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Die Goldreserve des ermordeten Buchhändlers

Vor fast 50 Jahren veröffentlichte Pierre Gamarra, ein renommierter französischer Schriftsteller, seinen ersten und einzigen Kriminalroman. Er beginnt mit einer Entscheidung, die in den Pariser Radio-Nachrichten verkündet wird: „Traditionsgemäß trat heute die Jury für die Verleihung des Prix Goncourt im Restaurant Drouant, Place Gaillon, zusammen. […] Der Preis wurde Monsieur Paul Duboix für seinen Roman Das Schweigen des Harpokrates verliehen.“ (Pierre Gamarra: Der Mörder erhielt den Prix Goncourt, Berlin 1970, S. 17f.). Später kam eine weitere Meldung: „Dienstagnachmittag wurde in Moissac der Antiquar Gustave Muet im Flur seines Hauses ermordet aufgefunden. Er war durch drei Revolverschüsse getötet worden. Gustave Muet, dreiundsiebzig, lebte allein in einem abseits gelegenen Haus. Motiv des Verbrechens ist Diebstahl. In der Nähe der Leiche wurde ein Goldstück gefunden, das der oder die Mörder verloren haben.“ (Ebenda, S. 41). Der Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen war schon nach wenigen Tagen unübersehbar. In dem mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman des unbekannten Paul Duboix ist der Mord beschrieben, der in Moissac tatsächlich begangen wurde! Der Kommissar untersucht zunächst die Münze: „Ein Goldstück der Lateinischen Union.“ – „Donnerwetter! 38,50 zum Tageskurs“, reagierte ein Korrespondent der Regionalpresse. (Ebenda, S. 97). Es sollte nicht die einzige dieser Münzen bleiben.

Pierre Gamarra (rechts, 1919-2009), französischer Schriftsteller und Chefredakteur der Literaturzeitschrift Europe, im Jahr 1964. [Bildquelle: Wikimedia, Pierre et Condat].

Wenig später wird ein stummer Hilfsarbeiter namens Frisou mit vierzehn Münzen ertappt, die dem Mordopfer gehört hatten. Das Schauspiel, das der Mann dem Kommissar und seinen Mitarbeitern bietet, ist bizarr. Sorgfältig ordnet er das Gold nach einem unerklärlichen Muster auf einer Pelerine an: „Er verteilte die Goldstücke unregelmäßig auf dem grünen Stoff. Dann lehnte er sich zurück, so wie ein mit seinem Werk zufriedener Künstler Abstand nimmt, um es zu betrachten.“ (Ebenda, S. 122). Im Licht des Zimmers glänzen die Münzen wie Feuer: „Der Alte hatte sich erhoben und stand mit vorgebeugtem Körper da. Seine Augen flogen von einem Goldstück zum anderen. Man konnte meinen, er wolle das Leuchten des kostbaren Metalls in sich aufsaugen.“ (Ebenda).

Deutsche Erstausgabe von L’assassin a le prix Goncourt (1965). [Bildquelle: Booklooker, HH-Service Wittenberg].

Dass die historischen Goldmünzen zu 20 Francs in einem französischen Kriminalroman von 1963 eine so große Rolle spielen, kommt nicht von ungefähr. Als offizielles Zahlungsmittel hatten die Stücke bereits zu Beginn des ersten Weltkriegs ausgedient. Im Jahr 1952 wurde ihre Produktion aber überraschend wieder aufgenommen. Der Hintergrund war finanzpolitischer Art: „In jenem Jahr sank der Wert der französischen Währung infolge des Indochina-Krieges. Ministerpräsident Antoine Pinay legte ein Staatsdarlehen zu 3,5 Prozent auf, dessen Zinsen an den offiziellen Preis des 20-Francs-Münzen aus gekoppelt war. Es war die sogenannte Pinay-Annuität. Die Franzosen konnten Wertpapiere kaufen, deren Vergütung von 3,5 Prozent sich nach dem Preis des Napoleon richtete.“ (www.or-investissement.fr). Die Bürger sollten ihre Zinsen also nicht auf der Grundlage eines immer weiter verfallenden Francs, sondern auf der Basis einer wertstabilen Goldmünze ausgezahlt bekommen. Um den Staatshaushalt von zu hohen Zinszahlungen zu entlasten, beabsichtigte die Regierung, den Preis für die Münzen möglichst niedrig zu halten. Zu diesem Zweck brachte sie zwischen 1952 und 1960 insgesamt 37.483.500 neu geprägte 20-Francs-Goldmünzen auf den Markt. Für den Staat war die Anleihe dennoch ein schlechtes Geschäft. Trotz der künstlich erzeugten Goldschwemme stieg der Preis des Edelmetalls nämlich. Lag der Preis einer Münze anfangs bei 36 Francs, stieg ihr Wert bis zur letzten Zinszahlung im Jahr 1988 bis auf 1.474 Francs.

20 Francs (Frankreich, 1899, Randschrift: DIEU PROTEGE LA FRANCE, 900er Gold, 6,4 Gramm, 21 mm). [Bildquelle: Comptoir des Monnaies].

Von den Originalprägungen mit den Jahreszahlen 1907 bis 1914 sind die Nachprägungen kaum zu unterscheiden. Wegen der zwei Jahre zuvor erfolgten Trennung von Staat und Kirche hatten in Frankreich alle 20-Francs-Münzen ab 1907 die Randschrift LIBERTE EGALITE FRATERNITE: „Ein direktes Erkennungsmerkmal ist uns nicht bekannt, wobei an mancher Stelle von einer leicht rötlichen Farbgebung berichtet wird. Eine Zuordnung ist tatsächlich aber oft nur anhand des Zustands, der Patina sowie der Verschmutzung sowie der physischen Beschaffenheit der Randkanten an beiden Münzseiten möglich. Im Zweifel ist daher von einer Nachprägung auszugehen.“ (www.bullionweb.de). Die erwähnten Indizien für die Zuordnung haben einen bestimmten Grund. Die metallische Zusammensetzung der Münzen unterscheidet sich nämlich ein wenig. Die Pinay-Remakes enthalten 900,39 Tausendstel Gold. Die Originalmünzen wurden dagegen aus 902,63 Tausendstel Gold gefertigt. Der geringfügig höhere Anteil des Kupfers in den Nachprägungen soll angeblich den Ausschlag für eine tendenziell rötlichere Farbe geben. Der hohe Anteil der Nachprägungen gegenüber den Originalstücken der Jahrgänge 1907-1914 bedeutet allerdings, dass nicht umgelaufene Münzen so gut wie immer als Nachprägungen eingeordnet werden.


Bildtext: 20 Francs (Frankreich, 1914, Randschrift: LIBERTÉ EGALITÉ FRATERNITÉ, 900er Gold, 6,4 Gramm, 21 mm). [Bildquelle: NumisCorner].


In dem Kriminalroman von Pierre Gamarra ließ sich der Weg der Münzen im Zuge der Ermittlungen zurückverfolgen. Ein Gastwirt namens Roberti hatte sie dem Opfer vor der Tat verkauft: „Der Buchhändler wollte Gold haben, und Roberti benötigte bares Geld, um sein Hotel renovieren zu lassen. Er hat bei allen Heiligen geschworen, die Münzen zum normalen Kurs verkauft und mit dem Verbrechen nicht das Geringste zu tun zu haben.“ (Ebenda, S. 162). Das Mordopfer hatte sich den Erwerb der Münzen vom Munde abgespart: „Wahrscheinlich hatte der alte Mann kein Vertrauen zu unserem Geld und erwarb deshalb Gold.“ (Ebenda, S. 166). Für die Tat war aber letztlich weder der Gastwirt noch der Hilfsarbeiter Frisou verantwortlich. Der Mörder hatte das Gold bei seinem Opfer nämlich zufällig entdeckt! Um eine falsche Spur zu legen, legte er es Tatort aus, direkt neben der Leiche. Der stumme Frisou hatte das Opfer entdeckt, die Pelerine und die Goldstücke an sich genommen. Wer der Mörder war? Der am wenigsten Verdächtige! Aber lesen Sie am besten selbst …


Dietmar Kreutzer


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