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Dietmar Kreutzer

Das Münzkabinett der Bibliothèque nationale de France in Paris


Jean Babelon (1889-1978), der langjährige Direktor des Cabinet des Médailles an der Bibliothèque Nationale, war ein Spezialist für antike Numismatik. In einem Kunst- und Antiquitätenführer äußerte er sich einst über die Ursprünge des Medaillen-Sammelns: „Kaiser Augustus verteilte zum Jahreswechsel an seine familia Münzen aus Gold, deren Pracht und künstlerischer Wert auf diese Weise betont werden. Als man in den Klosterbibliotheken des Mittelalters Serien antiker Münzen als Geschichtsdenkmäler aufzubewahren begann, entstand der Brauch, diejenigen Geldstücke Medaillen zu nennen, die keine Geltung mehr besaßen oder mindestens ihre Eigenschaft als Tauschgegenstand, als kursierende Münze verloren hatten und denen nur noch Sammlerwert, künstlerische oder wissenschaftliche Bedeutung zukam.“ (Jean Babelon, Medaillen, Plaketten, Jetons, in: Keysers Kunst- und Antiquitätenbuch, Band 2, Heidelberg 1959, S. 196f.). Die Abteilung für Münzen, Medaillen und Antiquitäten in der Pariser Nationalbibliothek, das ehemalige Medaillenkabinett, verfügt über eine der bemerkenswertesten Sammlungen von Münzen und Medaillen aus aller Welt, aber auch über eine Kollektion von Antiquitäten aus dem Nahen Osten, Griechenland, Rom sowie einheimische Antiquitäten. Eine Fachbibliothek mit fast 100.000 Einheiten und eine große Sammlung von Archivalien und Manuskripten bieten ein ideales Umfeld für das Studium der Numismatik, Archäologie, Kunstgeschichte und -techniken sowie der Geschichte des Sammelns und von Sammlungen. Die Abteilung ist aus der Sammlung der Könige von Frankreich hervorgegangen. Der Kapetinger Philipp II. (1165-1223) sowie die Könige Johann II. (1319-1364) und Karl V. (1338-1380) aus dem Hause Valois hatten seit dem Mittelalter alle Arten von kostbaren und seltenen Gegenständen gesammelt. Dabei handelte es sich nicht nur um Gold und Edelsteine, sondern auch als Medaillen bezeichnete antike Münzen. Unter Heinrich IV. von Navarra (1553-1610) wurde aus dem privaten Kabinett von Kunstliebhabern eine nationale Sammlung, die auch der Öffentlichkeit zugänglich war. Bedeutsam wurde die Sammlung aber erst unter König Ludwig XIV. (1638-1715). Der Sonnenkönig erbte unter anderem das Kuriositätenkabinett seines Onkels Gaston de Bourbon (1608-1660), Herzog von Orleans. Zudem erweiterte er die Bestände durch Ankäufe seiner Emissäre im Ausland sowie um ganze Kollektionen. Damit er sich täglich mit seinen Schätzen beschäftigen konnte, holte Ludwig XIV. die Sammlungen in seine unmittelbare Umgebung.

Aus der Leidenschaft für Münzen und Medaillen entwickelte sich ein Plan zur Ausgabe von Medaillen: „Die Vorliebe des Königs für antike Münzen konnte sich frei entfalten, als im Jahre 1684 die bisher im Louvre aufbewahrten königlichen Sammlungen nach Versailles überführt wurden. Von da an nahm der bereits unter Karl IX. und Heinrich IV. aufgestellte Plan einer Histoire métallique feste Gestalt an und wurde 1662 unter der Leitung Colberts verwirklicht.“ (ebenda, S. 205). Das Vorhaben führte zu einer ganzen Reihe von Medaillen und Jetons mit schöngeistigen Darstellungen, darunter Porträts aus den verschiedenen Altersstufen des Königs und den Mitgliedern der königlichen Familie. Viele wurden im Krieg wieder eingeschmolzen. Das Pariser Münzkabinett hat eine vollständige Serie dieser Vorstufe moderner Gedenkmünzen in ihrem Bestand: „Das Cabinet des Médailles de France besitzt ein ungeheures Goldstück, das gleichzeitig eine künstlerische und historische Denkwürdigkeit darstellt. Die Medaille zeigt das Porträt des jungen Ludwig XIV. und auf dem Revers die 1665 von Bernini entworfene Fassade des Louvre, die der Kolonnade von Perrault weichen musste. Das Stück war in Gestalt zweier aufeinander gelöteter Scheiben entworfen worden. Gelegentlich begegnet man nachmodellierten, getrennten Exemplaren. Die seltenen Originale waren nummeriert.“ (ebenda, S. 204f.).

Im Jahr 1724 kehrte das Kabinett in die alte Bibliothèque National in der Pariser Rue de Richelieu zurück. Der Architekt Jules-Robert de Cotte (1683-1767) entwarf den Salon Louis XV., das als Cabinet du Roi bekannte Münzkabinett. Der Raum wurde der von den besten Malern seiner Zeit ausgestattet: François Boucher, Charles-Joseph Natoire und Carle Van Loo verwirklichten sich nach 1740 mit kunstvollen Gemälden und Ornamenten. Die junge Wissenschaft der Archäologie fand hier reichhaltige Quellen des Wissens. Der Pionier Anne-Claude de Caylus (1692-1765) stiftete ihm alle seine Antiquitäten. Auch die Tradition der Histoire métallique blieb lebendig. Vor allem Kaiser Napoleon widmete sich ihr. Mit den Themen wurde 1806 eine Klasse des Kaiserlichen Instituts beauftragt: „Selbstverständlich wurde das Profil Napoleons, idealisiert wie das eines römischen Kaisers, von den Künstlern im Sinne der Heldenverehrung gestaltet. Jean-Bertrand Andrieu, dem die Wiedergabe des überhöhten Glanzes der kaiserlichen Majestät am besten gelang, widmete sich ganz Napoleon und der kaiserlichen Familie. Er modellierte die Porträts der Kaiserinnen Josephine und Marie-Louise und feierte die Taufe des Königs von Rom in einem der besten Kinderporträts, das die Geschichte der französischen Medaille kennt.“ (ebenda, S. 212).

Die Revolution von 1789 brachte außergewöhnliche Kunstgegenstände, die aus den Schätzen von Saint-Denis, Sainte-Chapelle und anderen Orten stammen oder vor der Zerstörung bewahrt wurden, in das Kabinett. Im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert erwarb das Kabinett der Bibliothèque Imperial, später Bibliothéque National, weitere Kostbarkeiten. Zudem erhielt es große Spenden. Das berühmteste Beispiel ist die Sammlung von antiken Münzen, Medaillen, Steinen und Vasen, die Honoré Théodoric d’Albert (1802-1867), der Herzog von Luynes, dem Kabinett im Jahr 1862 übereignete. Auch Objekte aus Randbereichen der Numismatik wurden weiter angegliedert: „Unter den Sammlern, die sich mit der größten Leidenschaft auf die Jetons geworfen haben, verdient M. Jules-Joseph Royer Erwähnung, der 1897 dem Cabinet des Médailles de France eine Sammlung von über 5.000 Stück hinterließ. Ein anderer Stifter, Affry de la Monnoye, beschränkte sich auf das Sammeln von Zunft- und Gildenjetons.“ (ebanda, S. 227).

Im Jahr 1917 zog die Abteilung für Münzen und Antike in den neuen Flügel der Bibliothek in der Rue de Richelieu. Der Architekt Jean-Louis Pascal (1837-1910) hatte ihn als Sitz des Museums entworfen. Das Dekor des Salon Louis XV. aus dem 18. Jahrhundert wurde sorgfältig von den Wänden der alten Räume abgenommen und in den Neubau eingesetzt. Auch der Lesesaal, benannt nach dem einstigen Direktor Jean-Jacques Barthelemy, ist originalgetreu wiederhergerichtet worden. Die Abteilung hat die Räume seitdem nicht mehr verlassen. Um 1925 umfasste das Cabinet des Médailles allein innerhalb seines antiken Schwerpunktes etwa 70.500 griechische sowie 53.500 römische und byzantinische Prägungen. Heute beherbergt die Sammlung insgesamt rund 600.000 Münzen und Medaillen, etwa 42.000 Kunstobjekte und eine Bibliothek von 80.000 Titeln. Zu finden ist sie im Gebäude der Bibliothèque Nationale in der Rue de Richelieu 58. Aufgrund anhaltender Bauarbeiten in dem Komplex gibt es zurzeit keine Ausstellungen. Eine Wissenschaftsrecherche zu numismatischen Themen ist nur mit einem reduzierten Platzangebot möglich.

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