Pikettys Thesen: Gold, Silber, Schulden & Inflation
- dietmarkreutzer4
- 27. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Okt.
In seinem neuen Buch Die Kämpfe der Zukunft unterhält sich der französische Ökonom Thomas Piketty mit seinem amerikanischen Kollegen Michael J. Sandel, über Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert. Einleitend fragt Sandel: "Thomas, vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch über Gleichheit an der Paris School of Economics. Um zu erkunden, was Gleichheit bedeutet, kann man mit der Frage beginnen, weshalb Ungleichheit eine so wichtige Rolle spielt. Ihre Forschungen haben uns allen eindringlich vor Augen geführt, wie groß die Einkommens- und Vermögensungleichheiten sind. Lassen Sie uns mit diesen Ungleichheiten beginnen. Sie haben gezeigt, dass in Europa die reichsten zehn Prozent mehr als ein Drittel allen Einkommens und mehr als die Hälfte allen Vermögens auf sich vereinen. Und in den USA sind die Ungleichheiten noch größer. Viele von uns finden das besorgniserregend, aber warum genau ist es ein Problem?" (1) Piketty verweist in seiner Antwort unter anderem darauf, dass das Gefälle zwischen Reich und Arm heute viel geringer sei als früher: "So groß die Ungleichheit auf der ganzen Welt, in Europa wie den USA, in Indien wie Brasilien heute ist, langfristig hat es eine Tendenz zu mehr Gleihheit gegeben. (...) So korrekt die von Ihnen genannten Zahlen zum hohen Ungleichheitsniveau von heute sind, vor hundert Jahren waren sie schlimmer. Und vor 200 Jahren waren sie noch schlimmer. Es hat den langfristigen Fortschritt also gegeben. Einfach vom Himmel gefallen ist dieser Fortschritt noch nie. Es hat stets große politische Kämpfe und soziale Mobilisierungen erfordert. Und das wird in Zukunft nicht anders sein." (2)

Thomas Piketty
Bildquelle: Wikimedia, Fronteiras do Pensamento
Die Verteilung der Vermögen war für Piketty schon immer ein wesentliches Thema. Schon in der Einleitung seines Hauptwerkes Das Kapital im 21. Jahrhundert kam er darauf zu sprechen. Um sich dem Thema anzunähern, analysierte Piketty zunächst die Entwicklung der Einkommen und Preise. Dabei musste er konstatieren, dass im 18. und 19. Jahrhundert eine hohe Preiswertstabilität herrschte. Abgesehen von einem zeitweligen Inflationsschub durch die Assignaten, veränderte sich die Preise in seiner Heimat Frankreich kaum. Der von Napoleon engeführte Franc Germinal enthielt wie die Livre tournois seit 1726 genau 4,5 Gramm Feinsilber. Für den Romanschriftsteller Honoré de Balzac war es daher egal, ob er die Rente seines Helden Goriot mit 1.200 Francs oder 1.200 Livres angab. Ebenso war es in Großbritannien. Das dort herrschenden Pfund Sterling, das zunächst als goldene Guinea, später als Sovereign ausgegeben wurde, war bis 1914 immer 20 bis 25 Francs bzw. Livres wert: "Die einzig wichtigen Veränderungen betreffen die Festlegung neuer Einheiten oder die Schaffung neuer Währungen wie des amerikanischen Dollars im Jahr 1775 und der Goldmark im Jahr 1873. Aber sobald die Metallparitäten festgelegt sind, tut sich nichts mehr. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts weß jeder, dass ein Pfund Sterling ungefähr 5 Dollar, 20 Mark und 25 Francs wert ist." (3) Das jährliche Durchschnitteinkommen lag in Frankreich zu der Zeit, in der die genannte Romanfigur von Balzac agierte, bei ungefähr 400 bis 500 Francs pro Jahr. In Großbritannien lag es bei etwa 30 Pfund, stieg aber bis zur Mitte des Jahrhunderts auf 40 bis 50 Pfund. Während der Belle Époque, also kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren es 80 bis 90 Pfund.

Doppelter Sovereign (Großbritannien, 1902, 917er Gold, 16 Gramm, 28 mm
Bildquelle: Wikimedia, CGB
Auch die Entwicklung der Schuldenstände beleuchtete Piketty: "Vor dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hatte Großbritannien ebenso wie das Königreich Frankreich einen hohen Schuldenberg angehäuft. Die beiden Monarchien führten häufig Krieg gegeneinander und gegen andere europäische Länder, und vor allem hatten sie nicht genügend Steuereinnahmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren, so dass ihre Schulden stark stiegen. In beiden Ländern belief sich die Verschuldung um 1700 bis 1720 auf 50% des Nationaleinkommens und in den Jahren 1760 bis 1770 auf etwa 100%." (4) Mit dem sogenannten Zwei-Drittel-Bankrott in den Revolutionsjahren konnten die Schulden in Frankreich innerhalb weniger Jahre bis auf 20% des Nationaleinkommens abgebaut werden. In Großbritannien, das kein entwertetes Papiergeld eingeführt hatte, stieg die Schuldenlast infolge der Napoleonischen Kriege dagegen auf 200% des Nationaleinkommens. Erst nach hundert Jahren mit Haushaltsüberschüssen gelang es dem Inselreich, die Verschuldung auf unter 30 Prozent zurückzuführen. Mit den staatlichen Schuldpapieren konnten gemeine Bürger gute Gewinne machen. "Entscheidend ist, dass die Staatschulden im 19. Jahrhundert in stabiler Währung zurückgezahlt wurden: Die Inflation lag zwischen 1815 und 1914 praktisch bei null, und der Zinssatz für die staatlichen Papiere war recht hoch (im Allgemeinen um die 4 bis 5%." (5) Das ist heute anders.

Prüfgerät für Sovereigns
Bildquelle: Wikimedia, Wehwalt
In Deutschland wurde der Geldwert infolge zweier Weltkriege praktisch weggespült. Weltweit hat es die Inflation nach dem Zweiten Weltkrieg vielen Ländern ermöglicht, sich ihrer Staatsschulden zu entledigen. Ohne eine Bindung an eine bestimmte Menge an Edelmetall wird die Geldmenge weitgehend unkontrolliert ausgeweitet. Die Privatvermögen steigen, doch ihr Geldwert ist fragil: "Betrachtet man alle verfügbaren Daten, so lautet der verblüffende Befund, dass nie zuvor in Europa das Nationalvermögen so hoch war. Gewiss liegt unter Berücksichtigung der Höhe seiner Schilden das Nettovermögen des Staates fast bei Null, aber das private Nettovermögen ist so erheblich, dass die Summe beider wiederum seit einem Jahrhundert nicht höher lag. Die Vorstellung, wir stünden im Begriff, unseren Kindern und Enkelkindern beschämend hohe Schulden zu hinterlassen und sollten Asche auf unser Haupt streuen und Abbitte tun, entbehrt also jeder Logik." (6) Wie sich der Staat in Zukunft von seinen überbordenden Schulden befreit, dürfte also auf der Hand liegen: "In Anbetracht des relativ langsamen Wachstums seit den 1970er Jahren, befinden wir uns in einer historischen Phase, in der die Staatsschuld die öffentlichen Finanzen global sehr teuer zu stehen kommt. Das ist auch der zentrale Grund, aus dem es diese Schuld möglichst rasch zu tilgen gilt, idealerweise mittels einer progressiven einmaligen Vermögensabgabe, und notfalls durch Inflation. Wie immer aber die Entscheidungen darüber ausfallen mögen, sie obliegen einem souveränen Parlament und demokratischer Auseinandersetzung." Piketty plädiert also für eine Vermögensabgabe. Dass sich der Staat irgendwann zur Tilgung seiner Schulden auf irgendeine Weise der Privatvermögen seiner Bürger bedienen muss, erscheint unstrittig. Ob, wann und wie das im Einzelnen geschieht, wird jedoch die Zukunft zeigen.
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
(1) Thomas Piketty, Michael j. Sandel: Die Kämpfe der Zukunft; München 2025, S. 9
(2) Ebenda, S. 10ff.
(3) Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert; Bonn 2015, S. 145
(4) Ebenda, S. 172
(5) Ebenda
(6) Ebenda, S. 778




Kommentare