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Die Brotmarken des Elberfelder Kornvereins von 1816/17

Das Jahr 1816 ging in der Erinnerung der Bevölkerung weiter Teile Europas und Nordamerikas als das „Jahr ohne Sommer“ ein. Am 5. April 1815 brach auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora aus; zu weiteren Eruptionen kam es am 10./11. April. Durch die Explosion des Gipfels schrumpfte der Tambora von ursprünglich 4.000 m Höhe auf rund 2.800 m. Etwa 150 km3 Asche, Magma, Gesteinstrümmer und Gase wurden ausgestoßen und es entstand eine sechs km durchmessende und rund 1.100 m tiefe Gipfel-Caldera (Krater). (1) Die riesigen Aschemengen in der Atmosphäre führten zu einer globalen Klimaverschlechterung. (2)

Bundesrepublik Deutschland, 2017, 20 Euro. Gedenkmünze, 100 Jahre Laufmaschine von Karl Drais. Rechts oben auf der Münze, der Ausbruch des Tambora. Quelle: Bronnert.


Seit Anfang Juni 1816 wurde der Nordosten der USA und Kanada von mehreren Kältewellen heimgesucht. Im Norden der Neuenglandstaaten fielen fünf – 15 cm Schnee. Starke Nachtfröste ließen im Juli in Maine Wasserflächen über Nacht gefrieren.


Vergleich der Temperaturen von 1816 zum langjährigen Mittel 1971–2000.

Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d8/1816_summer.png.


In Mitteleuropa fiel der Sommer buchstäblich ins Wasser. Es war der kälteste und regenreichste Sommer seit Menschengedenken. Schwere Unwetter ließen den Rhein und zahlreiche andere Flüsse über die Ufer treten. In der Schweiz schneite es jeden Monat mindestens einmal bis auf 800 m. Getreide und Kartoffeln verfaulten auf den Feldern und eine nie gekannte Hungersnot kündigte sich an. Auch in der seit 1815 zu Preußen gehörenden Rheinprovinz führte die Missernte zu einer allgemeinen Lebensmittel-Verknappung und zu einem spürbaren Anstieg der Lebensmittelpreise.



Eine zeitgenössische Zeichnung kommentiert die Hungerkatastrophe 1816/17: Die notleidenden Menschen tun es den Kühen nach – und "fressen“ Gras. Quelle: Wikimedia.


„Im katholischen Köln vertraut man auf göttliche Hilfe – ‚Tausende von Menschen zogen prozessionsweise betend und singend durch die Stadt‘, berichtet die ‚Kölnische Zeitung‘ im Juli 1816, im Dom werden Bittgottesdienste abgehalten, um die bevorstehende Katastrophe abzuwenden.“ (3)

Preußen verhängte, wie auch andere Staaten, ein Getreide-Ausfuhr-Verbot. Das Brennen von Branntwein aus Kartoffeln wurde eingeschränkt bzw. verboten, das zum Brotbacken benötigte Roggenmehl durch Gerste, Hafer und Kartoffeln gestreckt. Für zwei Millionen Taler ließ der preußische König Getreide in den östlichen Landesteilen, die von der Missernte nicht betroffen waren, aufkaufen und in Richtung Rhein verschiffen. Im Zentrum der Textilproduktion, im bergischen Elberfeld, kostete im Februar 1816 ein siebenpfündiges Schwarzbrot 14 ½ Stüber. Bis zum November kletterte der Preis auf 21 ½ Stüber. (4) Hierfür musste ein Weber acht Stunden arbeiten. (5)


Unter Führung des Bankiers Jakob Aders gründeten 153 Bürger am 13. Juli 1816 einen „Verein gegen die Korntheuerung.“ In einem Lexikon aus dem Jahre 1827 wird dessen Aufgabe folgendermaßen beschrieben:

„Kornvereine werden von den Bürgern zum Ankaufe von Korn gestiftet, um in theuren Jahren sich gegen Hungersnoth zu sichern und um wohlfeileres Brot zu haben. Sie gleichen einem wohleingerichteten Haushalte, worin der Hausvater gleich von Anfang so viel Frucht kauft, als er das ganze Jahr bedarf, und zwar nicht in der Nähe, wo sie theurer ist, sondern in entfernten Gegenden, wo sie wohlfeil ist.“ (6)

Mit dem aufgebrachten Kapital in Höhe von 55.000 Talern – später sogar 125.000 Talern – kaufte die Kornhansa billigeres Getreide in Amsterdam und an der Ostsee. Dadurch war der Kornverein in der Lage, die Bevölkerung nicht nur ausreichend, sondern auch preisgünstiger mit Getreide zu versorgen als in den Nachbarorten.

„Hierdurch wirkte sie wohltätig auf die ganze Gegend, weil nun Elberfeld mit seinen 20.000 Einw. vom Kornmarkte der Gegend verschwand, und weil sich die Gegend immer nach den Preisen richtete, die die Kornhansa wöchentlich für ihr Kornhaus festsetzte.“ (7)

In Elberfeld nutzten nun geschäftstüchtige Bäcker das Preisgefälle und verkauften das mit „billigem“ Mehl gebackene Brot an Auswärtige zu den allgemein höheren Preisen der Nachbarorte. Folglich fehlte das Brot der heimischen Bevölkerung. Die 15 Schöffen, die die Geschäfte des Kornverein führten, beschloss daher am 27. November 1816, besondere Brotmarken auszugeben.

Abb. 4: Brotmarke, Elberfelder Kornverein, 1816/17, 1 Brod. Quelle: Bronnert.


84 Nachbarmeister verteilten wöchentlich nach einer Liste besondere Kupfermarken an bedürftige Bürger, die ihnen ermöglichten, dass 7-Pfund-Brot statt für 26 ½ Stüber für 21 ½ Stüber zu kaufen. (8) Auch als der Brotpreis später stieg, wurden die Marken beim Brotkauf mit fünf Stüber angerechnet. Besser gestellte Bürger hatten den vollen Preis zu zahlen. Die Bäcker wiederum erhielten im Kornhaus gegen Rückgabe der Brotmarken eine entsprechende Menge verbilligten Mehls. 50 Marken wurden mit vier Taler zehn Stüber angerechnet, denn nach der amtlichen Backprobe ergaben ein Malter 50 siebenpfündige Brote. Somit war gewährleistet, dass nur minderbemittelte Elberfelder Bürger in den Genuss des verbilligten Brotes kamen.

„Als am 9. Juli 1817 der Brotpreis wieder auf 21 Stüber zurückgegangen war, endete auch die Arbeit des Kornvereins. Bis dahin waren 23.000 Malter Getreide eingeführt und hiervon 20.000 Malter verbraucht worden. Die Brotmarken waren 542.325 mal in Zahlung gegeben worden. Obwohl das dem Kornverein zur Verfügung stehende Kapital mit 5 % p. a. verzinst wurde, verblieb dem Verein nach Liquidation noch ein Überschuss von 13.000 Talern.“ (9)

Der Überschuss diente der Errichtung des ersten Elberfelder Krankenhauses. Die Brotmarken sind auch heute noch, relativ leicht zu erwerben. Die Kupfer-Schrötlinge haben einen Durchmesser von 26 bzw. 24,5 mm. Die vierzeilige Schrift im Zentrum der Vorderseite lautet "ELBER / FELDER / KORN / VEREIN" und die Umschrift "KAUFT IN DER ZEIT 1816." Die Rückseite hat die Umschrift "SO HABT IHR IN DER NOT 1817," im Zentrum zweizeilig "I / BROD." Die Auflage von 40.000 Marken wurde in der Frankfurter Münze geprägt. Von den ausgegebenen Stücken wurden nur 26.710 eingelöst. Später waren die Marken noch einige Zeit mit einem Wert von ½ Stüber im Verkehr. (10) Nach Schulten wurden für die ehrenamtlichen Verteiler Silberabschläge und für die Stifter 18 Goldabschläge geprägt. Beide haben einen Durchmesser von ca. 25 mm. Nach Schulten wurden für die ehrenamtlichen Verteiler Silberabschläge und für die Stifter 18 Goldabschläge geprägt. Beide haben einen Durchmesser von ca. 25 mm. (11)



Abb. 5: „Feierlicher Einzug des ersten Erndte-Wagens in Heilbronn“ im Jahr 1817, nach einer Lithografien von Franz Friedrich Schmidt. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Jahr_ohne_Sommer#/media/Datei: Feierlicher_Einzug_des_ersten_Erndte-Wagens_in_Heilbronn_im_Jahr_1817.jpg.


Uwe Bronnert


Quellenangaben:


  1. Um eine Vorstellung von dem Ausmaß der Eruption zu bekommen, hier einige Daten bekannter Vulkanausbrüche neueren Datums: Im Frühjahr 1980 stieß der Mount St. Helens (USA) einen km3 aus, im April 1982 der El Chichon (Mexiko) rund fünf km3 und der Pinatubo (Philippinen) im Sommer 1991 etwa zehn km3.

  2. Wolfgang Rammacher macht allerdings darauf aufmerksam, dass Anfang des 19. Jahrhunderts allgemein ein Temperaturrückgang zu verzeichnen war und der Vulkanausbruch als alleinige Erklärung nicht ausreicht. Vgl. http://www.winterplanet.de/Sommer1816/ Jahr%20 ohne% 20Sommer. html, Stand: 21.02.2016, 15.00 Uhr.  

  3. http://www.ksta.de/koeln/200-jahre-preussen-am-rhein--eine-hungerkatastrophe-im-jahr-ohne-sommer,15187530,30508368.html, Stand: 22.02.2016, 18.30 Uhr.

  4. Stüber (Abkürzung: stbr.) ist die Bezeichnung für Kleingroschenmünzen, die im Nordwesten Deutschlands (also besonders in den Territorien des heutigen Nordrhein-Westfalen) etwa vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt wurden. Der Wert der Münze betrug 4 Pfennige.

  5. Die folgenden Ausführungen stützen sich, wenn nichts anderes angegeben ist, auf Horst Dahl, Die Wuppertaler Brotmarken, in: Numismatisches Nachrichtenblatt, 11/1981,  S.354 – 365.

  6. Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexikon.), Sechster Band. K bis L, 7. Originalauflage, Leipzig: F. A. Brockhaus. 1827, S. 260.

  7. Ebenda.

  8. Der tägliche Brotbedarf wurde mit ¾ Pfund pro Kopf angesetzt.

  9. Horst Dahl, S. 355.

  10. Ebenda.

  11. Wolfgang Schulten, Die Wuppertaler Medaillen mit einem Anhang von H. Kimpel Das Wuppertaler Kriegs- und Inflationsgeld, Frankfurt am Main 1977, S. 159.

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