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Dietmar Kreutzer

Der Erfahrungsschatz des Hans-Werner Sinn


Hans-Werner Sinn (geb. 1948). [Bildquelle: Wikimedia, Bonitz].

Der emeritierte Professor für Volkswirtschaft ist vor allem durch seine Publikationen und als langjähriger Präsident des renommierten ifo-Institutes bekannt. Seine ersten nachhaltigen Kontakte mit Bargeld respektive Münzen reichen bis weit in die Kindheit zurück. In einem dörflichen Umfeld in Westfalen und Pommern aufgewachsen, besuchte er die Volksschule in der Nähe seiner Großeltern. „Das Zeugnisheft zu erhalten, war für mich immer ein freudiges Erlebnis, denn ich ging damit zu meinem Onkel Hans Sinn, dem Bruder meines Vaters, der mir dafür stets ein paar Groschen gab, wenn die Noten gut waren. Und meistens waren sie gut. Manchmal erhielt ich sogar einen silberner Fünfziger.“ (Hans-Werner Sinn: Auf der Suche nach der Wahrheit, Freiburg 2018, S. 122).

10 Pfennig (Bundesrepublik Deutschland, 1950). [Bildquelle: Comptoir des Monnaies].
50 Pfennig (Bundesrepublik Deutschland, 1998). [Bildquelle: Deutsche Bundesbank].

Den „Fünfziger“ nahm Sinn als etwas Besonderes wahr. Seine Betonung auf „silberner“ Fünfziger lässt aufmerken. Ein Fünfzig-Pfennig-Stück aus der Nachkriegszeit besteht schließlich nicht aus Silber, sondern einer Kupfer-Nickel-Legierung. Bei näherer Betrachtung lässt die Wortwahl aber eine weiter zurückreichende Linie deutlich werden. Im Deutschen Reich (1871-1918) bestanden die Stücke nämlich tatsächlich aus Silber, während alle Scheidemünzen geringeren Wertes aus unedlen Materialien gefertigt wurden. Auch später war der Unterschied im Material evident. Die Tradition wurde nach Gründung der Bundesrepublik nämlich in der Weise variiert, dass die „silbernen“ Fünfzig-Pfennig-Stücke besonders edel wirkten. Alle niedrigeren Wertstufen bestanden aus Kupfer oder Messing bzw. waren mit diesen Materialien plattiert. Auch an den Durchmessern der einzelnen Wertstufen des Kleingeldes ist diese Übereinstimmung ablesbar. Spätestes als Hans-Werner Sinn im Oktober 1967 mit 19 Jahren ein Studium der Volkswirtschaft an der Universität Münster begann, wurde sein Interesse an Groschen und Fünfzigern von jenem an größeren volkswirtschaftlichen Zusammenhängen abgelöst. Vor allem die von John Maynard Keynes angesichts der Weltwirtschaftskrise von 1929 entwickelte Theorie des Geldes faszinierte ihn. „Die Grundlogik der Keynes’schen Krisentheorie lässt sich schnell verstehen. Aus irgendeinem Grunde, ob rational begründbar oder nicht, konsumieren die Menschen weniger und sparen ihr Geld, doch statt das Geld der Bank zu geben oder es sonst wie zu verleihen, was dann ja die Nachfrage nach Investitionsgütern beleben würde, horten sie es.“ (Ebenda, S. 80f.). Ein Rückgang des Konsums und der Investitionen gleichzeitig kann zu einer Abwärtsspirale führen, die in eine schwere Krise führt. Keynes lehrte, dass der Staat einer solchen Krise durch kreditfinanzierte Ausgabenprogramme entgegenwirken müsse. So könne er die ökonomische Dynamik dergestalt ändern, dass aus der Abwärts- eine Aufwärtsspirale wird. Eine mit der Weltwirtschaftskrise vergleichbare Dynamik bestand auch während der Weltfinanzkrise von 2008. In den Wochen nach dem Kollaps der US-Bank Lehman Brothers geriet das Finanzsystem der Welt an den Rand des Zusammenbruchs. Eine Bank nach der anderen geriet ins Wanken. „Am 10. Oktober 2008 waren auch viele Kassenautomaten deutscher Kreditinstitute leer, weil die Menschen das Geld, das sie auf den Konten hatten, in Sicherheit bringen wollten und die Lastwagen mit der Lieferung frischen Bargelds nicht schnell genug nachkamen.“ (Ebenda, S. 202). Die zahlreichen im Sinne von Keynes aufgelegten Ausgaben- und Rettungsprogramme beiderseits des Ozeans wirkten. Der seither beschrittene Weg exponentiell steigender Schulden steht mit dem Ansatz von Keynes allerding nicht im Einklang. Das Verrechnungssystem zwischen den EU-Notenbanken offenbare allein innerhalb der Eurozone eine immense Geldschöpfung, die sich immer mehr zugunsten der Schuldenstaaten der Eurozone auswirkt. Bis vor fünfzig Jahren wurden Bilanzsalden zwischen den Staaten häufig mit Gold ausgeglichen. Das exportstarke Deutschland konnte sich auf diese Weise eine große Goldreserve zulegen. „Dieser Goldschatz ist ökonomisch gesehen das exakte Pendant der Target-Forderungen heute. Beim Untergang des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre betrug der so angesammelte Goldschatz der Bundesbank rund 4.000 Tonnen. Davon waren im Jahr 2017 noch knapp 3.400 Tonnen vorhanden, unter anderem, weil der EZB bei ihrer Gründung ein Teil davon übertragen worden war.“ (Ebenda, S. 591).

Goldmark (Deutsche Bundesbank, 2001). [Bildquelle: Münzenlager Sundern].

Heute vollzieht sich der Ausgleich der Salden dagegen durch die Hergabe von marktfähigen Wertpapieren. Die sind schlimmstenfalls aber nichts wert. Die schlummernden Bilanzrisiken des Eurosystems dürften spätestens um das Jahr 2030 offenbar werden. Dann erreichen nämlich hierzulande die Baby-Boomer das Rentenalter. Aller Voraussicht nach dürften dann weder der Staat noch die privaten Rentenversicherer in der Lage sein, die versprochenen Altersbezüge zu zahlen. Die Corona-Krise tue ein Übriges. Die Geldmenge drohe irgendwann in einer Inflation zu enden. „Wer rechtzeitig in Sachwerte ging, ist gesichert. Die Gelackmeierten sind die Geldhalter. Davon gibt es in Deutschland sehr viele. Die Geldmenge im Euro-Raum ist insgesamt viel zu groß, sie wird sich mit den bereits beschlossenen Kaufprogrammen bis zum Sommer 2021 relativ zur Wirtschaftsleistung verfünffachen.“ (Hans-Werner Sinn: Wir sind in einem ausgehebelten System, in: Neue Zürcher Zeitung, 4.12.2020, S. 11).



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