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Dietmar Kreutzer

Mussolinis „Kampf um die Lira“


Italien gehörte zu den Siegermächten des Ersten Weltkrieges. Wirtschaftlich war es jedoch erheblich geschwächt, die Lira entwertet. In den zwei „roten Jahren“ nach Kriegsende drohten sozialistische Demonstrationen und Streiks die Produktion lahmzulegen. Im Herbst 1922 präsentierte sich Benito Mussolini als Retter. Werde ihm nicht die Regierungsgewalt übertragen, tönte er, würden seine „Schwarzhemden“ in Rom einmarschieren. Ein Putsch erschien aufgrund des Kräfteverhältnisses allerdings wenig aussichtsreich. Dennoch wurden Vorkehrungen gegen den Ansturm der Faschisten getroffen: „Die Regierung Facta bereitet am 27. Oktober den Belagerungszustand vor und verkündet ihn schon teilweise. Doch der König weigert sich am 28.Oktober morgens, das Dekret zu unterschreiben. Er macht damit Mussolini zum Herrn der Lage. Nach dem Rücktritt Factas erteilt Viktor Emanuel III. am 29. Oktober Mussolini den Auftrag zur Regierungsbildung.“ (Der Marsch auf Rom, in: Chronik des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1994, S. 298).


Als neuer Ministerpräsident beabsichtigte Mussolini zunächst, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Seine Kampagnen zur Industrialisierung und Leistungssteigerung fielen auf fruchtbaren Boden. Unterstützt durch Regierungshilfen und eine großzügige Kreditpolitik, legte die Wirtschaft in allen wichtigen Kennziffern zu. Innerhalb von nur vier Jahren verdoppelte sich die Eisen- und Stahlproduktion. Fortschritte gab es auch in der Elektroindustrie sowie der chemischen Industrie, etwa bei der Herstellung von Kunstseide. Die Landwirtschaft erlebte mehrere gute Jahre. Die Kapazität der Handelsmarine wurde ausgebaut. Die Industrieproduktion überschritt den Stand der Vorkriegszeit um 42 Prozent. Das komplette Inlandsprodukt lag nun ein Fünftel höher, die Ausfuhren ein Drittel.


Der rasche Aufschwung war jedoch vor allem durch Kredite erkauft worden. Als die Lira unter der Schuldenlast im Jahr 1926 abgewertet wurde, versprach Mussolini auch dieses Problem zu lösen. Im August 1926 kündigte er während einer spektakulären Rede in Pesaro vollmundig an, „die Lira bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Blutstropfen“ zu verteidigen. Über eine Quota 90 strebte er einen Wechselkurs von einem britischen Pfund zu 90 italienische Lire an. Zudem sollte die Lira stärker als der französische Franc sein.


Formell erreichte der „Duce“ sein Ziel. Im Jahr 1927 kehrte Italien per Dekret zum Goldstandard zurück. Die Parität lag bei 7,92 Gramm Gold je 100 Lire. Die neue Lira entsprach somit 3,66 alten Lire aus der Vorkriegszeit. In einer fundierten deutschen Veröffentlichung hierzu heißt es: „Die Rückkehr der italienischen Währung zum Goldstandard ist als handfester Beweis für die bewusst geplante Integration des Landes in das internationale Wirtschaftssystem zu werten.“ (Traute Rafalski, Italienischer Faschismus in der Weltwirtschaftskrise (1925-1936), in: Schriften des ZI der FUB, Band 45, Opladen 1984, S. 31).



Ein Paket von Maßnahmen begleitete den Prozess: „Durch die Reduzierung des Geldumlaufs und gleichzeitige Erhöhung des Diskontsatzes forcierte Mussolini die Wiedereinführung des Goldstandards. Dadurch würde das Land international an Ansehen gewinnen.“ (Bledar Milaqi, Verschiedene Aspekte der italienischen Wirtschaft während der Weltwirtschaftskrise, Seminararbeit 2009, www.grin.com). Als sichtbares Zeichen für die Stabilisierung wurden neue Münzen ausgegeben. Den Nickel-Münzen der Nachkriegszeit zu 1 Lira und 2 Lire wurden noch im Jahr 1926 zwei Silber-Ausgaben im Wert von 5 und 10 Lire zur Seite gestellt. Ein Jahr später kam ein großformatiges 20-Lire-Stück hinzu. Doch es sollte nicht bei Scheidemünzen aus Silber bleiben. Im Oktober 1931 meldete der britische Economist, dass die italienische Zentralbank in großem Stile Gold ankaufe: „Die scheint zu bedeuten, dass die Politik der Banca d‘Italia darauf abzielt, den einfachen Gold-Devisen-Standard durch einen klassischen Goldstandard zu ersetzen.“ (From our Italian Correspondent, Luigi Einaudis Articles in The Economist 1908-1946, Florenz 2000, S. 544). Tatsächlich wurden noch im gleichen Jahr die ersten 100- und 50-Lire-Stücke aus Gold geprägt.



Mit dem im Dezember 1927 gesetzlich fixierten Wechselkurs von 19 Lire für einen Dollar war die italienische Währung jedoch überbewertet. In den vorangegangenen zwei Jahren waren auf dem freien Markt schließlich 25 bis 26 Lire für einen Dollar bezahlt worden! Rasch erhielt der „Duce“ die Quittung für sein politisch motiviertes Projekt: „Die willkürliche Aufwertung der Lira durch Mussolini war eindeutig ein Fehler, da sie zu einer schweren binnenwirtschaftlichen Deflation und hoher Arbeitslosigkeit führte. Zwischen 1926 und 1929 verdreifachte sich die Arbeitslosigkeit fast, die Industrieproduktion stagnierte, und der Exportzuwachs ging zurück. (…) Ein staatliches Arbeitsbeschaffungsprogramm und Subventionen an die Landwirtschaft als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit kratzten nur an der Oberfläche des Problems, die ‚Ernährungsschlacht‘ insbesondere diente nur dazu, einen leistungsschwachen Sektor der Volkswirtschaft zu unterstützen.“ (Derek H. Aldcroft, Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert - Die zwanziger Jahre, München 1978, S. 235).


Die Weltwirtschaftskrise gab dem ambitionierten Projekt Mussolinis dann den Rest. Ab 1934 löste die Bank von Italien keine Banknoten mehr in Goldbarren ein. Mit diesem Schritt war der Goldstandard faktisch abgeschafft. Im Jahr 1936 wurde die Währung um ganze 41 Prozent abgewertet. Die Schlacht um die Lira war verloren! Regelmäßige Goldprägungen in der Währung Lira gab es jetzt nur noch im Auftrag des Vatikans. Eine Kleinserie goldener Sondermünzen erschien nach dem erfolgreichen Abessinien-Krieg von 1936.


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