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Der Neubrandenburger Pistorius besaß einst die heute wohl seltenste Münze von Mecklenburg-Strelitz

Im Heimatkurier vom 7.12.2020 erinnert Prof. Dr. Gunnar Müller-Waldeck an den 240. Todestag des Neubrandenburger Außenseiters, Junggesellen, Sonderlings und Sammlers Johann Gottlieb Pistorius (1708-1780). (Vgl. Gunnar Müller-Waldeck: Das Grab auf dem Wall von Neubrandenburg, Nordkurier, Beilage Heimatkurier, Neubrandenburg 2020). Dieser sammelte vor allem antike Kunst, Bücher und Münzen. Er hatte in Halle/Saale ein Jurastudium absolviert und war nach mehreren Stationen Landsyndikus (d. h. Justitiar bzw. Rechtsberater) des Stargarder Kreises mit Wohnsitz in Neubrandenburg geworden. Durch sein sicheres Einkommen konnte er seine Sammelleidenschaft finanzieren. Tragisch ist, dass die mit viel Leidenschaft zusammengetragenen Bücher und die Münzsammlung nach seinem Tode 1780 in alle Winde zerstreut wurden.

Der Vorsitzende des Neubrandenburger Münzvereins Henning Ihlenfeldt beim Reinigen der Grabplatte von Pistorius auf dem Wall in Neubrandenburg zwischen Friedländer Tor und Bahnhof. Inschrift: „Land-Syndikus J. G. Pistorius, ein Mekelburger, geboren 1708, gestorben 1780 …“. [Bildquelle: C. W.].

Kennern der Mecklenburg-Strelitzer Münzgeschichte dürfte der Münzsammler Pistorius aus der historischen Literatur bekannt sein. Dieser zufolge besaß er ein aus Kupfer bestehendes versilbertes Talerstück (Probemünze) von 1694, das den späteren Herzog Adolf Friedrich II. von Mecklenburg-Strelitz abbildet. Der „Taler“ lag nicht einmal Carl Friedrich Evers zur Bestimmung und Katalogisierung für sein bedeutendes Werk der Mecklenburgischen Münzverfassung von 1798 vor. Er schrieb dazu: „Dieser ist von Kupfer und übersilbert in des wail. Raths- und Landsyndicus Pistorius zu Neubrandenburg Auctions-Verzeichnisse seiner Bücher, Charten, Kupfer und Münzen 1781, Oct. S. 139. C.1 angeführt. Ob er mit dem Wapen, Bildnisse und anderen Merkmalen in Silber geprägt und zu welcher Absicht, da der Herzog noch kein regierender Herr war? das ist mir unbekannt geblieben.“ (Carl Friedrich Evers: Mecklenburgische Münzverfassung – besonders die Geschichte derselben, Band II, Schwerin 1799, S. 308). Damit ist der Bezug zur Mecklenburg-Strelitzer Münzgeschichte und Pistorius hergestellt. Dass Prägewerkzeuge, namentlich Stempel, aber auch Proben der Nachwelt seltener überliefert werden als die eigentlichen Münzen, liegt auf der Hand, weil es mit ihrem Zweck zusammenhängt. Während die einen der Herstellung dienen bzw. zur Testung oder für die Erlangung der Freigabe durch den Münzherrn benötigt werden, sind die anderen aufgrund ihrer Geldfunktion in der Regel Massenprodukte. Das Stück von Pistorius ist eine solche Probemünze, sie verdient aber aus einem zusätzlichen Grund besondere Beachtung. Sie ist nicht nur sehr selten, sondern sie wurde kurioserweise geschaffen, ohne dass es dafür einen Staat gab.

Herzog Adolf Friedrich II. [Bildquelle: Wikipedia].

Noch bevor Adolf Friedrich durch den sogenannten Hamburger Erbvergleich 1701 als Herzog von Mecklenburg-Strelitz bestätigt wurde, begann er bereits im Jahr 1693 ein Münzprojekt. Er richtete in Strelitz eine Münzprägestätte ein und wollte mit Kopfbildnissen auf Münzen auf seine Erbansprüche aufmerksam machen. Das Münzprojekt kam aber nicht zur Vollendung. Aus Schwerin und Berlin wurde die autonome Münzprägung untersagt. (Vgl. Michael Kunzel: Das Münzwesen Mecklenburgs von 1492 bis 1872, Berlin 1994, S. 215-217). Nur wenige Münzen der ominösen Münzprägestätte von Strelitz sind bekannt geworden. Ein Exemplar besaß Pistorius.

Der Neustrelitzer Amtsrichter Ulrich Horn, der bis 1912 die Großherzogliche Münzsammlung in Neustrelitz katalogisiert hat, kannte nur dieses kupferversilberte Stück. Er hat es persönlich gesehen, gezeichnet und vermessen. Es hat einen Durchmesser von 45 mm und ein Gewicht von 29,68 g. Seinen über 1000-seitigen handschriftlichen Katalog zur Mecklenburg-Strelitzer Münzgeschichte beginnt er folglich unter Nr. 1 mit dem Probetaler von 1694. Horn hat, soweit es ihm möglich war, zu jeder Münze „Bemerkungen“ verfasst. Zu seiner Nr. 1 schreibt er, dass diese Münze dieselbe sei, die dem Herzog als Probemünze vorgelegen habe, die aber durch irgendeinen Umstand in die Hände des Pistorius gelangt und schließlich doch in die Großherzogliche Neustrelitzer Münzsammlung gekommen sei. (Vgl. Ulrich Horn: Die Münzen und Medaillen der Herzöge und Großherzöge von Mecklenburg-Strelitz 1701-1911, numismatisches Manuskript 1911, Neubrandenburger Stadtarchiv Reg.-Nr. 4.00 AE: 15929).

Das Probestück von Pistorius im Manuskript von Ulrich Horn. [Bildquelle: Neubrandenburger Münzverein].

Am 1.1.1934 erfolgte unter nationalsozialistischem Druck die Vereinigung der Freistaaten Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin. Am 23.5.1936 wurde dann in der Folge auch die ehemals Großherzogliche Münzsammlung mit all ihren Münzen, Medaillen, Prägestempeln und Gelddruckplatten von Neustrelitz nach Schwerin überführt. Dort wurde dann sortiert. Einzelstücke und die besseren Exemplare der Doubletten verblieben im Schweriner Münzkabinett. Nach Neustrelitz gingen zurück: Plaketten und Medaillen zum Thema Königin Luise von Preußen als ständige Ausstellung sowie Doubletten und Ankaufstücke einer ausstellungsreifen Übersicht des Strelitzer Münzwesens. Der Rest der mecklenburgischen sowie die nichtmecklenburgischen Münzen mit Ausnahme der antiken Stücke (ca. 8000 Exemplare) wurde durch die Rostocker Münzhandlung Ludwig Grabow am 11.12.1935 versteigert. (Vgl. Wolfgang Virk: Mecklenburgische Münzen & Medaillen aus dem Münzkabinett des Staatlichen Museums Schwerin, Schwerin 1988, S. 6, 17f., 386).


Der Neustrelitzer Numismatiker und Münzsammler Dr. Hans Fründt schreibt dazu in den Arbeitsmaterialien des Kulturbundes Rostock: „Nach einer Mitteilung des Münzkabinetts in Schwerin vom 15. März 1937 befindet sich in Schwerin ein Taler Adolf Friedrich II. von 1694, altversilberter Kupferguß (wahrscheinlich das gleiche Exemplar von Pistorius).“ (Hans Fründt: Die ersten Münzprägungen im Lande Mecklenburg-Strelitz unter Herzog Adolph Friedrich II., In: Arbeitsmaterial des BFAN Rostock 2/3 1967, S. 15). Am 9.9.1942 wurden 487 der wertvollsten Münzen aus Schwerin in die Sparkasse Plau am See ausgelagert, die dann am 10.5.1945 von der Trophäenkommission der Roten Armee beschlagnahmt wurden. Darunter befand sich auch der seltene Probetaler von 1694 mit der Inventar-Nr. 6462. (Vgl. Torsten Fried: Dokumentation der kriegsbedingt vermissten Kunstwerke des Mecklenburgischen Landesmuseums, Band II: Münzen, Medaillen, Orden, Ehrenzeichen, Schwerin 1998, S. 52).


Fründt berichtet weiter, dass 1937 dann ein „Silbertaler“ von 1694 auftauchte, der sich in der Sammlung des Bankangestellten Carl-Egon Horn (Bruder von Ulrich Horn) in Berlin befand. Er hatte diesen von der Herzogin Marie von Mecklenburg-Strelitz (1878-1948) erhalten, da er die Geldverwaltung der Herzogin stets zu deren vollen Zufriedenheit erledigte und der die Sammelleidenschaft von Horn bekannt war. (Vgl. Fründt, S. 15). Ein weiteres Silberexemplar ist nie bekannt geworden. Wie gesagt, Ulrich und Carl-Egon Horn waren Brüder. Ulrich, der bereits 1912 verstarb, hat in seinem umfänglichen Manuskript den angeblich silbernen Probetaler nie erwähnt. Wann dieser in die Sammlung von Carl-Egon gekommen ist, wissen wir nicht. Es muss wahrscheinlich nach 1912 gewesen sein. Nach dem Tod von Carl-Egon Horn erwarb Hans Fründt dessen Nachlass inklusive dem Silbertaler von 1694. Im Ergebnis seiner Anfrage beim Münzkabinett Schwerin konnte er sicher sein: Es gab mindestens zwei Exemplare des Talermodells, eines lag in Schwerin, eines hatte er. Bis zum Tode von Fründt im Jahr 1968 blieb der „Silbertaler“ in dessen Besitz. 1974 brachten die Erben die Sammlung dann nach Frankfurt/Main. Sie wurde im März 1975 beim Auktionshaus Dr. Busso Peus Nachf. versteigert. Und nun das Besondere: Unter Nummer 797 wurde dieser angebliche Silbertaler als „Kupfer, versilbert“ verauktioniert.

Das Exemplar der Herzogin Marie. [Bildquelle: P. W.].

1993 wurde dasselbe Stück in der Westfälischen Münzauktion unter Nr. 1257 erneut als versilbertes Kupferstück versteigert. (Vgl. Westfälische Auktionsgesellschaft für Münzen und Medaillen, Udo Gans, Heinz-Günther Hild, Manfred Olding OHG: Auktion 2, 18.-20. Oktober 1993, Dortmund 1993, S. 116).


Ein Schweriner Sammler erwarb es und nun stellte sich heraus, dass der „angebliche Silbertaler“ von Carl-Egon Horn tatsächlich nur aus versilbertem Kupfer bestand. 2001 wurde die Mecklenburg-Strelitzer Kollektion an einen bekannten Mecklenburg-Sammler weiterverkauft – mit Ausnahme des seltenen Talers von 1694. Da der letzte Besitzer diese Rarität in einer deutschen Sammlung sehen wollte, schlug er das Angebot einer Schweizer Münz-Firma aus und überließ das Stück einem hiesigen Mecklenburg-Sammler. So befindet sich die rare Talerprobe wieder dort, wo sie entstanden ist, in Mecklenburg-Strelitz. Das Stück hat übrigens ein Gewicht von 30,86 g.


Ein weiteres Exemplar aus Kupfer befindet sich im Dänischen Nationalmuseum Kopenhagen in der dortigen Mecklenburg-Sammlung. Hierauf verwies in der deutschsprachigen Fachliteratur als Erster Dr. Michael Kunzel in seinem Standardwerk über Mecklenburgische Münzen. (Vgl. Kunzel, S. 217).

Das Exemplar der Königlichen Münzen- und Medaillensammlung im Dänischen Nationalmuseum Kopenhagen. [Bildquelle: Dänisches Nationalmuseum, Kopenhagen].

Letztlich gab es also wohl mindestens drei Stücke:

- das 1945 abhanden gekommene Stück von Pistorius aus versilbertem Kupfer (29,68 g, Ø 45 mm) - 3. Abb.

- das 1937 im Nachlass von Carl-Egon Horn aufgetauchte Exemplar der Herzogin Marie von Mecklenburg-Strelitz ebenfalls aus versilbertem Kupfer (30,86 g, Ø 45 mm) - 4. Abb.

- das Stück im Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen aus Kupfer (29,36 g) - 5. Abb.


Damit ist das Talermodell von 1694 aus Strelitz eines der wohl interessantesten und seltensten numismatischen Zeugnisse des ehemaligen Landes Mecklenburg-Strelitz.

Bei den Recherchen waren die Autoren naturgemäß auf ein hinlängliches Literaturstudium angewiesen; sie kamen aber schnell an einen Punkt, an dem nichts mehr ohne bereitwillige Kooperationspartner funktionierte. Unser herzlicher Dank gebührt daher unter anderem Frau Eleonore Wolf, Leiterin des Stadtarchivs Neubrandenburg, wo das Horn´sche Manuskript lagert, Herrn Dr. Michael Kunzel, Herrn Dr. Torsten Fried, Leiter des Schweriner Münzkabinetts, sowie Frau Helle Horsnæs vom Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen.



Bei den drei Autoren dieses Beitrages handelt es sich um Mitglieder des Neubrandenburger Münzvereins e. V. Die Redaktion von muenzen-online.com bedankt sich herzlich für die Zusendung dieses informativen Artikels.

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