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Mark Twains Weltreise: „Backschisch, Backschisch!“


Mark Twain (1835–1910) im Jahr 1867 [Wikimedia, Library of Congress]


Im Jahr 1867 begab sich der US-Schriftsteller Mark Twain im Auftrag einer amerikanischen Zeitung auf eine Weltreise. Sein erfrischend direktes Reisetagebuch war zu seiner Zeit eine der meistgelesenen Reisebeschreibungen überhaupt. Auch seine humorvollen Einlassungen zur Numismatik vermögen zu begeistern, etwa jene über die Händler im marokkanischen Tanger: „Die jüdischen Geldwechsler haben ihre Höhlen dicht daneben, und den ganzen Tag lang zählen sie bronzene Münzen und befördern sie von einem Scheffelkorb in den anderen. Ich glaube, heutzutage wird nicht mehr viel Geld geprägt. Ich sah keine Münze, die nicht vier- oder fünfhundert Jahre alt und stark abgenutzt und verbraucht gewesen wäre. Diese Münzen sind nicht sehr viel wert. Jack ging hin, einen Napoleon wechseln zu lassen, um der allgemeinen Billigkeit der Dinge entsprechend passendes Geld zu haben. Er kam zurück und sagte, er habe ‚die Bank gesprengt; habe zwölf Kilo Münzen gekauft, und der Chef der Firma ist auf die Straße gegangen, um den Rest des Wechselgeldes aufzutreiben.‘ Ich kaufte fast ein Viertelkilo ihres Geldes für einen Schilling.“ [1] Die Dimensionen mag Twain bewusst übertrieben haben. Sie zeigen aber, was für ein armes Land Marokko zu dieser Zeit war. Immer wieder zahlungsunfähig, erhöhte der regierende Sultan willkürlich die Steuern oder verhaftete einige der wenigen Reichen, um deren Besitztümer einzuziehen.


Marokko. Falus von 1861–1864. Bronze, 3,5 g, 17 mm [Numista, Montaron]


In Mailand besichtigte Twain den Dom: „Das Bauwerk ist fünfhundert Fuß lang und hundertachtzig breit, und der Hauptturm ist um die vierhundert Fuß hoch. Es hat 7148 Marmorstatuetten, und wird über dreitausend weitere haben, wenn es fertig ist. […] Jedes Stück der Kirche besteht aus Marmor, aus ein und demselben Marmorbruch; er wurde zu diesem Zwecke vor Jahrhunderten dem Erzbistum vermacht. So gibt es keine Kosten, außer für die reine Handwerksarbeit; doch diese allein ist kostspielig; die Rechnung beträgt bisher sechshundertvierundachtzig Millionen Franc (beträchtlich mehr als hundert Millionen Dollar), und man schätzt, dass man noch hundertzwanzig Jahre braucht, um den Dom fertigzustellen.“ [2] Der Domschatz aus Gold und Silber sei schon aufgrund seines Gewichtes fünfzig Millionen Francs wert. Während die Kirchen vor Prunk überliefen, hungerte viele Bürger und liefen barfuß herum. Auch der Staat stehe vor der Pleite. Münzen aus Edelmetall seien Mangelware, die Banknoten kaum noch das Papier wert, auf das sie gedruckt seien. Twain war empört: „Was hat es für einen Sinn, all diese Reichtümer untätig ruhen zu lassen, während die Hälfte der Menschen in diesen Gemeinwesen kaum weiß, wie sie von einem Tag auf den anderen Leib und Seele zusammenhalten soll? […] Soweit ich beurteilen kann, hat Italien seit fünfzehnhundert Jahren all seine Kräfte, all seine Geldmittel und all seinen Fleiß darauf verwandt, ein riesiges Aufgebot wundervoller Kirchenbauten zu errichten, und hat dabei die Hälfte seiner Bürger verhungern lassen, um das zu erreichen.“ [3] Italien sei das elendste, fürstlichste Land auf Erden.


Italien. Viktor Emanuel II. Centisimo von 1867. Bronze, 1,0 g, 15 mm [NumisCorner]


Welche Bedeutung französische Goldmünzen in Palästina hatte, durfte Twain feststellen, als die Reisenden den See Genezareth überqueren wollten. Die Fischer am Ufer verlangten zwei Napoleon, was etwa acht Dollar entsprach. Angesichts des Preises machte sich Empörung breit. Einen Napoleon sei man bereit zu geben, aber keinen Centime mehr! Da entfernten sich die stolzen Arbeiter des Meeres: „Sofort gab es im Lager Heulen und Zähneknirschen. Die zwei Napoleons wurden angeboten – wenn nötig, mehr –, und Pilger und Dragoman schrien sich heiser mit Bitten an die sich entfernenden Schiffer, zurückzukommen. Aber diese fuhren gelassen davon und kümmerten sich nicht weiter um Pilger, die ihr ganzes Leben lang davon geträumt hatten, eines Tages über das heilige Wasser Galiläas zu gleiten und beim Flüstern der Wellen seiner heiligen Geschichte zu lauschen, und unzählige Meilen gereist waren, um das zu tun, und – und dann zu dem Schluss gelangten, das Fahrgeld sei zu hoch. Unverschämte mohammedanische Araber, von Herren anderen Glaubens so etwas zu denken!“ [4] Jeder der Pilger behauptete, der andere sei schuld!


Frankreich. Napoleon III. 20 Francs von 1866. 900er Gold, 6,4 g, 21 mm [NumisCorner]


Auf der Straße von Alexandria nach Alt-Kairo warteten neue Überraschungen: „Gelegentlich sahen wir splitternackte Männer von prachtvollem Körperbau baden, ohne dass sie einen Versuch gemacht hätten, sich zu verbergen. Nach einer einstündigen Bekanntschaft mit diesem heiteren Brauch fanden sich die Pilger jedoch mit ihm ab, und dann rief er keine Beachtung mehr vor. So leicht werden diesen mit Sehenswürdigkeiten übersättigten Wanderern selbst die überraschendsten Neuheiten langweilig und reizlos.“ [5] Neue Eindrücke mussten her. Und sie kamen, nämlich in Gestalt der einheimischen Träger zu den Spitzen der Pyramiden: „Natürlich wurden wir von einem Haufen muskulöser Ägypter und Araber belagert, die einen Kontrakt mit uns wünschten, uns auf die Spitze hinaufzerren zu dürfen. […] Die Herkulesse, die uns schleppten, hatten eine Art, freundlich und einschmeichelnd ein Backschisch zu verlangen, die verführerisch war, und eine Art grimmig dreinzublicken und zu drohen, uns den Abgrund hinunterzuwerfen, die überwältigend und überzeugend war.“ [6] An den Fuß der Pyramide zurückgekehrt, wurden die Reisenden von ganzen Heerscharen von Bettlern überfallen: „Backschisch! Backschisch!“ Ein Scheich versprach ihnen, die Meute für zehn Francs fernzuhalten. Und tatsächlich: „Er schwang seinen langen Stab um den Kopf, und drei Araber bissen in den Staub. Er sprang zwischen der Meute umher wie ein wahrer Irrer. Seine Schläge fielen wie Hagel. Und wohin einer traf, ging ein Untertan zu Boden. Wir mussten zu Hilfe eilen und ihm sagen, dass es nur notwendig sei, sie ein bisschen zu beschädigen, er brauche sie nicht umzubringen. In zwei Minuten waren wir mit dem Scheich allein.“ [7]


Quellen

  1. Mark Twain: Die Arglosen im Ausland. Berlin 1980, S. 76f.

  2. Ebd., S. 162f.

  3. Ebd., S. 232.

  4. Ebd., S. 447.

  5. Ebd., S. 563.

  6. Ebd., S. 565.

  7. Ebd., S. 570.

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