewesen ist, und vieler, von denen er nur gehört hat: Singapur, Saigon, Batavia, Manila, Rangun, Hongkong, Schanghai, Kanton. Da gibt es französisches Gold, das offenbar nach Kambodscha, holländisches Gold, das nach Jakarta, und britisches Gold, das nach Singapur geschafft worden ist – und das alles nur, damit es den Deutschen nicht in die Hände fällt.“ (Ebenda, S. 899). Ein Teil der Lieferungen bestehen aus dem Gold der Bank von Tokio. Goto Dengo schätzt, dass etwa zwei Drittel direkt aus Japan kommen.

Von Legenden umwobene Goldreserven. [Bildquelle: Cxfuel].

Im Krieg stoßen die Alliierten auf Meldungen, wonach geheime Goldlieferungen zwischen Deutschland und Japan unterwegs sind. Ein US-Spezialermittler überzeugt sich vom Wahrheitsgehalt, indem er sich in einem torpedierten U-Boot umsieht: „Während Sergeant Robert Shaftoe, das Gesicht gegen das kalte Gitter gedrückt, da liegt, ein paar Atemzüge tut, und seine Angst zu überwinden sucht, bringt eine große Welle das Boot so heftig zum Schaukeln, dass er fürchtet, nach hinten zu fallen und bis in den unter Wasser liegenden Bug zu stürzen. […] Und in diesem Augenblick sieht er die zersplitterten Kisten dort unten – sehr kleine Kisten, wie man sie etwa für sehr schwere Materialien verwendet. Sie sind aufgebrochen. Durch die Lücken in den Trümmern kann Shaftoe gelbe Ziegelsteine sehen, die einmal ordentlich aufgestapelt waren und nun überall verstreut sind.“ (Ebenda, S. 386). Mit einem Sprung in die Gegenwart zeigt Neal Stephenson in der Mitte seines Romans auf, warum seine Hauptakteure die riesigen Goldreserven aus dem Zweiten Weltkrieg heben wollen. Das Gold soll als Anker einer künftigen Digitalwährung dienen: „Wir werden unsere eigene Währung einführen.“ (Ebenda, S. 789). Initiator Randy Lawrence Waterhouse erklärt seiner Tochter Amy, warum diese nicht mit den heute bekannten Geldzeichen arbeiten werde: „Die Scheine – Banknoten – sind auf Papier gedruckt. Wir werden elektronische Banknoten ausgeben.“ – „Überhaupt kein Papier?“ – „Überhaupt kein Papier.“ – „Man kann es also nur im Internet ausgeben.“ – „Richtig.“ – „Was ist, wenn man einen Sack Bananen kaufen will?“ – „Sucht man einen Bananenhändler im Internet.“ – „Papiergeld scheint doch genauso gut zu sein.“ – „Papiergeld lässt sich zurückverfolgen, geht leicht kaputt und hat noch andere Nachteile.“ – „Elektronische Banknoten sind schnell und anonym.“ – „Wie sieht eine elektronische Banknote aus, Randy?“ – „Wie jedes andere digitale Ding: ein Bündel Bits.“ – „Ist es dadurch nicht leicht zu fälschen?“ – „Nicht, wenn man eine gute Verschlüsselungstechnik hat. Und die haben wir.“ (Ebenda, S. 790). Um einer künftigen digitalen Währung den nötigen Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung zu schaffen, muss sie aber dinglich abgesichert werden. Dafür würden große Mengen an Gold gebraucht.

Wrack von I-52 auf dem Meeresboden. [Bildquelle: Nauticos].

Die historischen Bezüge des Romans sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Tatsächlich wurde jahrzehntelang auf den Philippinen nach Goldreserven gesucht, die von den Japanern versteckt worden waren: „Wie die Deutschen in Europa, so bestahlen die Japaner in Asien die umliegenden Nationen. Sie raubten Edelsteine, goldene Buddha-Statuen, Münzen und Edelmetall von ungeheurem Wert. Allein bis 1940 sollen die Japaner Schätze mit einem Materialwert von drei Milliarden Dollar erbeutet haben. […] Geraubtes Geld aus den entlegensten Winkeln des japanischen Herrschaftsbereichs wurde auf die Philippinen – ein wichtiger Umschlagplatz – geschafft und dort versteckt.“ (Yamashitas Gold, in: Verborgene Schätze, Amsterdam 1991, S. 83). Überlieferungen besagen, dass die Wertgegenstände von den Japanern nicht rechtzeitig abtransportiert werden konnten: „Kriegsgefangene mussten einen Teil des Goldes in den Bergen um Manila vergraben. Außerdem sprengte die Marine Höhlen in Korallenriffe und versenkte ganze Schiffsladungen Gold vor der philippinischen Küste.“ (Ebenda). Ob diese Legenden einen wahren Kern haben, ist bis heute umstritten. Nachweisbar gefunden wurde bislang jedenfalls nichts. Verbürgt ist dagegen die Zusammenarbeit zwischen Japan und Deutschland. Im März 1944 stach das japanische U-Boot I-52 nachweislich mit Gold für Deutschland in See: „Das Boot war eines der größten U-Boote der Welt und konnte ohne Zwischenstopp über 30.000 Kilometer weit fahren. […] Die Frachten, zum Beispiel 9,8 t Molybdän, 102 t Wolfram, 120 t Zinn, 55 t Kautschuk, 3 t Chinin, 7 t Opium sowie 2 t Gold in 146 Barren als Entgelt für den deutschen Technologietransfer wurden aufs Boot verladen.“ (Geheimmissionen der japanischen und deutschen U-Boote im Zweiten Weltkrieg, auf: harp.lib.hiroshima-u.ac.jp, S. 103). Das U-Boot wurde im Juni 1944 von der US-Marine im Atlantik versenkt. Es liegt noch heute samt seiner goldenen Fracht auf dem Meeresgrund. #Gold #Goldwährung #Kryptowährung #Roman #Literatur #Cryptonomicon #NealStephenson #Deutschland #Japan #USA #ZweiterWeltkrieg #DietmarKreutzer

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