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Dietmar Kreutzer

Falladas Wandervögel: Ein Filzhut voller Silbergulden


Schon in jungen Jahren erlebte der Schriftsteller Hans Fallada alias Rudolf Ditzen, wie wertvoll ein niederländischer Gulden sein kann. Der Halbwüchsige wollte im Sommer 1907 mit einer Gruppe von Wandervögeln auf große Fahrt gehen: „Ich stellte den Eltern beweglich vor, wie billig ich ihnen kommen würde, und billig sollte die Reise wirklich sein, denn für die ganzen fünf Wochen sollten mit dem Fahrgeld auf der Bahn nur achtzehn Mark gebraucht werden.“ (Hans Fallada: Wandervogel, In: Damals bei uns daheim, Reinbek 1991, S. 181). Die Eltern waren einverstanden. Schon nach ein paar Tagen unterwegs gestand aber Acer, der 20-jährige Gruppenleiter, dass alles Geld alle war! Doch Fallada hatte einen Einfall: „Wie wäre das, wenn wir es mit Konzerten versuchten? Ich meine natürlich nicht richtige Konzerte, aber wenn wir morgens und besonders abends in den Dörfern und kleinen Städten den Leuten etwas vorspielten und singen? Heute haben uns doch auch ein paar ganz von selbst Brot und Wurst geschenkt.“ (Ebenda, S. 183). Gesagt, getan! Am nächsten Tag zog das Häuflein singend in dem niederländischen Städtchen Appingedam ein. Auf dem Marktplatz sangen sie zum Klang der Klampfen und Mandolinen ihre Lieder. Dann ging der junge Fallada mit einem Filzhut in der Hand durch das Publikum aus Einheimischen: „Es klapperte und klimperte in meinem Hut, viel Kupfer, aber auch manchmal Silber. […] Der Hut war schwer! Man fühlte richtig, dass etwas in ihm drin war! Als wir nach draußen ins Freie kamen, da hielt uns nichts mehr, wir warfen uns in den Straßengraben und schrien: ‚Zählen, Acer, zählen!‘ Da wurde gezählt und es wurde ermittelt, dass wir mit einer halben Stunde Gesang siebenundzwanzig Gulden und zweiundsechzig Cent verdient hatten, und der holländische Gulden war mehr wert als die Mark!“ (Ebenda, S. 187f.).

Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Niederlande eine Silberwährung. Doch mit dem Wechsel der großen Wirtschaftsmächte zum Goldstandard ging ein erheblicher Wertverlust des Silbers einher. Als auch Deutschland sein Silbergeld durch goldene Kurantmünzen ersetzte, konnten sich die Niederlande den Zeichen der Zeit nicht mehr entziehen. Der Außenhandel mit den Briten und dem benachbarten Deutschen Reich hätte zu sehr gelitten: „Die niederländische Regierung reagierte zunächst ebenso wie die belgische; sie ließ sich Anfang 1873 durch ein Gesetz ermächtigen, die freie Silberausprägung zeitweilig einstellen zu dürfen und machte davon auch ein Jahr später Gebrauch. Im März 1874 legte sie dem Parlament ein Gesetz zum Übergang zur Goldwährung vor, das jedoch zunächst scheiterte, weil die Abgeordneten eine monetäre Abkoppelung der Kolonien, in denen weiterhin der Silberstandard gelten sollte, vom Mutterland befürchteten. Mit dem Münzgesetz vom 6. Juni 1875 gingen die Niederlande dann doch zum Goldstandard über.“ (Guido Thiemeyer: Internationalismus und Diplomatie – Währungspolitische Kooperation im europäischen Staatensystem 1865-1999, München 2009, S. 72). Hauptmünze wurde das sogenannte Tientje, ein goldenes Zehn-Gulden-Stück im Wert von 16,874 Mark der Reichswährung. Die ersten 4,1 Millionen Exemplare dieser Münze wurden im Jahr 1875 geprägt. Bis zum Jahr 1933 folgten weitere 26,5 Millionen Exemplare. Als Kursmünze war das Tientje aber nur in den ersten Jahren bedeutsam.

Weil die Goldmünzen vermehrt zu Anlagezwecken gehortet wurden, bestand der Geldumlauf in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg im Wesentlichen aus Silber- und Kupfergeld. Größte Silbermünze war der Rijksdaalder, also der Reichstaler. Die bereits zur Zeit des Silberstandards umlaufende Münze hatte einen Nennwert von 2,5 Gulden. Außerdem gab es Silbermünzen zu einem Gulden, einem halben und einem viertel Gulden sowie zu zehn Cents. „Einer systematischen Reduzierung der umlaufenden Silbermengen, wie das Deutsche Reich sie durchführte, widersetzte sich das Parlament. Für Niederländisch-Indien ordnete ein Gesetz vom 28. März 1877 die gleichen Regelungen wie für das Mutterland an: gesperrte Silberprägung, freie Goldprägung, keine Beseitigung des vorhandenen Silberumlaufs.“ (Herbert Rittmann: Deutsche Geldgeschichte 1484-1914, München 1975, S. 708). Der sogenannte Stuiver, ein winziges Fünf-Cent-Stück aus Silber, wurde 1907 durch eine größere Münze aus Kupfer-Nickel ersetzt. Wegen der besseren Unterscheidbarkeit von anderen Münzen kam es 1913 zu einem erneuten Austausch. Die Münze erschien nun als Klippe, also mit einer viereckigen Formgebung. Die letzten Rijksdaalder aus Silber wurden im Jahr 1966 ausgegeben. Ein Jahr später sprangen die letzten für den Umlauf bestimmten Silbergulden vom Stempel. Seither gibt das Land nur noch Gedenkmünzen in diesem Metall aus.

Für den jungen Fallada endete die große Fahrt der Wandervögel tragisch. Als er die Zubereitung einer Mahlzeit beaufsichtigen sollte, ließ er die Vorräte verbrennen. Zur Strafe wurde der Junge bis zur Bewusstlosigkeit in Meerwasser getaucht. Dabei infizierte er sich mit Typhus. In einer Klinik wurde Fallada mit Medikamenten ruhiggestellt. Manisch depressiv, floh er daraufhin immer häufiger in eine Phantasiewelt. Im Jahre 1911 duellierte sich Fallada mit Hans Dietrich von Necker, seinem einzigen Schulfreund. Fallada überlebte schwer verletzt. Necker starb. Des Mordes angeklagt, wurde der verirrte Träumer freigesprochen. Die nächsten zwei Jahre verbrachte er in einer geschlossenen Anstalt. Seine verhängnisvolle Tat sollte ihn ein Leben lang verfolgen … #Wandervögel #Wandervogel #HansFallada #Silbergulden #Gulden #Niederlande #Reichstaler #Rijksdaalder #Cent #DietmarKreutzer

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