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Michael Kurt Sonntag

Stierringen auf thessalischen Drachmen aus Larissa


Auf den Drachmen aus Larissa in Thessalien erschienen im 5. Jh. v. Chr. Szenen aus der sogenannten „Taurotheria“. Taurotheria (wörtlich „Stierringen“) bezeichnet eine Form des Stierkampfes, bei welcher ein Reiter einen Stier mit seinem Pferd erst müde hetzte, sich dann auf den Stier schwang, ihn an den Hörnern packte und zu Boden zu werfen versuchte. Dabei musste sich der Reiter mit seiner ganzen Kraft an den Hörnern des Stieres festhalten und so lange mit diesem ringen, bis der so erschöpft war wie nur möglich, um ihn dann von den Hörnern aus mit Hilfe einer plötzlichen, gewaltigen Kopfdrehung so aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass das Tier schließlich kopfüber zu Boden stürzte und seine Hörner in die Erde spießte. Sollte dieses halsbrecherische Unterfangen gelingen, so musste der Reiter nicht bloß mutig und kräftig sein, sondern auch sehr geschickt im Umgang mit dem starken, gefährlichen Stier; auch musste das Zusammenspiel zwischen Reiter und Pferd perfekt sein. Lag der Stier schließlich am Boden, so eilten „Diener“ herbei, die das Tier fesselten und zum Opferaltar zogen - denn am Ende jeder Taurotheria stand die rituelle Opferung des besiegten Stieres. Wie die Vorderseite der nachfolgend abgebildeten Drachme veranschaulicht, ist auf ihr die Szene des Stierringens festgehalten, bei der der Reiter [Heros Thessalos?] mit aller Kraft versucht, den Stier zu Boden zu zwingen, während die Rückseite das nach dem Absprung des Reiters davon galoppierende Pferd mit losem Zügel zeigt.

Drachme (um 420-400 v. Chr.), 6,05 g, Ø [Höhe] Vs. 17,46 mm. Bildquelle: Künker, Auktion 83 (17. Juni 2003), Los 244.

Nun ist schon in der Vergangenheit die Behauptung aufgestellt worden, die thessalischen Stierkämpfe hätten ihren Ursprung in der minoischen „Taurokathapsia“ - dies waren Stierspiele, die im minoischen Kreta zwischen 2000 und 1400 v. Chr. praktiziert wurden. Vergleicht man allerdings die thessalischen mit den minoischen Stierspielen, so fällt auf, dass es grundlegende Unterschiede zwischen beiden gab. Erstens kam in der minoischen Taurokathapsia gar kein Pferd vor, d. h., der Mensch stand dem Stier völlig auf sich allein gestellt gegenüber. Zweitens schienen die Stierspiele in Kreta einen rein akrobatischen Charakter gehabt zu haben, da es hier nicht um die Unterwerfung und anschließende Opferung des Stieres ging, sondern bloß um eine Mutprobe des tollkühnen Akrobaten, der in einem todesmutigen Sprung über den Rücken des Stieres „hechtete“. Dem Historiker Kostas J. Gallis zufolge gibt es keinen Beweis für eine chronologische Kontinuität der Spiele von der Höhe der minoischen Zivilisation (2000-1400 v. Chr.) bis hin zu den thessalischen Stierkämpfen der klassischen Epoche (5 Jh. v. Chr.), klaffen doch Jahrhunderte dazwischen. Zudem spricht die große räumliche Entfernung zwischen Kreta und Thessalien auch nicht gerade dafür, dass die thessalischen Stierringerkämpfe ihre Wurzeln im minoischen Kreta hatten. Laut Gallis ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass diese Stierringerkämpfe ihren Ursprung in Thessalien selbst hatten, zumal die großen Herden der thessalischen Großgrundbesitzer nur mit geschickten Reitern hätten zusammengehalten werden können. Reiter, die im Umgang mit Stieren folglich sehr versiert waren und von daher prädestiniert für derlei Spiele. Von Thessalien aus, so Gallis, habe sich der thessalische Stierkampf dann in hellenistischer Zeit über die gesamte griechische Welt ausgedehnt. Inschriftlich bezeugt wird der Stierkampf thessalischer Art für Städte des griechischen Ostens, wie z. B. Aphrodisias, Ankyra, Smyrna und Sinope. In Rom wurde dieser von Julius Caesar eingeführt und breitete sich anschließend bis nach Gallien und Spanien aus. Die Wurzeln des modernen Stierkampfes, so wie er heute noch in Spanien praktiziert wird, liegen demnach eindeutig in Thessalien – wenngleich sich der Ablauf des Kampfes selbst in der langen Zeit auch gewaltig verändert hat. Einige der drastischsten Veränderungen sind darin zu sehen, dass erstens der moderne Kämpfer dem Stier nicht mehr unbewaffnet wie in der Antike, sondern nur noch waffenstarrend gegenübertritt, zweitens der Stierkampf im antiken Thessalien bereits zu Ende war, wenn der Stier besiegt am Boden und nicht erst tot in der Arena lag und drittens, der Stier in Thessalien erst im Anschluss an den Kampf einen nahezu schmerzfreien Opfertod starb und nicht schon im Wettkampf regelrecht hingemetzelt wurde. Was der thessalische Stierkampf dem Modernen folglich voraus hatte, war ein höheres Maß an kämpferischer Fairness, sowie die offensichtlich größere Achtung vor der göttlichen Kreatur.

Larissa (Thessalien), Antikes Theater. Bildquelle: Abelonas, Griechenland. Wikimedia Commons.


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