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Dunkler Punkt auf heller Fläche – Was bei Medaillen „mit Kupferstift“ bedeutet

In Auktionskatalogen ist bei Medaillenangeboten manchmal der Hinweis „mit Kupferstift“ zu lesen. Dahinter verbirgt sich der Brauch, meist aus der Barockzeit stammende Zinnmedaillen als solche auszuweisen, denn ungeübte Leute sollten sie nicht mit Silber verwechseln. Zwar hat man unzählige Medaillen aus diesem Edelmetall hergestellt, doch gab es auch billigere Ausgaben aus Zinn, die ihnen fast gleichen, zumindest was die hellglänzende Metallfarbe betrifft. Um sie von silbernen Prägungen unterscheiden zu können und gleichzeitig festzustellen, dass es sich um Originale handelt, hat man die Medaillen mit einem Kupferstift versehen. Diese winzige Marke in der Nähe des Randes ist an einem dunklen Punkt auf der hellen Oberfläche gut zu erkennen und stellt alles andere als einen Makel, sondern eine Art Qualitätssiegel dar.



Diese Zinnmedaillen mit Kupferstift feiern den Sieg des auf einem Streitwagen daher kommenden

und von einer Viktoria bekränzten König Friedrichs II. von Preußen in der Schlacht von Torgau 1760

und den 1770 zwischen ihm und Kaiser Joseph II. nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg geschlossenen Frieden von Teschen 1779. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].



Vor dem Prägen hat man in die Ronden, auch Schrötlinge genannt, kleine Löcher gebohrt und dünnen Kupferdraht hinein gesteckt. Beim Prägen wurden sie fester Bestandteil der Medaille und ließen sich ohne Beschädigung nicht mehr entfernen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts ist man davon abgegangen, Zinnmedaillen durch eine solche Markierung als Original- oder Erstprägung

zu kennzeichnen und zugleich zu signalisieren, dass sie nicht aus Silber bestehen. Das Verfahren war wohl letztlich zu umständlich und zu teuer.


Es gibt viele Beispiele für die Verwendung des kupfernen Punktes auf Medaillen, die anlässlich von so genannten Haupt- und Staatsaktionen wie Krönungen und fürstliche Todesfälle geprägt wurden. Es gibt auch Ausgaben, die an Hungersnöte und Teuerungen erinnern sowie solche, die zum Thema Krieg und Frieden hergestellt wurden. Da die Stücke aus billigem Material bestehen, konnte der sprichwörtliche „kleine Mann auf der Straße“ sie sich als Andenken an schlimme Zeiten leisten. Damit war der Wunsch der Hersteller erfüllt, auf haltbare und ansehnliche Weise mit geprägtem Metall über Zeitereignisse zu informieren und die Menschen auf einen gottgefälligen Weg zu führen. Denn das war das Ziel der für die „breite Masse“ bestimmten Medaillen, die zudem den Herstellern ein kleines Einkommen sicherten.


Auf der Nürnberger Medaille mit Kupferstift wird der verheerenden Folgen eines Hochwassers

im Februar 1784 gedacht. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].


Die so genannten Hungermedaillen, ob sie denn mit einem Kupferstift versehen wurden oder nicht, sind interessante Zeitzeugnisse für die schrecklichen Folgen von Missernten, Heuschrecken-, Mäuse- und Rattenplagen, Klimaveränderungen, Überschwemmungen sowie anderen Katastrophen. Als man sie herstellte, war die Landwirtschaft noch ziemlich urtümlich organisiert und alles andere als effektiv. Man hatte keine Erntemaschinen, und die Gutsherren zwangen ihre Leibeigenen zur Arbeit für geringen Lohn. Kleine Bauern produzierten vor allem für den Eigenbedarf. Was sie darüber hinaus auf den Märkten verkaufen konnten, legte zum Teil lange Wege in die Städte zurück.


Die Zinnmedaille mit Kupferstift nimmt das angeblich wunderbare Jahr 1772 aufs Korn,

das Hunger, Not, Krankheit und Tod, aber auch eine gute Ernte brachte. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].


Mit allegorischen Darstellungen und frommen Sprüchen, aber auch mit Angaben über aktuelle Brot-, Getreide-, Fleisch- und Getränkepreise versehen, bestehen die Hungermedaillen meist aus Zinn oder Messing und sind nur selten kunstvoll gestaltet.


Hungersnöte waren oft mit monatelanger Verdunklung des Himmels infolge von Flächenbränden, Vulkanausbrüchen und anderen Ursachen verbunden. Die daraus resultierende Kälte tat den Menschen und der Landwirtschaft nicht gut, auf der anderen Seite litten sie unter Hitze und Dürre, wie wir sie leider auch heute kennen. Getreide-, Brot- und Fleischpreise überstiegen nach Missernten oft das Einkommen großer Teile der Bevölkerung. Wenn sie nicht selber eine Landwirtschaft oder einen Garten besaßen, kamen die Menschen am unteren Rand der Gesellschaftspyramide nur schwer oder überhaupt nicht über die Runden, zumal wenn viele Kinder zu versorgen waren. Deshalb kam es immer wieder zu Hungerrevolten, die teilweise blutig niedergeschlagen wurden.


Die wenig kunstvoll gestaltete Zinnmedaille erinnert mit Preisangaben an die Teuerung in den Jahren 1771 sowie 1772 und die darunter an eine Mäuseplage in Sachsen, der 1773 große Teile der Ernte zum Opfer fielen. Henkel und Loch deuten an, dass man die Gussmedaillen am Band um den Hals tragen konnte. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].


Agrar- und Klimaforscher bringen Hungersnöte wie die auch durch Medaillen dokumentierten Ernährungskatastrophen der Jahre 1816 und 1817 mit dem spektakulären Ausbruch des Vulkans Tambora auf der zu Indonesien gehörenden Insel Sumbawa in Verbindung. Das durch die Eruption ausgeworfene Material verteilte sich über die ganze Welt und bewirkte globale Klimaveränderungen, die dem Jahr 1816 die Bezeichnung „Jahr ohne Sommer“ eintrugen. Auf der nördlichen Hemisphäre kam es durch Missernten und eine erhöhte Sterblichkeit unter Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des in dieser Hinsicht schwer getroffenen 19. Jahrhunderts. Die Verfinsterung der Sonne hatte einen Temperaturabfall bis sechs Grad zur Folge. Als in jenem Jahr Hungermedaillen mit Aufschriften wie „Verzaget nicht, Gott lebet noch“ und „O gib mir Brot, mich hungerts“ aus Zinn und Messing geprägt wurden, hatte man keine Ahnung, dass jener Vulkanausbruch am anderen Ende der Welt die Ursache für Missernten und Hungersnöte war.


Helmut Caspar


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