Soeben veröffentlichte Michael Kurt Sonntag einen kenntnisreichen Zweiteiler über nackte Körper auf antiken griechischen Münzen (MünzenRevue, Hefte 9 und 10/2018). Er schreibt, dass die großen Heroen der griechischen Geschichte fast ausnahmslos nackt dargestellt wurden. Außer jenen Helden seien auch die namenlosen Krieger nackt, bewaffnet und in martialischen Posen wiedergegeben worden. Die griechischen Stempelschneider hatten, so resümiert Sonntag, keine Berührungsängste mit männlicher Nacktheit. Über eine ähnliche „Linie“ ist bei den römischen Medailleuren der jüngeren Zeit zu berichten, aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist der Bildhauer und Medailleur Giuseppe Romagnoli (1872–1966). Ein Großteil der italienischen Münzen aus den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts stammt von ihm.
Verklärung der Antike
„Allenthalben stieß man im 19. Jahrhundert auf Darstellungen des nackten menschlichen Körpers: sie schmücken Parkanlagen und Brunnen; in Kunstausstellungen und an öffentlichen Gebäuden waren sie unübersehbar präsent.“ In seiner Geschichte über das bürgerliche Zeitalter verweist der Historiker Peter Gay auf die künstlerische Aufarbeitung der Antike in der jüngeren Vergangenheit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts steuerte der Körperkult vor allem in Italien auf einen Höhepunkt zu. Sogar großformatige Werbeplakate, etwa für Gaslampen, Tintenprodukte und Landmaschinen, zeigten die nackten männlichen Helden in erotischen Posen – natürlich immer mit antiken Bezügen. Die Ergebnisse sind an zahlreichen Werken der bildenden und angewandten Kunst ablesbar, darunter auch Münzen und Medaillen. Ein gutes Beispiel ist die Sondermünze zu 100 Lire von 1925, die zum 25-jährigen Thronjubiläum von König Vittorio Emanuele III. und dem 10. Jahrestag des Kriegseintritts erschien. Schöpfer des Männeraktes mit einer Flagge in der linken Hand und einer kleinen Viktoria in der Rechten war der italienische Bildhauer und Medailleur Aurelio Mistruzzi (1880–1960). Ab 1920 war er offizieller Medailleur des Heiligen Stuhles.
Männerakte als Symbol
Als die Münze erschien, war Benito Mussolini seit drei Jahren italienischer Ministerpräsident. Der „Duce“ läutete die neue Zeit mit monumentalen Statuen von Muskelmännern ein, die ihre Fäuste ballten. Die Plastiken von Breker und Thorak, an denen Hitler sich ergötzte, sahen nicht viel anders aus: „Der Grund dafür, dass im Nationalsozialismus für die Repräsentation von Institutionen und kämpferischer Werte nicht (…) vorwiegend auf weibliche, sondern auf männliche Körperbilder zurückgegriffen wurde, ist im Totalitarismus zu sehen, der den einzelnen Bürger vor allem zur Aufgabe seiner Individualität zwang.“ (Elke Frietsch: Nackte Männlichkeit als Repräsentation des Staates – Aktdarstellungen in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Nackte Männer von 1800 bis heute. München 2013, S. 99f.) Mussolini konnte dabei auf den Körperkult des Bürgertums aus der Zeit nach der Gründung des Nationalstaates zurückgreifen. Die Darstellungen wurden jedoch einer Metamorphose unterzogen. Frietsch: „Aktdarstellungen sollten nichts Individuelles, keinen Ausdruck des ‚Selbst‘, sondern die nationalsozialistische Körper- und Rassenideologie zeigen.“ So stecken auch die Münzen voller Pathos. Auf der Vorderseite ist nun ein „herrisch“ wirkendes Porträt des kleinwüchsigen Königs zu sehen, auf der Rückseite das obligatorische Ruten-Bündel (Fascis) mit dem Beil. Und der Landesgöttin wurde ein Modellathlet als Liktor zugesellt – komplett nackt.
L’Amor Patrio e il Valore Militare (1909) von Giuseppe Romagnoli
Bildquelle: Comune Bologna
Skulpturen von Romagnoli
Bedeutendster Münzgraveur zu dieser Zeit war der Bildhauer und Medailleur Giuseppe Romagnoli. Am 14. Dezember 1872 geboren, schuf er zunächst zahlreiche Plastiken in seiner Heimatstadt Bologna. Nach dem berufsbedingten Wechsel nach Rom wurde er mit einem Denkmal für König Umberto I. beauftragt, der im Jahr 1900 einem Attentat zum Opfer gefallen war. Die Figurengruppe L‘Amor Patrio e il Valore Militare konnte 1909 an der Fassade des Palazzo D’Accursio aufgestellt werden. Schaut man sich den Männerakt genauer an, fällt die sinnliche Pose auf, das herabgleitende Gewand, das fast den gesamten Körper inklusive der Scham enthüllt. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges wurde die Grabplatte mit den beiden Bronzen beschädigt. Bis Kriegsende verschwand sie auf Anordnung Mussolinis in den staatlichen Depots der Republik von Salò.
Monument Commémoraratif de la Fondacion de l’Union Télégraphique (1911–1922) von Giuseppe Romagnoli
Bildquelle: Wikimedia, Ricci Speziari
Als Hauptwerk der frühen Schaffensperiode von Romagnoli gilt das Monument der Internationalen Telegraphen Union in Bern. Im Jahr 1911 hatte der namhafte Bildhauer einen vom Welttelegrafenverein veranstalteten Wettbewerb für das Denkmal gewonnen. Ausgeführt wurde es wegen zahlreicher Probleme aber erst elf Jahre später. Inspiziert man die Gruppen der nackten Männer beiderseits der zentralen Frauengestalt näher, liegt der Gedanke nicht allzu fern, man sei auf einer Party des „Studio 54“ aus der Zeit der amerikanischen Jugendbewegung gelandet.
Münzbilder von Romagnoli
Von 1909 bis 1954 leitete Romagnoli die Scuola dell’Arte della Medaglia, die neue Schule für Medaillenkunst in Rom. Ab 1918 fertigte er zudem die Modelle fast aller italienischen Münzen an, später auch jener von Albanien und Somalia, die unter italienischer Vorherrschaft standen. Seine ersten nackten Recken auf Münzen entstanden 1926 denn auch in albanischem Auftrag: eine Nickelmünze, auf welcher Herkules im Kampf mit dem Nemeischen Löwen prangt, der sogenannte „Sämann“ auf einem Silberstück zu 2 Leke. Es folgte der Lenker eines Biga-Pferdegespanns auf einer Goldmünze zu 100 Franga Ari, die nach den Normen der Lateinischen Münzunion entstand. Ein Jahr später erschien in italienischem Auftrag der nackte Liktor mit der italienischen Landesgöttin auf einem 20-Lire-Stück. Die frontal nackte Darstellung eines Menschen ist auf neuzeitlichen Münzen, die ja vorrangig staatliche Symbole zu tragen haben, eine Seltenheit. Als Spätwerk gilt „Vulcanus am Amboss“ auf einem 50-Lire-Stück von 1954 mit einem überaus sinnlich gehaltenen Männerrücken. Die Münze wurde wegen ihrer erotischen Ausstrahlung von vielen Italienerinnen als Halsschmuck getragen. Im Herbst dieses Jahres soll die Figurengruppe L’Amor Patrio e il Valore Militare wieder an ihrem ursprünglichen Standort aufgestellt werden. Ein Unternehmer aus Bologna hat die Restaurierung und Aufstellung der Figuren finanziert.
2 Franga Ari (Medailleur: Giuseppe Romagnoli, 1927, Silber)
Bildquelle: Numista, Heritage Auctions
20 Lire (Medailleur: Giuseppe Romagnoli, Italien, 1928, Silber).
Bildquelle: MA-Shops, Triest 1382
50 Lire (Medailleur: Giuseppe Romagnoli, Italien, 1954, Edelstahl)
Bildquelle: Nomisma