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Der Kampf um Algier (1830)

Im 16. Jahrhundert war Algerien unter die Oberherrschaft des Osmanischen Reiches geraten. Deren Statthalter, die Deys, agierten aber zunehmend unabhängig. Die bescheidenen Einnahmen aus der Landwirtschaft und dem Handel versuchte die Bevölkerung der Hafenstadt Algier mit Piraterie aufzubessern. Das Kaperwesen gegenüber den „Ungläubigen“ aus Europa und Nordamerika war ein staatliches Monopol, das erhebliche Einnahmen brachte, insbesondere aus Lösegeldern aus dem Verkauf der weißen Sklaven. Diese über mehrere Jahrhunderte hinweg betriebenen Geschäfte  beeinflussten auch das örtliche Währungssystem:

„Was die Münzen betrifft, so kursieren in Algier fast keine anderen als spanische, französische und englische Gold- und Silbermünzen; zwar gibt es auch eine kupferne Scheidemünze, diese aber prägen die Türken selbst.“ (1)

8 Reales (Spanien, Münzstätte Mexiko, 1819, 903er Silber, 26,8 Gramm, 38,5 mm) – Bildquelle: Authentic Ancient Greek Roman Coins.


Insbesondere der spanische Taler oder Dollar zu acht Reales war im Umlauf. Die einheimischen Prägungen waren geringwertig. Höchste Wertstufe war ein doppelter Budju mit einem Silberanteil von weniger als 20 Gramm. Wegen der zunehmenden Gegenwehr der christlichen Staaten waren die Erträge der Algerier aus dem Kaperwesen allerdings rückläufig. Der Dey von Algier, der die Franzosen unter Napoleon um 1795 mit der Lieferung von Weizen unterstützt hatte, wartete Jahre später noch immer auf die Rückzahlung eines Teils der Schulden.  Am 29. April 1827 schließlich versetzte der Dey bei einem Streit über die Schulden dem französischen Konsul Pierre Deval einen Schlag mit dem Fliegenwedel. Der französische König Karl X., dessen ultrakonservative Regierung zu dieser Zeit auf einen außenpolitischen Erfolg angewiesen war, entsandte daraufhin eine Flotte nach Algier.


Hussein Pascha, letzter Dey von Algier (1773-1838) – Bildquelle: Wikimedia, Zhierry.


Am 14. Juni 1830 landeten 37.000 Mann auf 700 Schiffen in der Nähe von Algier. Zwei Schiffe waren kurz zuvor vom Kurs abgekommen und erlitten Schiffbruch an der Küste. Der Dey hatte ein Kopfgeld auf jeden gefangenen Franzosen ausgesetzt. Die Bevölkerung der Küstenorte schlachteten daraufhin die Franzosen regelrecht ab und eilten mit den abgetrennten Köpfen nach Algier:

„Es waren deren etliche und achtzig, die sie teils in Säcke gefüllt, teils mit durch Ohren und Nasen gezogenen Stricken befestigt, auf Maultiere und Kamele gepackt hatten. Als sie vor der Kassaba angelangt waren, ließ ihnen der Dey für jeden Kopf 100 Dollar auszahlen. Die Köpfe wurden auf dem kleinen freien Platz auf der Kassaba reihenweise aufgestellt und Algiers neugierige Einwohner strömten nun tausendweise dahin, um sie anzuspeien.“ (2)

Tags darauf verschenkte der Dey die Köpfe an das gemeine Volk, das mit ihnen allerlei Unfug anstellte. Schließlich kauften die Janitscharen, die den Gesandten des Königreichs Sardinien bewachten, die Köpfe auf und ließen sie beerdigen.

2 Budju (Algerien, Münzstätte Algier, 1238 n.H., 1823, 850er Silber, 20,3 Gramm, 38 mm) – Bildquelle: Wikimedia, Windrain.


Der Dey verfügte über 26.000 Janitscharen und unter Waffen stehende Kuloglu, also Abkömmlinge türkischer Väter und nordafrikanischer Mütter. Außerdem hatte er 16.000 bis 18.000 kabylische Infanteristen. Sie waren den gut ausgerüsteten Franzosen klar unterlegen. Den Nachteil gedachte der Dey durch Kampfgeist wettzumachen. Für die Kämpfe vor Algier in den folgenden Tagen setzte er daher ähnliche Kopfgelder wie kurz zuvor aus:

„Im Anfange, wo die Köpfe der getöteten Franzosen nur sparsam ankamen, ließ der Dey, um die Armee recht anzufeuern, für einen Kopf vierzig bis fünfzig spanische Dollar auszahlen; je häufiger aber die Köpfe in der Folge kamen, desto weniger Geld bezahlte er dafür, sodass der Preis allmählich herabsank, erst auf dreißig, dann auf zwanzig, später auf zehn und endlich auf fünf Dollar, ja dass er sogar in der letzten Zeit gar kein Geld mehr auszahlen ließ, sondern nur die Namen der Überbringer in ein Buch einschreiben ließ, um dieselben nach Beendigung des Krieges belohnen zu können.“ (3)

Den Franzosen gelang es mithilfe ihrer Artillerie, die Stadt Algier innerhalb von zehn Tagen zu erobern. Am 5. Juli 1830 unterzeichnete der Dey einen Vertrag, der Algier den Franzosen übergab. Er selbst ging ins Exil nach Neapel. Algerien war nun eine Kolonie. Im November 1848 wurde Algerien zu einem französischen Territorium erklärt.



5 Francs (Frankreich, 1831, 900er Silber, 25,0 Gramm, 37 mm) – Bildquelle: Numista, Heritage Auctions.


Einige Jahrzehnte später hatte sich die Situation an der nordafrikanischen Küste gewandelt. Den in den amerikanischen Kolonien von Spanien geprägte „spanischen Dollars“ im Wert von acht Reales gab es nicht mehr. Als silberne Handelsmünze hatte sich stattdessen der Maria-Theresia-Taler durchgesetzt. Die weit über 100 Jahre für den Bedarf in Übersee nachgeprägten Silbermünzen aus Österreich war das am weitesten verbreitete Zahlungsmittel in Marokko und Tunesien. Lediglich das zwischen den beiden Ländern gelegene Algerien machte seit der Besetzung durch Frankreich eine Ausnahme. Dort galt der französische Franc. Der deutsche Abenteurer Gerhard Rohlfs, der um 1860 unter dem Namen Mustafa-el-Tobib von Marokko nach Tunesien reiste, berichtete davon:

„Ich habe noch etwas Geld in meinem Turban eingenäht“, vertraute sich Mustafa einem Einheimischen an, „aber es sind Maria-Theresia-Taler. In Algerien kann ich nicht viel damit anfangen, dort gelten jetzt die Münzen der Frankistani. Gibt es eine Möglichkeit, die Taler in Franken zu wechseln?“ (16)

Rohlfs rollte seinen Turban auf und holte 60 Maria-Theresia-Taler hervor. Der Bekannte versprach, die Münzen so schnell wie möglich zu wechseln. Nach drei Tagen bekam Rohlfs den Gegenwert in französischen Münzen. Der Freund riet:

„Verstecke sie gleich wieder in deinem Turban. Wenn jemand merkt, was für ein reicher Mann du bist, sind gleich alle Räuber hinter dir her.“ (16f.)

Dietmar Kreutzer


Quellenangaben:

  1. Johann Friedrich Kessler: Reisen zu Wasser und zu Lande (1805); in: Gefangen unter Korsaren, Stuttgart 1997, S. 109.

  2. Simon Friedrich Pfeiffer: Meine Reisen und meine fünfjährige Gefangenschaft zu Algier (1834); in: Gefangen unter Korsaren, S. 245.

  3. Ebenda, S. 252f.

  4. Hans-Otto Meissner: Durch die sengende Glut der Sahara; Stuttgart 1967, S. 16.

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