Verrückte Männergesellschaft: Goethes Abenteuer auf dem Weg nach Weimar (1775)
- Dietmar Kreutzer
- vor 6 Tagen
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Während seiner ersten Reise in die Schweiz huldigte der 25-jährige Johann Wolfgang Goethe im Zürichsee der Freikörperkultur: "Ich selbst will nicht leugnen, dass ich mich im klaren See zu baden mit meinen Gesellen vereinte und, wie es schien, weit genug von allen menschlichen Blicken. Nackte Körper jedoch leuchten weit, und wer es auch mochte gesehen haben, nahm Ärgernis danach." Empörte Schweizer warfen Steine nach ihnen. Die Grafen Christian zu Stolberg (26) und Friedrich Leopold zu Stolberg (24) aus seiner Reisebegleitung wollten von der Freikörperkultur jedoch nicht lassen. Auf seine Jugendzeit zurückblickend, schrieb Goethe: "Sie verließen daher die allzu taghaften Seeufer und fanden auf ihren Spaziergängen durch das Gebirg so klare, rauschende, erfrischende Gewässer, dass in der Mitte Juni es ihnen unmöglich schien, einer solchen Erquickung zu widerstehen. So waren sie auf ihren weitschweifenden Spaziergängen in das düstere Tal gelangt, wo hinter dem Albis die Sihl strömend herabschießt, um sich unterhalb Zürch in die Limmat zu ergießen. Entfernt von aller Wohnung, ja von allem betretenen Fußpfad, fanden sie es hier ganz unverfänglich, die Kleider abzuwerfen und sich kühnlich den schäumenden Stromwellen entgegen zu setzen; dies geschah freilich nicht ohne Geschrei, nicht ohne ein wildes, teils von der Kühlung, teils von dem Behagen aufgeregtes Lustjauchzen, wodurch sie diese düster bewaldeten Felsen zur idyllischen Szene einzuweihen den Begriff hatten." (Johann Wolfgang von Goethe: Dichtung und Wahrheit, Vierter Teil, 18. und 19. Buch) Aus dem Buschwerk oberhalb des Wassers wurde jedoch erneut mit Steinen nach ihnen geworfen.

Goethe (links) mit Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (um 1775)
Bildquelle: Wikimedia, Gartenlaube
Im November 1775 reiste Goethe auf Einladung des 18-jährigen Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach in die Landeshauptstadt Weimar. Daraus entwickelte sich eine innige Freundschaft. Die lebenslustigen Brüder Stolberg waren wieder mit von der Partie: "Als Goethe 1775 nach Weimar kam, zählte die Stadt rund 700 Wohnhäuser und kaum mehr als 6.000 Einwohner, meist Ackerbürger, kleine Handwerker und landesherrliche Beamte." (Alfred Pretzsch, Wolfgang Hecht: Das alte Weimar; Weimar 1975, S. 107) Dem seit 1572 bestehenden Herzogtum Sachsen-Weimar war 1741 das Herzogtum Sachsen-Eisenach zugefallen. Als der erste Herzog des vereinten Landes Sachsen-Weimar-Eisenach starb, kam zunächst dessen ältester Sohn Ernst August Konstantin auf den Thron. Doch auch der starb schon bald, nämlich im Mai 1758 mit gerade einmal 20 Jahren. Kurz zuvor hatte er jedoch noch geheiratet. Seine Frau, die braunschweigische Prinzessin Anna Amalia, brachte im September 1757 den späteren Herzog Carl August zur Welt. Als dieser 18 Jahre alt wurde, endete die Regentschaft seiner Mutter. Carl August heiratete im Oktober 1775. Einen Monat später klopften Goethe und seine Freunde aus Stolberg an seine Tür. Während die unternehmungslustigen Grafen zu Stolberg bald wieder abreisten, kümmerte sich Goethe als Legationsrat um die die Berufung von Johann Gottfried Herder und Friedrich Schiller nach Weimar. So entstand unter der Schirmherrschaft der Herzogsmutter der Kreis der Weimarer Klassik, um deren Erbe sich die nachfolgenden Herzöge und Großherzöge kümmerten.

Konventionstaler (Sachsen-Weimar-Eisenach, 1763, Silber, 28,1 Gramm, 41 mm, Medailleur: Klinghammer)
Bildquelle: Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, 18217796
Die alternde Herzogin Anna Amalia hatte sich während der 17-jährigen Vormundschaft für ihren Sohn Carl August mit großem Enthusiasmus der Münzherstellung zugewandt. Bei der Prägung der ersten Kreuzermünzen des Jahres 1760 war sie persönlich zugegen. In jenem Jahr wurden Taler, Groschen und Pfennige nach dem Konventionsfuß des Jahres 1753 geprägt. Die Ausprägung einer kleinen Serie ganzer Reichstaler, der sogenannten Rechnungstaler, im Wert von 24 Groschen beziehungsweise 90 Kreuzern wird dabei in der Literatur immer wieder als große Seltenheit erwähnt. Üblich waren ansonsten 2/3-Stücke des Rechnungstalers. Die Einführung des Konventionsfußes bedeutete, dass nun zehn Konventionstaler zu 32 Groschen beziehungsweise 120 Kreuzern aus der feinen Mark Silber zu schlagen waren. In Weimar wurden anno 1760 sowohl Halb-, Viertel- als auch Sechstel-Taler nach diesem Fuß hergestellt. Ab 1763 folgten ganze Konventionstaler und ihre Teilstücke. Mit dem Silbergehalt, insbesondere der kleineren Nominale, nahm es die Herzogin allerdings nicht allzu genau. Während des Siebenjährige Krieges etwa halbierte sich um 1760 der Silbergehalt der Sechser beinahe. Dauerhaftes Interesse zeigte die Regentin an einer möglichst guten Wiedergabe ihres Porträts auf den Münzen. In einer zeitgenössischen Quelle heißt es, dass die anfangs gefertigten Entwürfe des Eisenacher Münzmeisters Johann Leonhard Stockmar nicht überzeugten. Sie sei nicht gut genug getroffen, wirke außerdem viel zu alt. Ein anderer Medailleur wurde beauftragt. Zwischen 1763 und 1765 entstanden Münzen vom goldenen Fünf-Taler-Stück bis zum Achtel-Taler mit ihrem Porträt.
5 Taler (Sachsen-Weimar-Eisenach, 1764, Gold, 6,6 Gramm, 24,5 mm)
Bildquelle: Numista, Heritage Auctions
Weil seine Mutter alles geregelt hatte, musste sich der 18-jährige Herzog Carl August zunächst um nichts kümmern. Die Grafen zu Stolberg erinnerten sich später: "Der Herzog ist ein herrlicher achtzehnjähriger Junge, voll Herzensfeuer, voll deutschen Geistes, gut, treuherzig, dabei viel Verstand. (...) Am Vormittag waren wir entweder bei Goethe oder Wieland oder ritten mit dem Herzog auf die Jagd oder spazieren. Von zwei bis fünf Uhr waren wir bei Hofe. Nach Tisch wurden kleine Spiele gespielt, Blinde Kuh und Plumpsack. Von sieben bis neun Uhr war Konzert oder war Vingt-un gespielt. Einmal war Maskerade. Einen Nachmittag las Goethe seinen halb fertigen Faust vor. Es ist ein herrliches Stück. Die Herzoginnen waren gewaltig gerührt bei einigen Szenen. (...) Einigen steifen Hofleuten waren wir, glaub' ich, ein Dorn im Auge, aber die Guten waren uns herzlich gut." (Das klassische Weimar: Texte und Zeugnisse; München 1983, S. 43f.) Im Frühjahr 1776 zog Goethe in ein Gartenhaus im Ilmpark, das er für 600 Taler kaufte. Das Geld dafür hatte ihm der Herzog gegeben. Mit seiner Ernennung zum Geheimen Legationsrat bei Hofe war ein jährliches Mindestgehalt von 1.200 Talern verbunden. Nach eigener Aussage habe er schon von Jugend an jährlich mindestens 100 Dukaten für den "Ankauf von Merkwürdigkeiten" verwendet, wozu auch seine Münzsammlung gehörte. Bei einem Wertverhältnis von einem Dukaten zu etwa 5 1/4 Talern wäre das fast die Hälfte seines Einkommens. Da Goethe auch sonst auf großem Fuß lebte, war dies nur aufgrund laufender Zuschüsse seiner reichen Familie möglich.
Dietmar Kreutzer
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