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Vortrag von Paul Höffgen im Berliner Münzkabinett: „Lieber schlechtes Kleingeld als keines“

Die Kipper- und Wipperzeit zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) stellte Landesherren und Kommunen vor gewaltige geld- und münzpolitische Herausforderungen. Die Finanzkrise betraf vor allem Münzstände, die über keine ausreichende Münzprägung und Edelmetallressourcen verfügten, um die Bargeldversorgung im eigenen Territorium zu gewährleisten. Paul Höffgen, Mitarbeiter des Berliner Münzkabinetts, befasste sich am 25. September in einem Vortrag vor der Numismatischen Gesellschaft Berlin mit diesem Problem und legte dar, wie die alte Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen um 1621 durch massenhafte Kupferprägung mit dem Kleingeldmangel fertig zu werden versuchte. Höffgen kennt sich als Bearbeiter eines im Berliner Münzkabinett befindlichen bedeutenden Fundus an Münzen der Kipper- und Wipperzeit gut aus. Aktuell schließt er die Bearbeitung von über 2.000 Kippermünzen der Sammlung Henri Balan ab, die das Münzkabinett mit Hilfe der Ronus-Foundation erwerben und für die Forschung sichern konnte. Er hat seine Erkenntnisse über die Machenschaften der „höllstinkenden Wucherer, eingeteuffelten Geizhälse und leichtsinnige Schandfunken“, wie der Volksmund man die Kipper und Wipper nannte, in dem 2023 von der Numismatische Kommission der Länder in der Bundesrepublik herausgegebenen Buch Die „Kipper- und Wipperzeit“ 1619–1623. Die größte Inflation in der Geschichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. (Heidelberg; arthistoricum.net) publiziert und legt demnächst eine  Studie speziell zu den Verhältnissen in Mühlhausen vor.


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Der Merian-Stich zeigt die thüringische Reichsstadt Mühlhausen mit ihren Kirchen und Festungsanlagen um 1650, daneben ein Ausschnitt aus einer um 1725 gefertigten Karte.


Gleich eingangs beschrieb Höffgen die Unzulänglichkeiten der im 16. Jahrhundert erlassenen Reichsmünzordnungen und die Art der Überwachung des Geld- und Münzwesens in den einzelnen Reichskreisen. Die Münz- und Geldgeschichte von Mühlhausen sei nur wenig erforscht, und die der Kipperzeit spiele in den wenigen Veröffentlichungen kaum eine Rolle. Viele Dokumente seien verloren gegangen. Aus den erhalten gebliebenen Schriftstücken aber lasse sich gut erklären, dass der Magistrat von Mühlhausen 1621 in eigener Machtvollkommenheit und abweichend von Praktiken in anderen Territorien wohl in einer Kammer des Rathauses etwa 800 000 einseitige Kupferpfennige mit Hammer und Handstempel schlagen ließ. Wer die Münzknechte waren, wie sie entlohnt wurden und woher das Kupfer stammte, könne nicht gesagt werden.


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Zahlreiche Flugschriften richteten sich mit deftigen Worten und Bildern gegen die Machenschaften  der Kipper und Wipper, dass Fürsten und Stadtregierungen hinter ihnen standen, nahm man nicht wahr oder wollte es nicht wissen.


Nach dem Ende der Kipperzeit verschwanden die Ein- und Dreipfennige mit dem einköpfigen Reichsadler aus dem Geldverkehr, heute sind sie sehr selten und kommen im Münzhandel kaum vor. Wie auch anderswo sei den Kippern und Wippern nichts oder kaum etwas geschehen und schon gar nicht den Fürsten und Stadtoberhäuptern, die von der elenden Kipperei profitiert hatten. Höffgen zufolge stieg der Organisator der Mühlhäuser Kipperprägung nach dem Grundsatz „Lieber schlechtes Kleingeld als keines“ sogar zum Bürgermeister auf. Da die Menge der Kupferpfennige nicht ausreichte, um den Kleingeldmangel in der Stadt und ihren Dörfern in der Umgebung zu bewältigen, wurde in der Reichsstadt auch Geld aus der Umgebung verwendet. Das Kupfergeld von Mühlhausen ist extrem selten. Höffgen zeigte Exemplare aus dem Bestand des Berliner Münzkabinetts. Ob es im Handel aufgetaucht ist und in anderen Sammlungen liegt, sei noch zu klären. Wie die Verhältnisse in anderen Reichsstädten der Umgebung und Fürstentümern beschaffen waren, sei weitere Untersuchungen wert.


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Lutz Fahron, der Vorsitzende der Numismatischen Gesellschaft Berlin (rechts), freut sich, dass Paul Höffgen Licht in das Dunkel der Geld- und Münzgeschichte von Mühlhausen zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs bringt.


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Um zu unterstreichen, dass Mühlhausen das Münzrecht besitzt, wurden 1619, zu beginn der Kipperzeit, Taler, Goldgulden und Groschen mit dem Stadtwappen geschlagen. In den allgemeinen Geldverkehr dürften sie nicht gelangt sein.

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Von den rund 800 000 einseitig geprägten Kupferpfennigen von 1621 und 1622 ist nur ein kleiner Rest überliefert. Eine Reihe von Exemplare befindet sich im Berliner Münzkabinett.


Die Bezeichnung Kipper und Wipper geht auf die Praxis zurück, mit einer Waage durch „wippen“ die schwereren Silbermünzen auszusondern, die anschließend eingeschmolzen wurden. Das Silber wurde durch  Zugabe von Kupfer, Zinn oder Blei geschmolzen und diente als Ausgangsmaterial für neue, minderwertige Geldstücke. An dem Verfahren, das nach dem Gesetz mit schweren Leibes- und Freiheitsstrafen belegt war, beteiligten sich große und kleine Fürsten, aber auch städtische Magistrate. Sie verdienten nicht schlecht dabei, mussten aber irgendwann einsehen, dass das böse Geld, wie man sagte, wieder zurück in die Staats- und städtischen Kassen floss.


In verschiedenen Territorien des Römisch-deutschen Reichs entstanden hunderte neue Münzstätten, die man im Unterschied zu den offiziellen Schmieden auch Heckenmünzen nannte. Auf sie richtete sich unter dem Motto „Schlagt tot das lose Pack“ die Wut der durch die Münzverschlechterung geprellten Menschen. Die in großen Mengen geprägten Kleinmünzen aus minderwertigem Silber oder ganz aus Kupfer, wie das Mühlhäuser Beispiel lehrt, verdrängte das gute alte Silbergeld und fügten der Wirtschaft, dem Handel und der Verwaltung der Länder und Städte großen Schaden zu. Überliefert ist, dass die Leute damals ihre guten alten Silbertaler an Händler nicht für 24, sondern für 40 und mehr minderwertige Groschen in der Meinung verkauften, ein gutes Geschäft gemacht zu haben.


Wer als Beamter und Geistlicher ein festes Einkommen in Form von großen und kleinen Kippermünzen ausbezahlt bekam, geriet in existenzielle Not. Für das Geld in seiner Hand bekam er kaum etwas zu kaufen, musste aber irgendwie seine laufenden Kosten bezahlen. Dass vor allem Geistliche von den Kanzeln und in Flugschriften gegen die Umtriebe der Kipper und Wipper wetterten und ihnen den Strick an den Hals wünschten, war kein Wunder, denn sie hatten unter der Geldentwertung besonders zu leiden. Gustav Freytag kam in seinem Buch Bilder aus der deutschen Vergangenheit (Bd. 2, Erstveröffentlichung 1859) zu dem Schluss, dass es „zuverlässige Landesherren und treue Münzbeamte auch damals im Lande (gab); aber ihre Anzahl war gering, und häufig war das Verhältnis des Münzmeisters, welcher von einem deutschen Kreise für tüchtig befunden war und in einer gesetzlichen Münze arbeitete, doch eine Tätigkeit voll befremdlicher Praktiken“. Beim Münzen habe jeder den andern betrogen: „Der Fluch, welcher nach der Sage auf dem Gold der deutschen Zwerge liegt, schien im 17. Jahrhundert noch alle die zu verderben, welche die glänzenden Metalle in Geld verwandelten.“


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Noch im 18. Jahrhundert war das Thema Kipper und Wipper präsent. So erließ Preußens König Friedrich II., der Große, aus gegebenem Anlass 1764 ein „Geschärftes Edict wider das so sehr eingerissene Kippen und Wippen derer Müntzsorten“, das allen schwerste Strafen androht, die sich unterstehen, vorhandene Münzen aufzukaufen und einzuschmelzen.


Bei der Bestrafung der Kipper- und Wipper gab es ein Problem, denn in Wahrheit waren viele von ihnen nichts anderes als Handlager und Befehlsempfänger der Fürsten und Stadtregierungen. Was etwa den Untertanen König Friedrichs II. von Preußen streng verboten war, das hatte er während des Siebenjährigen Kriegs (1756-1763) in großem Stil selber durch Prägung der minderwertigen Ephraimiten mit dem Bildnis und Wappen seines Kriegsgegners Friedrich August von Sachsen und später durch hochgeheime Nachprägung anderer Geldstücke praktiziert, ohne dass sich jemand fand, der den König der Münzfälscherei wegen zur Rechenschaft zog.


Helmut Caspar

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