top of page
  • Admin

Russlands Aufstieg zur europäischen Großmacht. Peters Eintrittskarte in die Europaliga

Florian Haymann


Weder das Nominal noch das Bildnis, nicht der Kaisertitel und erst recht nicht die Prägestätte der vorliegenden Münze waren überhaupt möglich gewesen ohne das politische Wirken dessen, der hier porträtiert ist: Pjotr Alexejewitsch Romanow, genannt „Peter der Große“. Er war es, der das Zarenreich Russland dem Kreis der europäischen Großmächte hinzufügte, und der Rubel ist der metallene Zeuge dafür.


Peter übernahm 1689 im Alter von 17 Jahren die Herrschaft über ein Land, das gesellschaftlich und technisch im Vergleich etwa zu den Königreichen Frankreich, England oder Schweden noch im Mittelalter steckte. Mitte des 17. Jh. war die Leibeigenschaft zementiert worden, die orthodoxe Kirche mit dem Patriarchen an der Spitze konkurrierte mit dem jeweiligen Zaren um die geistliche und weltliche Deutungshoheit, und ein völlig unterentwickeltes Bildungssystem verhinderte jedweden Fortschritt.


Die Finanzschwäche des Moskauer Staates spiegelte sich nicht nur in einem allgemein bescheidenen Lebensstandard, sondern auch in einer Armee, die sich des Osmanischen Reiches und gelegentlich einfallender Steppenkrieger allenfalls unter großen Verlusten erwehren konnte. Während in Mitteleuropa bereits Ansätze zu einer Industrialisierung,

besonders im Bergbau und Hüttenwesen, spürbar wurden, waren die russischen Bodenschätze noch weitgehend unentdeckt. Höher qualifizierte Tätigkeiten in Handwerk und Gewerbe, im Bau- und Militärwesen lagen nahezu ausschließlich in den Händen zugewanderter Spezialisten aus dem Westen.


Diese waren zum großen Teil in der Moskauer Ausländervorstadt Nemezkaja sloboda („Deutsche Stadt“) untergebracht. Genau dort verkehrte der junge Zar besonders gerne. Hier lernte er auch den schottischen General Patrick Gordon (1635–1699) und den Schweizer François Le Fort (1656–1699), einen Experten für Kriegsmarine, kennen. Letzterer begleitete ihn auf eine außergewöhnliche Studienreise, bei der Peter inkognito über die Niederlande bis nach England gelangte und sich Einblicke in eine ganze Reihe von Handwerken und gewerblichen Tätigkeiten verschaffte. Im Frühling 1698 hielt sich Peter in London auf, wo er auch die Prägestätte im Tower besichtigte.


Dort ließ er sich vom Master der Prägeanstalt, Isaac Newton (1642–1727), die „Mechanik“ vorführen. Die Prägemaschine auf dem neuesten technischen Stand hatte es ihm besonders angetan. Peter erkannte die Notwendigkeit, sein Land den europäischen Märkten zu öffnen.

Dazu benötigte er allerdings einen Zugang zur Ostsee, was ihn in Konflikt mit Schweden brachte. Die Kontrolle über den Seehandel im Baltikum lag seit Jahrzehnten in den Händen Schwedens, dessen Armee wiederholt ihre Überlegenheit gegenüber Russland unter Beweis gestellt hatte. Die Katastrophale Niederlage der russischen Truppen gegen eine zahlenmäßig deutlich kleinere schwedische Streitmacht in der Schlacht bei Narva 1700 führte Peter das Erfordernis einer grundlegenden Reform seines Heeres und seiner Militärpolitik klar vor Augen. Eine unter seiner Führung geschlossene Allianz von Dänemark-Norwegen und Sachsen-Polen führte von 1700 bis 1721 den Großen Nordischen Krieg gegen Schweden, der mit dem Frieden von Nystad endete und Russland den Status einer Führungsmacht im Baltikum verschaffte.


Dieser Erfolg basierte letztlich auf einer langen Reihe von Reformen, die Peter in Gang gesetzt hatte. Aber die Neubewaffnung der Armee, der Aufbau einer Flotte, die Anlage von Kanälen und Hafen, der Lohn für ausländische Spezialisten und die Förderung der Ausbildung russischer Studenten im Ausland waren überaus kostspielig und erforderten eine Modernisierung auch der gesamten Geldwirtschaft, die bisher nur auf Kleinsilbermünzen beruht hatte.


Kaiserreich Russland, Peter I. (1682/1689–1725), Rubel 1724, St. Petersburg, Silber, geprägt, 28,51 g, 33 mm. Bildquelle: Fritz Rudolf Künker GmbH & Co. KG, Auktion 285, 2017, Nr. 622 (Foto: Lübke & Wiedemann KG).

Die Münzproduktion rückte nun näher an die neuen Häfen und die Bergwerke heran. St. Petersburg, 1703 zu Ehren des Schutzheiligen des Zaren, Simon Petrus, an der Newa-Mündung gegründet, wurde das „Fenster zum Westen“ und der wichtigste Einfuhrhafen für Metalle. Bereits im November 1703 traf das erste holländische Handelsschiff ein, zugleich entstand die erste russische Waren- und Wechselbörse. 1712 wurde die Regierung von Moskau nach St. Petersburg verlegt. Die dortige Münzstätte wurde allerdings erst am 21. April 1724 eröffnet, im Prägejahr des vorliegenden Rubels. Die aus Nürnberg herangeschafften Handpressen wurden in einem Holzhaus des Bergbaukollegiums am linken Ufer der Newa aufgestellt. Für den Betrieb hatte Peter ausländische Stempelschneider nach Russland geholt, sie aber zur Ausbildung von russischen Lehrlingen verpflichtet.


Nahezu jedes Detail der Münze zeugt unmittelbar vom Wirken Peters des Großen. Das Nominal, der Rubel – abgeleitet vom Verb rubit („abschlagen“), was darauf Bezug nimmt, dass ursprünglich eine bestimmte Metallmenge von einer Silberstange abgehackt wurde –, geht auf eine traditionelle Maß- und Recheneinheit zurück, die Peter ab 1704 in Münzform ausprägen ließ. Im Vergleich zu den Geldstucken seiner Vorgänger fällt sofort die technische Präzision des Gepräges mit seiner exakt runden Form auf: Erstmals kam in den neu organisierten Münzstätten die Maschinenprägung zum Einsatz, wie sie in Westeuropa schon lange üblich war. Nicht zufällig ähnelten die neuen russischen Großsilbermünzen den in Westeuropa umlaufenden Talern.


Und auch in Gewicht und Feingehalt stimmten sie mit denjenigen Münzen überein, die zu der Zeit beispielsweise in Preußen und im Habsburgerreich kursierten. Damit entfiel eine entscheidende Hürde im Handelsaustausch mit dem europäischen Ausland. Allerdings war Peter nicht daran interessiert, dass seine Münzen dorthin abwanderten. Schließlich war jede einzelne von ihnen teuer erkauft, wenn man ihren Herstellungspreis mit den Talern der Habsburger vergleicht, in deren Territorien die Silberquellen nur so sprudelten. Dies soll nach zeitgenössischen Quellen auch der Grund gewesen sein, weshalb die Legenden in kyrillischen Lettern ausgeführt wurden.


Die Art und Weise, wie Peter der Große sich auf der Vorderseite seiner Münzen darstellen ließ, entspricht derjenigen seiner westeuropäischen Kollegen. Als erster Zar übernahm er das aus dem römischen Herrschaftsrepertoire stammende Attribut des Lorbeerkranzes. Dieser Hang zur westlichen Kaiseridee spiegelt sich auch in der Titulatur imperator, und tatsächlich hatte Russland seit 1721 den Status eines Kaiserreichs. Die Rückseite weist vier kyrillische „П“ („P“, für Peter) auf, die außen jeweils mit einer Krone besetzt sind; in der Mitte befindet sich eine Sonne. Die kreuzförmige Anordnung lies den Namen „Krestovik“ aufkommen: „Kreuzer“. Selbst die Tatsache, dass das Prägejahr, „1724“, in arabischen Ziffern zu lesen ist, verweist auf die petrinischen Neuerungen, denn zuvor waren Jahresangaben nach einem Buchstabensystem in Kyrillisch üblich gewesen. Zudem hatte Peter 1700 den byzantinischen Kalender verworfen und den (zu diesem Zeitpunkt freilich bereits veralteten) Julianischen Kalender übernommen. All dies macht den Rubel nicht nur zum metallenen Ausdruck der reformerischen Leistungen Peters des Großen, sondern er diente ihm auch als Eintrittskarte in den Club der europäischen Großmächte, deren Eintrittsgeld die bare Münze war.


Zum Weiterhören:

Florian Haymann stellt in einem World Money Fair podcast das Buch „Runde Geschichte. Europa in 99 Münzepisoden“ vor, aus dem der vorliegende Beitrag stammt und dessen Mit-Herausgeber und Mit-Autor er ist. Erfahren Sie mehr!


Am 29. Juni präsentierten wir Florian Haymanns Beitrag „Die attische Demokratie als politisches Paradigma. Geld fürs Wählen – das ist Demokratie!“ aus „Runde Geschichte. Europa in 99 Münzepisoden“.


Zum Weiterlesen

M. E. Diakov, Russian Coins of Peter the Great, o. O. 2000, 192 ff.

I. G. Spasski, Das russische Münzsystem. Ein historisch-numismatischer Abriss, Berlin 1983.

H.-J. Torke, Die russischen Zaren, 1547–1917, München 2005.



bottom of page