„Der phrygischen Überlieferung nach ... wurde der neugeborene Attis in der Wildnis ausgesetzt, von einem Bock mit Milch ernährt und dann von Hirten aufgezogen.“ (Der neue Pauly, Bd. 2, Sp. 247) Als stattlicher Jüngling begleitete er später den entmannten Agdistis auf der Jagd, der seine Beute Attis schenkte, weil er in ihn verliebt war. Agdistis war einst ein Zwitterwesen, das aus dem Samen des Zeus und dem Felsen Agdus entstanden war. Weil er sich mächtiger wähnte als die Götter, machte ihn Dionysos betrunken und fesselte ihn so, dass er sich beim Aufwachen selbst entmannte.
Aber nicht allein der entmannte Agdistis war in Attis verliebt, sondern auch die große phrygische Göttin Kybele. Kybele war Fruchtbarkeitsgöttin, Beschützerin der Städte, Prophetin und Heilende.
Als Attis sich, obwohl er von Agdistis und Kybele geliebt wurde, dazu entschloss, die Tochter des Königs Midas in Pessinus zu heiraten, kam es zur Katastrophe. Denn als Agdistis und Kybele auf der Hochzeitsfeier erschienen, schäumten sie vor Eifersucht und schlugen die gesamte Hochzeitsgesellschaft einschließlich von Attis selbst mit Wahnsinn.
In seinem Wahn rannte Attis in ein nahes Wäldchen, entmannte sich und verblutete dabei. Aus seinem Blut entstanden Veilchen. Da die Tat Kybele bald darauf reute, ersuchte sie Zeus darum, Attis wieder auferstehen zu lassen, aber alles was Zeus tun konnte, war zu verhindern, dass der Leichnam verweste. Attis wurde später von den Priestern der Kybele, die alle Eunuchen waren, zu einem Gott der Vegetation und der Initiation stilisiert und alljährlich zur Zeit des Frühjahrsäquinoktiums innerhalb des Kybelekults mit einem eigenen Zeremoniell und einem mehrtägigen Fest gefeiert.
Dieser Kult des Attis und der Kyble hatte sich im Laufe der Zeit von Phrygien über Griechenland bis nach Rom ausgedehnt. Dabei wurde auch eine Auferstehung des Attis gefeiert; natürlich keine reale menschliche, aber eine metamorphosische, bei der Attis u.a. mit dem neu entstehenden Getreide gleichgesetzt wurde. „Falls das [eben Erwähnte] ein genuiner Kultgedanke war, so gehörte der Hirtenjüngling Attis zu jenen Göttern, die der rituellen Suggestion nach einst die Kulturpflanzen erschaffen hatten, indem sie sich postmortal in sie verwandelten. Dazu passt, dass der Kybele-Attis-Kult dem Anspruch Phrygiens Ausdruck verlieh, die Wiege des Ackerbaus zu sein.“ (Der neue Pauly, Bd. 2, Sp. 248)
In der Numismatik erscheint Attis im 5. Jh. v. Chr. u. a. auf Hekten von Phokaia (Ionien) und auf Stateren, Hekten, Hemihekten und Hemiobolen von Kyzikos (Mysien).
Phokaia (Ionien): Hekte (um 478–387 v. Chr.), Elektron, 2,58 g, Ø 11 mm, Münzstätte Phokaia. Quelle: Roma Numismatics Ltd, Auktion XIV (21. September 2017), Los 160
Kyzikos (Mysien): Stater (um 450–430 v. Chr.), Elektron, 16,08 g, Ø (Höhe, Vs.) 20 mm, Münzstätte Kyzikos. Quelle: Numismatica Ars Classica, Auktion 96 (6. Oktober 2016), Los 1083
Kyzikos (Mysien): Hemiobol (um 450–400 v. Chr.), Silber, 0,36 g, Ø (Höhe, Rs.) 7,5 mm, Münzstätte Kyzikos. Quelle: Classical Numismatic Group, Electronic Auction 424 (11. Juli 2018), Los 206
Alle diese Münzen zeigen auf ihren Vorderseiten den Kopf des Attis mit lang gelocktem Haar in phrygischer Mütze entweder nach links oder rechts gewandt. Auf den Rückseiten der Elektronstücke sehen wir als Pendant dazu nur ein viergeteiltes Quadratum incusum. Dagegen findet sich auf dem silbernen Hemiobol ein nach rechts gewandter Stierkopf sowie die Umschrift KY – Z – I als Abkürzung für Kyzikos.
Doch auch in der Glyptik verschmähte man eine so bedeutende Gestalt wie Attis nicht und widmete ihr diverse Büsten und Statuen.
Büste des Attis mit phrygischer Mütze aus parischem Marmor. 2. Jh. n. Chr. (vielleicht aus der Zeit des Kaisers Hadrian). Standort: Cabinet des Médailles (Bibliothèque Nationale de France). Quelle: Jastrow, Wikipedia.