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Wer sind die Dargestellten?

Aus Kilikien stammt ein silbernes Obol, das vorderseitig das Porträt einer jungen Frau mit offenem nach hinten wehendem Haar, Ohrgehänge und Halskette zeigt und rückseitig ein fratzenartiges männliches Gesicht aufweist.


>>einfügen Bild1, Bildtext: Kilikien, Obol (um 400-350 v. Chr.), Silber, 0,66 g, 10 mm, Münzstätte unbestimmt, in Kilikien. Bildquelle: MA-Shops, Künker am Dom, München.

Ob es sich bei der jungen Frau um eine Göttin oder eine Nymphe handelt, konnte die Fachwelt bisher nicht klären, zumal das Porträt keine spezifischen Attribute beinhaltet, die eine nähere Bestimmung ermöglichen und die Münze zudem schriftlos (anepigrafisch) ist. Numismatiker beschreiben die Vorderseite deshalb immer nur als „weiblicher Kopf“ oder als „Porträt einer jungen Frau in Dreiviertelansicht leicht nach links“ gewandt.


Das fratzenhafte Gesicht der Münzrückseite konnten die Fachleute allerdings relativ schnell und einfach zuordnen, zumal sich Gesichter dieser Art sowohl auf Vasen als auch auf Skulpturen, Reliefs und Amulette finden lassen. Sie alle sprechen für das Gesicht des zwergengestaltigen ägyptischen Gottes Bes, das in der Tat mehr einer Fratze denn einem menschli-chen Gesicht ähnelt.


Flachrelief des Gottes Bes neben dem römischen Nordtor des Tempelkomplexes von Dendera, Ägypten. Bildquelle: Wikimedia Commons, Olauf Tausch.
Amulett des Gottes Bes (6.-4. Jh. v. Chr.), Stand-ort: Kunsthistorisches Museum, Wien. Bildquelle: Wikimedia Commons, A. Ocram.

„Sein [die Rede ist von Bes] typischer Kopfschmuck ist eine Krone aus Federn oder Pflanzen, weitere Attribute sind Messer, Schlangen und Musikinstrumente (v. a. Rahmentrommel, Harfe, Laute).“ (Hubert Cancik, Helmuth Schneider [Hrsg.], Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 12/2, Sp. 916). Dass der zwergengestaltige Bes, der im oberägyptischen Abydos ein Orakel besaß, aber auch in Zypern, Phönikien, den Balearen (Ibiza) und Kilikien verehrt wurde, hatte wohl damit zu tun, dass er „apotropäische Kräfte“ (Kräfte zur Abwehr des Bö-sen) besaß und somit den Menschen als Schutzgott galt. So schützte er vor Schlangen, hielt böse Geister vom Haus fern und beschützte Schwangere, Wöchnerinnen und Neugeborene. Zudem galt er als Gott der Zeugung und der Geburt. Da Bes aber auch ein Gott der Launen und Lustbarkeiten war, tanzte er und spielte auch die Musikinstrumente, die ihm als Attribute zugeordnet wurden. Sein weibliches Pendant war Beset. Weil Beset in der bildenden Kunst aber ebenfalls mit Fratzengesicht und Federkrone dargestellt wurde, kann das weibliche Gesicht auf der Vorderseite des gezeigten silbernen Obols auf keinen Fall Beset sein.


Wo das besagte Obol in Kilikien geprägt wurde, wissen wir nicht. Nimmt man allerdings den Stil des weiblichen Porträts als Anhaltspunkt, dann könnte es eventuell Tarsos gewesen sein.

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