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Die Phoker, der 3. Heilige Krieg und die Tempelschätze von Delphi (356-346 v. Chr.)

Phokis, die Heimat der Phoker, war die in der Antike zwischen Westlokris, Doris, Thessalien, Ostlokris, Boiotien und dem Golf von Korinth gelegene Landschaft in Mittelgriechenland.

Karte Zentralgriechenlands. [Bildquelle: Oliver D. Hoover: Handbook of Coins of Northern and Central Greece, Lancaster/London 2014, S. 2]

Seit dem frühen 6. Jh. v. Chr. gehörten die Phoker genauso wie die Stämme der Thessaler, Boioter, Dorer, Ioner, Perrhaiber und Doloper, Magnesier, Lokrer, Ainianer, phthiotische Achaier, Malier und Delpher zum Bund der pyläisch-delphischen Amphiktyonie. Jeder dieser zwölf griechischen Stämme besaß im Rat der Amphiktyonie zwei Stimmen und hatte sich per Eid dazu verpflichtet, das Heiligtum der Demeter in Anthela (nahe der Thermopylen) sowie das des Apollon in Delphi zu schützen, bestimmte politische Verhaltensweisen einzuhalten und Vertragsbrüche einzelner Mitglieder zu ahnden. Da die Amphiktyonie um die Mitte des 4. Jh. v. Chr. „unter dem bestimmenden Einfluss Thebens stand“ (H. Bengtson: Griechische Geschichte: Von den Anfängen bis in die Römische Kaiserzeit, München 2002, S. 285) und Theben die stärkste Macht in Boiotien und der größte Rivale der Phoker war, und darüber hinaus nach der Hegemonie in ganz Mittelgriechenland strebte, klagten die Boioter 356 v. Chr., auf der Frühjahrsversammlung der Amphiktyonie, führende Phoker wegen angeblicher Religionsfrevel in Delphi an. Als Folge davon wurden die Phoker zur Zahlung einer hohen Geldstrafe verurteilt. Darauhin wählten diese Philomelos zum „strategos autokrator“ (= bevollmächtigter Stratege) an die Spitze ihres Staatswesens. Philomelos besetzte im Sommer 356 v. Chr. Delphi – den Ort und den heiligen Bezirk –, nachdem er zuvor von den Spartanern Rückendeckung und 15 Talente Silber erhalten hatte. Diesem Geld fügte er weitere 15 Talente aus eigenen Beständen hinzu, heuerte fremde Söldner und Phoker an und konnte so bis zum Winter mit ca. 5000 Soldaten alle Angriffe der Lokrer und der Boioter zurückschlagen. Im Winter 356/55 v. Chr. sandte er Botschaften nach Athen, Sparta und Theben, in denen er verkündete, die Tempelschätze Delphis nicht anzutasten. Sparta und Athen schlossen Verträge mit ihm, doch die Boioter, Lokrer u. a. sannen weiterhin auf Krieg. Philomelos belegte die reichen Bürger Delphis mit hohen Steuern, heuerte erneut Söldner an und konnte so die angreifenden Lokrer zurückdrängen, woraufhin sich diese an die Boioter um Hilfe wandten. Erst jetzt entschloss sich die Amphiktyonie auf Betreiben der Boioter dazu, den Phokern offiziell den Heiligen Krieg zu erklären – es war dies der 3. Heilige Krieg der griechischen Geschichte. Nun musste sich Philomelos, wenn er in diesem Krieg weiterhin die Oberhand behalten wollte, doch noch der Tempelschätze Delphis bemächtigen. Dies tat er ebenso wie die ihm während der nächsten zehn Jahre nachfolgenden Strategen Onomarchos, Phayllos und Phalaikos, doch den militärischen Sieg konnten die Phoker letztlich nicht erringen. Am Ende unterlagen sie den Verbündeten der Amphiktyonie und deren militärischem Retter Philipp II. von Makedonien. Nachdem der 3. Heilige Krieg beendet worden war, veranlasste Philipp den Rat der Amphiktyonie dazu, die Phoker aus ihrem Bund auszuschließen und an ihrer Stelle die Makedonen aufzunehmen und ihm die zwei Stimmen der Phoker zu übertragen. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass unter der männlichen Bevölkerung in der Phokis kein Blutbad angerichtet wurde. Die Kapitulationsbedingungen für die Phoker waren dennoch hart. Ihre Städte sollten zerstört werden und die Bevölkerung nur noch in Dörfern von genau festgelegter Größe wohnen. Ferner sollten sie jährlich 60 Talente als Schadenersatz an die Amphiktyonie zahlen, bis sie alle zuvor geplünderten Schätze von Delphi zurückgezahlt hatten. Alle geflohenen Phoker und alle, die am Raub der delphischen Schätze beteiligt gewesen waren, sollten verhaftet und verurteilt werden.

Dass die militärischen Oberbefehlshaber der Phoker aus dem Gold und Silber der delphischen Tempelschätze Münzen prägen ließen, um während des 3. Heiligen Krieges vor allem Söldner zu bezahlen und Alliierte oder Feinde zu bestechen, wissen wir aus der „Historischen Bibliothek“ des antiken Geschichtsschreibers Diodorus Siculus (Diodor von Sizilien). Da fast alle phokischen Münzen, die bis heute auf uns gekommen sind, aus Silber bestehen – von Onomarchos und Phalaikos kennt man auch einige Bronzemünzen –, steht fest, dass die Generäle vor allem Silbermünzen prägten. Ob sie auch Goldmünzen herstellen ließen, wie Diodor behauptet, ist eine Frage, die in Anbetracht der Tatsache, dass wir bis heute keine einzige phokische Goldmünze kennen, wohl eher verneint werden sollte. Allerdings darf keineswegs behauptet werden, dass zwischen dem Überleben einer Münze und ihrer Prägung ein zwingender Zusammenhang besteht. Schließlich könnten die Goldmünzen über die Söldner an fremde Landesherren, andere Militärs oder spätere Machthaber gelangt sein, die sie restlos einschmolzen oder aber ein Bruchteil dieser Münzen wurde vergraben und harrt bis heute seiner Entdeckung. Denkbar ist jedoch auch, dass in der Tat keine Goldmünzen geprägt wurden, weil sie gar nicht benötigt wurden und Diodor hier die Quellen möglicherweise missinterpretiert und die gängige Praxis seiner Zeit (des 1. Jh. v. Chr.) Gold- und Silbermünzen zu prägen, einfach in die Zeit des 3. Heiligen Krieges überträgt – eine These, wie sie übrigens Williams vertritt. Williams zufolge mussten die Generäle der Phoker nämlich nicht erst Goldmünzen prägen, um an das nötige Großgeld zu kommen, sondern hätten stattdessen das ungemünzte Gold und Elektron aus den Tempelschätzen gegen die Tetradrachmen der Athner, die Statere der Korinther oder die Didrachmen (Statere) der Lokrer eintauschen können. Zumal diese Großgeldnominale vom Münzfuß her gut zum Kleingeld der Phoker gepasst hätten. Vergegenwärtigt man sich, dass bei den bisherigen Schatzfunden weder phokische Gold- oder Elektronmünzen noch phokische Tetradrachmen oder Didrachmen gefunden wurden, dann scheint Williams mit seiner Annahme, dass die vier Generäle der Phoker höchstwarscheinlich nur Kleingeld prägten, gar nicht so falsch zu liegen. Unter den Silbermünzen, die bis heute auf uns gekommen sind, finden sich nämlich nur Hemidrachmen, Obole und ganz wenige Drachmen. Das Hauptnominal, die Hemidrachme, trägt auf ihrer Vorderseite die Abbildung eines von vorn gesehenen Stierkopfes und auf der Rückseite den Kopf des Apollon Delphinios im Lorbeerkranz nach rechts gewandt. Unter dem Hals des Gottes lesen wir den Buchstaben „F“ und unter seinem Kinn den Buchstaben „W“ als Abkürzung für „FWKIKON [NOMISMA]“, was so viel heißt wie [Münze] von Phokis.

Hemidrachme des „strategos autokrator“ Phayllos (352-351 v. Chr.), 2,74 g, Hdm. 13,59 mm, Münzstätte Delphi. [Bildquelle: F. R. Künker, Auktion 153 (14. März 2009), Los 8276]

Will man Williams Glauben schenken, dann sind von den insgesamt zwischen 356 und 346 v. Chr. geprägten Silbermünzen nur 166 Hemidrachmen, 21 Obole und 4 Drachmen auf uns gekommen. Dies macht zum einen deutlich, dass die Hemidrachme in der Tat das Hauptsilbernominal war, wirft aber zum anderen die Frage auf, ob die insgesamt geprägte Silbermenge denn überhaupt jemals groß genug war, um mehere Tausend Söldner jährlich zu finanzieren? Nun, geht man, wie Williams dies tut, davon aus, dass Philomelos nach einer zweimaligen Solderhöhung eine Hemidrachme Sold pro Tag und Mann zahlte, und dies vier Jahre lang so blieb und dass Phayllos nach dem Tode des Onomarchos den Sold für die Dauer eines Jahres auf eine Drachme verdoppelte, dieser Sold dann von Phalaikos während der nächsten fünf Jahre wieder auf eine Hemidrachme gesenkt wurde und dass jährlich 8000 Söldner bezahlt wurden, dann dürften nach Williams in zehn Jahren beinahe 3840 Talente Silber in Münzen umgewandelt worden sein. Eine gewaltige Menge, die seiner Ansicht nach ausgereicht haben dürfte, um die Bezahlung der Söldner zehn Jahre lang aufrecht zu erhalten, ohne auf die Ausprägung von eigenen Goldmünzen oder eigenen Didrachmen und Tetradrachmen zurückgreifen zu müssen, zumal ja zumindest von Onomarchos und von Phalaikos auch noch Bronzemünzen zur Entlohnung der Söldner benutzt wurden. Zusätzliche finanzielle Großgeldtransaktionen hätte man zudem bei Bedarf, wie an anderer Stelle schon erwähnt, mit Hilfe der athenischen Tetradrachmen, der korinthischen Statere oder der lokrischen Didrachmen bewältigen können. Wenn allerdings so gewaltige Mengen Silber, vor allem in Hemidrachmen, ausgemünzt wurden – dies müssen im Verlaufe von zehn Jahren immerhin mehrere Millionen gewesen sein –, wieso sind dann nur so wenige Münzen auf uns gekommen? Hierauf liefert Willliams eine ebenso einfache wie einleuchtende Erklärung. Zum einen sagt er, seien es immer die größeren und nicht die kleinen Münznominale, die von Menschen vergraben würden und folglich in Münzhorten „überlebten“. Zum anderen seien die jährlichen Entschädigungsraten, welche die Phoker nach dem 3. Heiligen Krieg an die delphische Amphiktyonie hätten zahlen müssen, derart hoch gewesen, dass man die überlebenden Bürger finanziell regelrecht ausgequescht habe, wodurch ein sehr großer Prozentsatz der Hemidrachmen in die Schmelztiegel der Amphiktyonie gewandert sei.

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