Im 19. Jahrhundert kam es nicht nur in Europa, sondern auch in der lateinamerikanischen Welt zu einem tiefgreifenden Wandel. Die Erfindung der Dampfmaschine bewirkte, dass eine intensive Handelstätigkeit zwischen den Kontinenten in Gang kam. Allerorten wurde mit dem Bau der ersten Eisenbahnverbindungen begonnen. Zwischen 1860 und 1913 erhöhte sich die industrielle Produktion der Welt auf diese Weise um mehr als das Siebenfache. Die aufwändige Handarbeit der Gewerbetreibenden in Mittel- und Südamerika geriet allmählich ins Hintertreffen: „Sowohl der industrielle Fortschritt in Europa als auch die technischen Neuerungen im Verkehrswesen trugen zu einer Überschwemmung des lateinamerikanischen Marktes mit Waren aus der Alten Welt bei. Der in England und anderen westeuropäischen Ländern nun herrschende industrielle Kapitalismus konnte der ganzen Welt eine Vielfalt von Waren zu Preisen anbieten, die unter denen der einheimischen Produkte lagen, so dass allmählich die traditionellen Heimindustrien von der Bildfläche verschwanden. Die nunmehr importierten Ponchos, Hüte, Messer, Stoffe aller Art, Getränke und verschiedensten Gebrauchsartikel verdrängten auf dem Markt die im eigenen Lande hergestellten Erzeugnisse.“ [1] Das ausufernde Interesse am Konsum war für die lateinamerikanischen Wirtschaften verhängnisvoll. Die inländische Wirtschaft litt. Rohstoffe für die entwickelten Industrieländer wurden billig exportiert. Im Gegenzug nahmen teure Importe von Fertigwaren aus Europa zu: „Man lernte schneller zu konsumieren als zu produzieren.“ [2]
Straßenszene aus Cerro de Carmen in Guatemala-City um 1900 [Library of Congress, Keystone]
Die Aufmerksamkeit der Menschen in Lateinamerika wandte sich vor allem England und Frankreich zu. An Großbritannien bewunderte man den technischen Fortschritt und die stetig wachsende Wirtschaft, an Frankreich die Lebensformen und die verfeinerten Erzeugnisse der Luxusindustrien. Europa war in den Augen der Lateinamerikaner die Wiege allen Fortschritts und europäisch bedeutete so viel wie zivilisiert: „Dies alles lässt sich nachweisen, wenn man die zunehmenden Reklame in der lateinamerikanischen Presse des 19. Jahrhunderts untersucht. Eben aus Europa eingetroffen, Erzeugnisse aus Paris, Wir verkaufen nur europäische Ware, so hieß es immer wieder in Anzeigen, die wir wie diese aus Zeitungen entnommen haben, die zu jener Zeit in Montevideo erschienen. Personen und Waren europäischer Herkunft empfahlen sich und wurden angepriesen: Musiker und Lehrer für Musik, Tanz und andere Fächer, Parfüms, Weine und Spirituosen, Seidenwaren und Hüte, Porzellan, Glaswaren, Möbel und auch Arzneien, die, nach ihrem vielseitigen Verwendungszweck zu urteilen, wahre Wunder hätten vollbringen müssen.“ [3]
Auch das stabile europäische Währungssystem wurde bewundert, insbesondere die von Frankreich im Jahr 1865 gegründete Lateinische Münzunion. Als anlässlich der Pariser Weltausstellung von 1867 eine internationale Währungskonferenz abgehalten wurde, entsandten auch einige mittel- und lateinamerikanische Länder eigene Vertreter bzw. Beobachter.
Guatemala, 4 Reales von 1860. 875er Gold, 0,8 g, 9 mm [Heritage Auctions 222346/ 63542]
In seiner Eröffnungsrede betonte der französische Außenminister Lionel de Moustier, dass der internationale Währungsvertrag vom Dezember 1865 auf alle zivilisierten Länder ausgeweitet werden solle. Die Delegierten nahmen sich der Frage an, ob eine weltweit gültige Handelsmünze auf der Basis des Franc geschaffen werden könne. Dafür spreche, dass „der französische Franc ein glatter Bruchteil so wichtiger Währungen wie des Talers, des Rubels und des Dollars sei, sich daher auch als Basis für eine internationale Währung eigne. Ergänzend wies der portugiesische Delegierte Graf von Avila auf die Ähnlichkeit zwischen dem französischen 25-Francs-Stück und dem englischen Sovereign hin. Durch geringe Modifikation könne eine vollständige Parität hergestellt werden. Schon in der zweiten Sitzung sprach sich die Konferenz einstimmig […] für Gold als Metallbasis einer internationalen Währung aus, wobei allerdings den Regierungen ofenstehen sollte, gleichzeitig auch Silber als Währungsmetall zirkulieren zu lassen.“ [4]
Mehrere mittel- und südamerikanische Länder führten daraufhin einen Goldpeso auf der Basis des geplanten 25-Francs-Stücks ein. So entsprach beispielsweise die infolge der Konferenz neu geschaffene Münze zu fünf Pesos aus Guatemala genau 25 französischen Francs. Fünf Venezolanos aus Venezuela hatten bald denselben Wert, ebenso ein Argentino zu fünf Pesos aus Argentinien. Das Experiment zur Übernahme des französischen Systems war jedoch kein Allheilmittel für die wirtschaftlichen Probleme der Region. Der Schritt war daher weder der erste Versuch, eine stabile Währung zu schaffen, noch der letzte.
Guatemala, 20 Pesos von 1869. 900er Gold, 32,3 g, 33 mm [Heritage Auctions 3083/30407]
Die zahlreichen Währungsreformen in Guatemala sind ein gutes Beispiel dafür: Nach der Unabhängigkeit von den Spaniern im Jahre 1821 hatte sich zunächst eine Zentralamerikanische Konföderation gebildet, zu der auch das heutige Guatemala gehörte. Als diese im Streit regionaler Führer zerbrach, proklamierte ein indigener Revolutionär namens Rafael Carrera im März 1847 die Republik Guatemala. Die neue Regierung legte im April 1853 fest, dass die Münzen der Republik auf der Basis des alten spanischen Währungssystems geprägt werden sollten, anstelle des königlichen Porträts aber mit einem Bildnis von Christoph Kolumbus versehen. Mit der Ernennung von Rafael Carrera zum „Präsidenten auf Lebenszeit“ im Jahre 1857 kam dessen Porträt auf die Stücke.
Die offizielle Prägung der Münzen begann im Jahr 1859, als die Prägestätte mit neuen Maschinen ausgestattet worden war. Entworfen wurde die Münzserie von Juan Bautista Frener, einem Bildhauer und Medailleur aus der Schweiz, der seit 1854 in Guatemala lebte. Die Goldmünze zu vier Reales mit einem Gewicht von nicht einmal einem Gramm und Durchmesser von neun Millimeter gilt als kleinste für den Umlauf bestimmte neuzeitliche Goldmünze. Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens hatte sie einen Wert von einem halben US-Dollar. Mit der Umstellung des Währungssystems im Jahr 1869 nach französischem Vorbild erschienen Goldmünzen zu 20 Pesos im Wert von 100 Francs und solche zu zehn Pesos. Das goldene Fünf-Pesos-Stück entsprach 25 Francs. Das Äquivalent zu einem Peso aus Silber war fünf Francs wert. Das Porträt des umstrittenen Präsidenten Rafael Carrera verschwand erst lange nach dessen Tod infolge eines Regierungswechsels im Jahre 1871.
Guatemala, 5 Pesos von 1877. 900er Gold, 32,3 g, 33 mm [Heritage Auctions 3073/31358]
Quellen
Weltbild Weltgeschichte: Süd- und Mittelamerika II – Band 23. Augsburg 1998, S. 47.
Ebd.
Ebd., S. 165.
Guido Thiemeyer: Internationalismus und Diplomatie. Währungspolitische Kooperation im europäischen Staatensystem 1865–1900. S. 45.
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