Warum liegt der Fokus von Sammlern ausgerechnet auf Münzen, nicht auf anderweitigen Gedenkprägungen? Eine Antwort auf die Frage zu geben, fällt nicht schwer: „Es gibt kein ausdrucksstärkeres Zeichen für die Vielfalt und Kompliziertheit der gesellschaftlichen Prozesse als die Münze. Überall treibt sie sich herum, ist sie dabei, wenn Waren und Dienstleistungen, Werte und Preise miteinander zu vergleichen und zu verrechnen sind. Aber da gibt es noch die aus unterschiedlichen Motiven weniger gelittene Schwester, die Medaille.“ (Wolfgang Steguweit, Europäische Medaillenkunst von der Renaissance bis zur Gegenwart, Berlin 1995, S. 13). Ihre Verwandtschaft zur Münze ist jedoch augenfällig. So sprechen numismatische Lexika zumeist von einem metallenen, münzähnlichen Erinnerungsstück ohne gesetzliche Zahlkraft. Gelegentlich wird die Verwandtschaft zu den Orden betont, da sie immer an eine Person oder ein Ereignis erinnern. Der Einfluss der Medaille auf die Gestaltung von Münzen war während des Klassizismus unverkennbar: Bildhauer und Medailleure arbeiteten oft zugleich an den Entwürfen für Münzen wie Medaillen. Doch auch der Jugendstil hat Spuren hinterlassen.
Als Protagonist kann der französische Bildhauer und Medailleur Hubert Ponscarme (1827-1903) gelten. Die Herstellung seiner randlosen Medaille auf Joseph Naudet wurde an der Monnaie de Paris zunächst abgelehnt. Erst ein Machtwort setzte die Prägemaschinen in Gang: „Symptomatisch für diese Neubesinnung und innere Umkehr war jene 1868 gehaltene Rede von Alexandre Dumas, dem Präsidenten der Pariser Münze, der am dortigen althergebrachten Medaillenstil harte Kritik übte und sich vehement auf die Seite der Neuerer um Ponscarme und Chaplain schlug. Der innovative Bildhauer-Medailleur triumphierte über den konservativen Stempelgraveur.“ (Peter Felder, Medaillenkunst des Jugendstils - Eine kunstgeschichtliche Einführung, Regenstauf 2006, S. 14).
Preismedaille "Orpheus" von Coudray (Frankreich, 1898, Bronze). Bildquelle: Philharmonie de Paris.
Als Claude Monet im Jahr 1874 sein Gemälde Impression, Sonnenaufgang am Rande des Pariser Salons ausstellte, schuf Jules Clément Chaplain (1839-1909) eine dazu passende Medaille: Gloria mit wehendem Gewand geleitet einen nackten, jugendlichen Künstler zum Ruhmestempel. Gussmedaillen und Prägungen mit faszinierend lebendigen Szenen von Jean Baptiste Daniel Dupuis, Henri Auguste Patey und Marie Alexandre Lucien Coudray eroberten Frankreich im Sturm. Die wenige Jahre zuvor eingeführte Stempelreduktionsmaschine hatte die Künstler unabhängig von den Marotten der Graveure werden lassen.
Medaille von Chaplain zur Weltausstellung (Frankreich, 1900, Bronze). Bildquelle: Wikimedia, Daderot.
Jules Clément Chaplain entwarf die Preismedaille zur Pariser Weltausstellung des Jahres 1900. Das von Eichenlaub umrankte Porträt der Marianne wurde zugleich auf den Goldmünzen zu 10 und 20 Francs verwendet.
20 Francs von Chaplain (Frankreich, 1907, Gold). Bildquelle: Wikimedia, Pharos.
Mit ihrem dynamisch fließenden Formenspiel avancierten die Medaillen zum Verkaufsschlager: „So erreichten z.B. die drei von der Pariser Münze zur Weltausstellung 1900 aufgelegten Medaillen eine Auflage von insgesamt 65.000 Exemplaren.“ (Michael Weisser, Medaillen und Plaketten - Europäische Medaillenkunst zwischen Historismus, Jugendstil und Art Deco, Dortmund 1980, S. 16). Als weiterer Großmeister unter den Medailleuren gilt Louis Oscar Roty (1846-1911).
5 Francs von Roty (Frankreich, 1969, Silber). Bildquelle: Achat vieil or en Belgique.
Seine Säerin schmückte von 1898 bis zur Einführung des Euro französische Francs. Auf den aktuellen Münzen zu 10, 20 und 50 Cent ist eine stilisierte Fassung zu sehen.
Die Medailleure in Wien zogen nach. Anton Scharff (1845-1903) und Stefan Schwartz (1851-1924) wurden zu Schrittmachern des Jugendstils. Heinrich Kautsch (1859-1943) und Rudolf Marschall (1873-1967) entwickelten die Formensprache weiter. Bei Münzentwürfen waren sie allerdings an Vorschriften zur Wiedergabe des Herrschers sowie der Insignien des Staates gebunden. So zeigt sich der Jugendstil auf Münzen oft nur in der Schrift. Nie zuvor wurde schließlich die Schriftkunst so umfassend gepflegt wie damals. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchen die bewegt freien Antiqua-Typen auf Münzen zahlreicher europäischer Länder auf. Sogar im konservativen Deutschland lockerten sich die Sitten. Josef Kowarzik (1860-1911) und Rudolf Bosselt (1871-1938) waren Vorreiter.
3 Mark von Paul Sturm (Deutschland, 1910, Silber). Bildquelle: Münzenhandlung Möller.
Viele der Kurs- und Gedenkmünzen von Paul Sturm (1859-1936) sind vom Jugendstil beeinflusst. Zum Tod von Rudolf Mayer, unter anderem für den Großherzog von Baden tätig, hieß es: „Die frische Kunstströmung auf dem Gebiete der Schaumünze, welche Ende des vorigen Jahrhunderts, von Paris und Wien aus, auch nach Deutschland vorgedrungen war, regte ihn an. Er ergriff dieses Feld im Jahre 1896 und hat sich ihm bis an sein Lebensende fast ganz gewidmet.“ (Nachruf von 1916, zit. nach Ludwig Döry, Medaillen und Plaketten des Jugendstils, Hildesheim 1978, S. 32).