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Tödliche Leidenschaft: Historische Münzen in Kriminalromanen


Bei vielen Verbrechen geht es um viel Geld und klassischerweise rauben in Krimis Diebe Banken aus oder überfallen Geldtransporte und schleppen Geldscheine und Münzen weg oder sie plündern die Auslagen von Juwelieren und Münzhandlungen und packen alles wahllos in Säcke. Es kommt nur auf die Menge an. Aber es gibt auch eine schmale Gruppe von Kriminalromanen, bei denen es um ganz spezielle Münzen geht, manchmal sogar welche, die man selbst in der Sammlung liegen hat oder haben könnte. Da sind dann nicht nur der Spürsinn des Hobbydetektivs gefragt, sondern auch Wissen und Erfahrung des Münzensammlers. Einige dieser doppelt interessanten Krimis werden hier kurz vorgestellt.

Vorsicht! Numismatischer Nervenkitzel! Bildquelle: Pxhere

Das Geheimnis der Brasher-Dublone

Brasher-Dublone (1787, Gold, 26,6 Gramm). - Bildquelle: Wikimedia, Heritage Auctions

Der betagte Trinker, der immer schon ein großer Schriftsteller sein wollte, notierte 1950 in einer Literaturzeitschrift: „Alle Menschen, die lesen, flüchten vor irgendetwas, flüchten sich in das hinüber, was hinter der bedruckten Seite liegt.“ (Kristian Lutze: Mein Freund Marlowe – Das einsame Leben des Raymond Chandler. Hamburg 1988, S. 21) Er selbst floh in die Rolle des gebrochenen Detektivs Philip Marlowe. Mit „Der Große Schlaf“ (1939) und „Leb wohl, mein Liebling“ (1940) landete er zwei Welterfolge der Kriminalliteratur. Es folgte „Das hohe Fenster“ (1942). Darin wird die Jagd nach einer gestohlenen Goldmünze geschildert: der Brasher-Dublone. Die Probestücke eines New Yorker Goldschmiedes aus dem 18. Jahrhundert gelten als gesuchte Münz-Raritäten aus der Frühzeit der USA. Zahlreiche Krimi- und Thriller-Autoren folgten dem Motiv des US-Amerikaners Raymond Chandler – gerade heute.

Die Silberlinge des verruchten Apostels

In „Der Judasfluch“ (USA 2001) von Scott McBain geht es um die dreißig Silberlinge, die Judas für den Verrat an Jesus erhalten hat. In der Rahmenhandlung legt Paul Stauffer, Professor für Kriminalpsychiatrie in San Francisco, ein Gutachten vor, das zum Freispruch eines Mordverdächtigen führt. Zur selben Zeit häufen sich die Zeichen, dass die über 1000 Jahre alte, dunkle Prophezeiung des Papstes Silvester II. vor ihrer Erfüllung steht. Im Vatikan rüsten sich Papst Johannes XXV. und seine Mitstreiter für den Kampf gegen die Boten der Finsternis. Der Grund: Nur sechsundzwanzig der Münzen des Judas hat der Apostel Petrus in Laufe seines Lebens einsammeln und mit ins Grab nehmen können. Ein weiteres Exemplar wurde mit Papst Silvester II. beerdigt. Die restlichen drei können weiter die zerstörerischen Kräfte des Bösen übertragen. Und eine von ihnen ist gerade in Umlauf. Es braucht nur einen niederträchtigen Menschen, der sie in die Hände bekommt, um deren Kräfte zu entfesseln! Der Esoterik-Thriller hat ein interessantes Motiv. Was Scott McBain daraus macht, ist jedoch haarsträubend: Exorzisten treten auf. Professor Stauffer wird auf Reisen in „Astral-Ebenen“ geschickt. Die Geschichte wirkt schnell unglaubwürdig, ja lächerlich.

Die Mordserie in der britischen Münze

In „Newtons Schatten“ (Großbritannien 2002) von Phillip Kerr erschüttert eine Mordserie die britische Münzanstalt. London, Ende 1696: Die Regierung hat den Einzug der alten Münzen befohlen, deren Edelmetallgehalt den Nennwert übersteigt. Als die Münzanstalt mit dem Prägen des neuen Geldes nicht nachkommt, breitet sich Chaos aus. Diebe und Falschmünzer stehlen die Prägestöcke und füllen sich die Taschen. Doch damit nicht genug: Bizarre und grausige Todesfälle häufen sich! Sir Isaac Newton (1643–1727), der damals die Aufsicht über die Prägestätte im Tower hatte, gibt hier den Sherlock Holmes. Sein Gehilfe Christopher Ellis spielt Dr. Watson. Anhand verschlüsselter Botschaften, die bei den Toten gefunden werden, deckt Newton ein unglaubliches Komplott auf. Die Literaturkritiker waren angetan: „In historisierendem Ton lässt Kerr den Erzähler Ellis und seinen Rätselmeister durch ein mysteriös koloriertes London gegen Ende des 17. Jahrhunderts streifen. Edelleute treffen auf Huren, Alchimisten köcheln, Pestilenz wütet, die Bordelle florieren – Hinrichtungen zuhauf sorgen an jeder Ecke für Vergnügen.“ Salman Rushdie attestierte dem preisgekrönten Briten: „Ein glänzender, erfindungsreicher Thriller-Autor.“

Sir Isaac Newton, Wissenschaftler und Wardein der Royal Mint. Bildquelle: Wikimedia, Wellcome

Die Jagd nach den legendären „Double Eagles“

„Double Eagle“ zu 20 Dollar (1933, Gold, 33,4 Gramm). Bildquelle: The Spruce

In „Der letzte Coup“ von James Twining (USA 2005) werden die wenigen Exemplare des „Double-Eagle“ aus dem Jahr 1933 gestohlen, die damals nicht eingeschmolzen wurden. Nachdem man in Fort Knox bemerkt hat, dass die Münzen verschwunden sind, wird ein Priester in Paris bei der Übergabe einer der Münzen ermordet. In seinem Magen liegt ein Double Eagle! Die junge FBI-Agentin Jennifer Browne wird mit dem Fall betraut. Ein Schuldiger ist schnell gefunden: Tom Kirk, ehemaliger CIA-Agent und nun professioneller Dieb auf dem Kunstmarkt. Jennifer soll sich mit ihm in London treffen und einen Deal aushandeln. Die Münzen im Austausch gegen ein Leben als freier Mann. Dumm nur, dass Tom unschuldig ist! Der routiniert erzählte Thriller ist gut recherchiert und taugt als spannende Urlaubslektüre.

Der Silberschatz des chinesischen Admirals

In „Die Drachenflotte“ von Will Adams (USA 2010) geht es um einen gesunkenen Schatz. Nach einer Weltreise anno 1424 ist die Flotte des chinesischen Admirals Zheng He vor der Küste Madagaskars in einen Sturm geraten. Mit dem Flaggschiff gehen unschätzbare Reichtümer unter. Fast 600 Jahre später heuert Daniel Knox bei einer Bergungsfirma an, die das Schiff bergen soll. Vor Ort trifft er Emilia Kirkpatrick und deren Vater, die ebenfalls nach einem gesunkenen Silberschatz fahnden. Nachdem Knox einige Münzen und Porzellan vom Meeresboden geholt hat, tauchen Zweifel auf, dass das Schatzschiff tatsächlich dort gesunken ist. Doch die Bergungsfirma ist zum Erfolg verdammt: Sie hat „dreckiges“ Geld von einem chinesischen Syndikat angenommen. Als die Kirkpatricks spurlos verschwinden, tritt eine Schwester von Emilia auf den Plan. Sie will die echten Koordinaten der Wracks von der Drachenflotte kennen. Als Thriller ausgewiesen, bietet das Buch zwar einen historisch interessanten Plot, ist ansonsten aber eher langatmig.

Die Wanderschaft der begehrten „Akragas“

In „Die Münze von Akragas“ von Andrea Camilleri (Italien 2010) taucht eine kostbare Goldmünze auf, die ein Söldner aus Karthago im Jahr 406 vor Christus verloren hat. Das Stück ist kaum zwei Gramm schwer, trägt auf der einen Seite einen Adler mit einem Hasen in den Klauen, auf der anderen einen Krebs mit einem Fisch darunter. Im Dezember 1909 findet ein Landarbeiter das seltene Exemplar. Er will es Dr. Gibilaro schenken, der vor Jahren sein von Wundbrand infiziertes Bein rettete. Doch während der Übergabe verletzt sich der Dottore vor Aufregung. Wieder hergestellt, besucht er den Finder in seiner bescheidenen Hütte – und findet ihn ermordet. Die Münze wandert indessen von Hand zu Hand. Als die Zeitungen zu berichten beginnen, meldet sich der wichtigste Münzsammler des Landes: König Victor Emmanuel II. Der Buchautor, deutschen Lesern von seiner Reihe über den Commissario Montalbani bekannt, wirft hier einen ironischen Blick auf die Menschen seiner Heimat. Eine wahrhaft amüsante Kriminalgeschichte!

Tetradrachme aus Akragas (406-410 v. Chr., Silber, 16,9 Gramm). Bildquelle: Wikimedia, Sailko

Der mysteriöse Mann ohne Gedächtnis

Kleine Perlen sind in neu aufgelegten Kriminalromanen aus der DDR zu finden, etwa „Drei Flaschen Tokaier“ von Klaus Möckel (2012) oder „Der Tod zahlt mit Dukaten“ von Wolfgang Held (2013). Das zuerst genannte Buch gilt als Highlight der DDR-Kriminalliteratur, wurde auch im Westen aufgelegt und 1989 sogar verfilmt. Der Plot: Ein Jugendlicher wird des Mordes verdächtigt, doch auch betrogene Sammler von historischen Münzen haben ein Mordmotiv. Im Zuge der Ermittlungen wird ein Zeuge über den ermordeten Numismatiker Zierau befragt. Er erinnert sich nicht mehr an viel: „Aber zum Beispiel sagte er, die Münzen stiegen zurzeit enorm im Wert, zurzeit, und in den nächsten Jahren würden sie noch mehr steigen, besonders die Goldmünzen. Freilich müsse man die richtigen kennen, die seltenen, die was Besonderes haben und in kleiner Stückzahl geprägt seien.“ Die Neuauflage des zweiten Buches befasst sich mit drei Mordopfern, bei denen kostbare Goldmünzen gefunden werden. Die Spur führt in eine Nervenheilanstalt.

Die Münze als Fingerzeig des Mörders

In „Die Gärten von Istanbul“ von Ahmet Ümit (Türkei 2017) ereignen sich in sieben Tagen sieben Morde. Das erste Opfer, ein Professor für Kunstgeschichte, wird an der Atatürk-Statue im Zentrum von Istanbul aufgefunden. In der Hand hält er eine Münze aus Byzantion, jener 660 vor Christus gegründeten Siedlung, auf welche die Stadt am Bosporus zurückgeht. Auch die übrigen Mordopfer halten jeweils eine historische Münze in der Hand. Jede verweist auf einen anderen König, Kaiser oder Sultan aus der Geschichte der Stadt: Konstantin, Theodosius II. und Justinian. Doch welche Bedeutung haben diese geheimnisvollen Zeichen? Der 700-seitige Roman, geschrieben von einem renommierten türkischen Kriminalautor, liest sich über weite Strecken wie ein historischer Stadtführer. Die Schilderungen stecken voller Poesie. Auch das Schicksal von Oberinspektor Nevzat, dem Chef der Mordkommission, spielt eine wichtige Rolle: Frau und Tochter verlor er bei einem Anschlag. Zur Ablenkung vergräbt er sich in die Arbeit. Wer aufreibenden Nervenkitzel sucht, dürfte wenig Freude an diesem Buch haben. Allenfalls im Finale, in dem ein Skandal um ein großes Istanbuler Bauprojekt aufgedeckt wird, kommen passionierte Krimi-Freunde auf ihre Kosten.

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