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Die Brotmarken des Elberfelder Unterstützungs-Vereins von 1846/47

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung in Deutschland rapide. Die Geburtenzahl betrug in Preußen zwischen 1816 und 1846 im Durchschnitt 40,9 pro Tausend Einwohner, während die Sterberate bei 28,9 pro Tausend lag. Ermöglicht wurde die Bevölkerungszunahme durch eine stetige Steigerung der Lebensmittelproduktion durch Intensivierung der Landwirtschaft, Infrastrukturverbesserung durch Straßen- und Kanalbau, die den Warenaustausch erleichterten und nicht zuletzt durch verbesserte hygienische Verhältnisse und medizinische Fortschritte.

„Allerdings muss die Zunahme der Bevölkerung als Wachstum auf des Messers Schneide bezeichnet werde. Denn im Durchschnitt betrug der Kalorienkonsum in den 1840er Jahren 2.700 kcal pro Tag und Person. Das war – ganz abgesehen von der Eintönigkeit der Nahrung in den Unterschichten und den Defiziten in der Versorgung mit Mineralien, Vitaminen und Proteinen – nicht sehr viel mehr, als das, was heute etwa von der Weltbank als kennzeichnend für eine Situation absoluter Armut und damit als grenzwertig zum Verhungern angesehen wird (im Bevölkerungsdurchschnitt 2.200 kcal pro Tag). Anders ausgedrückt: Zwischen normaler Ernährungslage und Hunger lagen im frühen 19. Jahrhundert pro Tag und Durchschnitt etwas mehr als ein halbes Kilogramm Kartoffeln.“ (1)

Brotmarke, Elberfeld, 1847, 1 Brod, Variante 1, Quelle: Bronnert.


1846 wurde das fragile Gleichgewicht nachhaltig gestört. Die Witterungsbedingungen waren für die Landwirtschaft ausgesprochen ungünstig. Der April war außergewöhnlich niederschlagsreich, während die nächsten drei Monaten durch eine Trockenperiode gekennzeichnet waren, sodass die Saat nicht keimen konnte. Darüber hinaus fielen dann auch noch die wenigen Sommerfrüchte der großen Hitze im August zum Opfer. Zu allem Überfluss wurde die Situation, durch die vom Pilz Phytophtera infestans hervorgerufene Kartoffelkrankheit verschärft. Im Westen Preußens verfaulten die Knollen noch auf den Feldern, während im Osten erst die eingelagerten Kartoffeln Fäulnis zeigten.


Im Zuge der Industrialisierung nahm auch in Deutschland die Zahl der lohnabhängigen Arbeiter stark zu. Die Mitte der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts ist durch eine Wirtschaftskrise gekennzeichnet, die die Situation noch verschärfte. Reichte das Einkommen der Arbeiter gerade einmal zur Deckung des Existenzminimums, so bedeutete Arbeitslosigkeit bitterstes Elend. Wegen der schlechten Ernte verdoppelten sich die Preise für die Grundnahrungsmittel Brot und Kartoffeln. 1835 kostete ein siebenpfündiges Schwarzbrot noch 35 Pfennige, 1846 waren es bereits 7 ½ Silbergroschen (90 Pfennige) und dies bei einem Wochenlohn von 3 Talern (in Preußen galt 1 Taler 30 Silbergroschen zu 12 Pfennig, 1 Taler = 360 Pfennig).


Da die ärmeren Bevölkerungsschichten diese Preise nicht bezahlen konnten, gründeten mehrere Hundert wohlhabende Bürger unter Vorsitz des Oberbürgermeisters Adolf von Carnap am 27. November 1846 den Elberfelder Unterstützungs-Verein, der fünf Suppenküche einrichtete. Sie gaben täglich 4000 „gute, nahrhafte“ Suppenportionen zum Preis von 9 Pfennig (später auf 6 Pfennig herabgesetzt) aus. Vom 14. Dezember 1846 bis Ende Juli 1847 waren das insgesamt 438.973 Portionen. Der Zuschuss des Unterstützungsvereins betrug je Portion 3 ¾ Pfennig.

Brotmarke, Elberfeld, 1847, 1 Brod, Variante 2, Quelle: Bronnert.


Ferner beschloss man den Bürgern der untersten Steuerklasse und den Nicht-Steuerpflichtigen einen Zuschuss beim Kauf von Brot zu gewähren. In den „Genuss“ dieser Aktion kamen von 48.000 Elberfelder Einwohnerinnen und Einwohnern immerhin rund 16.000. Um Unberechtigte vom verbilligten Kauf des siebenpfündigen Schwarzbrotes auszuschließen, gab der Verein ab 17. Dezember 1846 besondere Zinnmarken aus. Pro Woche gab es eine Marke pro Person, bzw. zwei Marken für zwei und drei Personen, drei Marken für vier und fünf Personen usf. Diese Marken reduzierten den zu zahlenden Brotpreis um 2 ½ Silbergroschen (30 Pfennig). Da die Bäcker vom Unterstützungs-Verein nur 22 Pfennige vergütet erhielten, verzichten diese auf den Backlohn in Höhe von 8 Pfennig.

Mitte März 1847 stieg der Brotpreis auf 8 5/6 Silbergroschen (106 Pfennige). Da die Unterstützungs-Kommission günstige Lieferverträge abgeschlossen hatte, gelang es diesen Preis zu halten, während in den Nachbarstädten die Preise stiegen. Damit alle Elberfelder Bürger das „billige“ Brot erwerben konnten, gab die Stadt Brotmarken aus Kupfer aus. Angehörige der Klassensteuerstufe 1 – 13 ½ stand täglich ein Pfund Brot, Angehörige der Klassensteuerstufe 14 – 20 und Nichtsteuerpflichtige ¾ Pfund Brot zu. Die Zinnmarken blieben daneben weiterhin im Gebrauch. Ende April 1847 nahmen die Fälschungen überhand; täglich wurden bis zu 100 nachgemachte Brotmarken bei den Bäckern vorgelegt. Daher beschloss der Unterstützungsverein, die Zinnmarken nicht mehr auszugeben und nur noch bis zum 1. Mai einzulösen.


Ende April stieg der vorrübergehend zurückgegangene Getreidepreis wieder an. Um den Brotpreis für Elberfelder Bürger weiterhin bei 8 5/6 Silbergroschen zu halten, erhielten diese zum Nachweis ihrer Kaufberechtigung Brotmarken aus Pappe. Lediglich die Angehörigen der 20. Klassensteuerstufe erhielten weiter Kupfermarken, die wie die Zinnmarken einen Wert von 2 ½ Silbergroschen hatten. Die Bäcker erhielten für 56 Papp-Brotmarken 280 Pfund Roggenmehl zum Preis von 15 Taler bzw. für 14 ½ Taler gegen die kupfernen Marken.


Am 5. Juni 1847 wurde der Brotpreis auf 8 1/6 Silbergroschen (98 Pfennig) herabgesetzt. Die Empfänger erhielten ihr Brot weiterhin zu 6 1/3 Silbergroschen (76 Pfennig), sodass die Beteiligung der Bäcker in Höhe von 8 Pfennigen entfiel. Der Wert der Brotmarke ermäßigt sich also auf 1 5/6 Silbergroschen (22 Pfennig). Am 24. Juli 1847 beendetes der Unterstützungsverein die Ausgabe von Brotmarken, da der Brotpreis wieder bei 6 1/3 Silbergroschen lag. Insgesamt brachten 772 Spender 28905 Taler auf, sodass insgesamt 385.301 Brotmarke ausgegeben werden konnten.


Der Elberfelder Unterstützungs-Verein gab von Dezember 1848 bis Juli 1847 drei verschiedene Brotmarken aus:

Die erste Marke hat einen Durchmesser von 29 mm und besteht aus einer Legierung aus Zinn und Blei. Auf der Vorderseite im Perlkranz zweizeilig "1846 / 1847," darüber am Rand "THEURUNG" und am unteren Rand "ARBEITSLOSIGKEIT." Auf der Rückseite im Perlkreis zweizeilig "1 / BROD" und der Umschrift am Rand: "ELBERFELDER UNTERSTÜTZUNGS.VEREIN." 25.245 Marken wurden vom Elberfelder Bürger Hermann Seel unentgeltlich hergestellt. Lediglich der Wert des fehlenden Metallgewicht bei Rückgabe der Marken sollte erstattet werden. Die meisten Marken wurden also wieder eingeschmolzen. Daher dürfte die relative Seltenheit dieser Marken herrühren.   

Elberfelder Unterstützungsverein, 1846/1847, 1 Brod,

Quelle: Ulrich Felzmann, 155. Auktion [1. – 4. März 2016], Losnummer 1620


Die Kupfermarken mit einem Durchmesser von 22 mm befinden sich dagegen in vielen Sammlungen. Insgesamt 25.000 Marken wurden von der Elberfelder Firma August Beckmann geprägt. Die Vorderseite zeigt den Elberfelder Löwe auf einer Leiste, darüber am Rand „ELBERFELD“ und unten am Rand „1847“. Auf der Rückseite befindet sich in einer Linienverzierung eine „1“ und darunter „Brod“. Von dieser Marke kommen je zwei Vorder- und Rückseiten-Stempel vor, sodass insgesamt vier Varianten zu unterscheiden sind: (2)


  1. Vorderseite: 2. Schwanzquaste des Löwen zeigt auf das "D" von "ELBERFELD," "1847" mit Punkt.

  2. Vorderseite: Wie 1. aber "1847" ohne Punkt. Dieser Typ hat fast immer einen kleinen Randfehler unter der "8". Rückseite: Mit Punkt unter der Linienverzierung.

  3. Vorderseite: 2. Schwanzquaste des Löwen zeigt auf das 2. "L" von "ELBERFELD," "1847" ohne Punkt. Rückseite: Ohne Punkt unter der Linienverzierung.

  4. Vorderseite: Wie 3. aber "1847" mit Punkt. Rückseite: Mit Punkt unter der Linienverzierung.

Brotmarke, Elberfeld, 1847, 1 Brod, Variante 3, Quelle: Bronnert.


Die Papp-Marke wurden nur kurze Zeit an alle Einwohner ausgegeben. Die Vorderseite zeigt den Elberfelder Löwen mit einer Umschrift im Rechteck in Fraktur: "Elberfelder / Unterstützungs- / Verein. / 1847." Als Unterdruck dienen blaue Ornamente und zwei rosa Flecken. Auf der Rückseite des 46 x 56 mm großen Scheins findet sich zweizeilig "Ein / BROD."

Die Teutoburger Münzauktion GmbH bot bei ihrer Auktion 98 (4./5. Dezember 2015) unter der Losnummer 4245 eine Brotmarke aus Pappe an. Hierbei handelte es sich um das erste bekannte Exemplar außerhalb des Stadthistorischen Museums Wuppertal. Das Stück fand bei einem Schätzpreis von 500,00 € jedoch keinen Käufer.

Elberfelder Unterstützungs-Verein, 1847, 1 Brod,

Quelle: Teutoburger Münzauktion GmbH, Auktion 98 [4./5. Dezember 2015], Losnummer 4245.


Eckardt vertritt die Meinung, dass die Brotmarken

„… mit ein Grund [waren], weshalb es in Elberfeld mit seinen rd. 46.500 Einwohnern im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Städten 1847 nicht zu sozialen Protesten oder gar Hungerkrawallen kam.“ (3)

 Anderswo löste die Hungersnot der Jahre 1846 und 1847 Unruhen aus, die zusammen mit den politischen Spannungen zwischen neuer und alter Elite eine brisante Mischung hervorbrachte, deren Wirkung sich in der Revolution von 1848/1849 entfaltete.


Uwe Bronnert


Quellenangaben:


  1. Hans-Heinrich Bass, Natürliche und sozioökonomische Ursachen der Subsistenzkrise Mitte des 19. Jahrhundert – eine Diskussion am Beispiel Preußens, S. 145 f. <http://www.hsbremen.de/internet/hsb/struktur/mitarbeiter/bass/publikationen/downloadangebote/ bass_vortrag_ uhc_g_ttingen.pdf> (27.02.2016).

  2. Wolfgang Schulten, Die Wuppertaler Medaillen mit einem Anhang von H. Kimpel: Das Wuppertaler Kriegs- und Inflationsgeld, Frankfurt am Main 1977, Kat.-Nr. 503. S. 160.

  3. Uwe Eckardt, Die Elberfelder Oberbürgermeister von 1814 bis 1929, S. 60. <http://www.bgv-wuppertal.de/GiW/Jg19/5Buergermeister.de> (24.02.2016).

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