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Das Carpentum, der Wagen der Kaiserinnen

Unter Kaiser Tiberius erscheint im Jahr 22 in der stadtrömischen Münzstätte eine Serie von Sesterzen (Abb. 1 u. 2), die auf ihrer Vorderseite nicht wie gewohnt das Porträt eines Angehörigen des Kaiserhauses zeigen, sondern einen reich verzierten, zweirädrigen Wagen, der von zwei Maultieren nach rechts gezogen wird. Bei diesem Wagen handelt es sich um ein Carpentum, einen Prachtwagen, mit dem Frauen in Rom nicht nur bei festlichen Gelegenheiten fuhren, sondern den sie auch zum Spazierenfahren nutzten. Während der ersten Jahrhunderte des Prinzipats war der Gebrauch des Carpentum nur kaiserlichen Familienangehörigen, denen der Senat dieses Vorrecht verliehen hatte, gestattet.

Abb. 1 S, 22/23, Rom, RIC Tib. 50. Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18211373.

Abb. 2 S, 22/23, Rom, RIC Tib. 51. Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18211368.


Die Averslegende dieser Prägungen - einmal zweizeilig (Abb. 1) und einmal dreizeilig (Abb.2) - "SPQR" (Senatus populusque Romanorum) "IVLIAE AVGVST[AE]" benennt die Person, der dieses im Münzbild proklamierte „Wagenrecht“ gilt: mit Iulia Augusta ist unzweifelhaft Livia Drusilla, die letzte Ehefrau des Augustus und die Mutter des Tiberius, gemeint. In seinem Testament adoptierte Augustus Livia, d. h. sie wurde in das Geschlecht der Iulier aufgenommen, daher der Name Iulia; zum zweiten erhielt Livia testamentarisch auch den Ehrentitel Augusta. Livia / Iulia Augusta litt im Jahr 22 an einer schweren Krankheit, deshalb liegt die Vermutung nahe, dass ihr nach ihrer Genesung dieses „Wagenrecht“ verliehen wurde. Unsere Prägungen sind die ersten stadtrömischen Münzen mit einem direkten Bezug, sprich der Namensnennung, zu Livia und sie sind aufgrund des abgebildeten Carpentums die ersten stadtrömischen Münzen mit einer rein weiblichen Ikonographie.


Das Carpentum ist auf den abgebildeten Sesterzen sehr detailliert ausgeführt: auf der Achse mit achtspeichigen Rädern sitzt ein mit horizontalen „Linien“ und Girlanden verzierter Wagenkasten. Darüber erhebt sich der Aufbau, an dessen Ecken sich karyatidenähnliche Figuren befinden. Der Aufbau selbst ist in rechteckige Felder untergliedert, von denen die unteren mit Reliefs verziert sind, in den oberen befindet sich jeweils ein durch fünf Punkte gebildetes x-förmiges Ornament. Das Dach des Carpentum ist gewölbt, der vordere und der hintere Abschluss sind wiederum reich verziert. Der Einstieg in das Carpentum wird von hinten erfolgt sein.


Der Revers unserer Münzen beinhaltet nur Schrift: als Legende "TI CAESAR DIVI AVG F AVGVST P M TR POT XXIIII" (Tiberius Caesar Divi Augusti Filius Augustus Pontifex Maximus Tribunicia Potestas XXIIII) und im Feld "SC" (Senatus Consulto). Tiberius hatte seine 24. tribunicia potestas vom 26. Juni 22 bis zum 25. Juni 23 inne; somit liegt die Datierung unserer „Carpentum-Sesterze“ in diesem Zeitraum.


Während der Regierungszeit des Caligula (37 - 41) wird in der Münzstätte Rom der sogenannte „Carpentum-Sesterz“ (Abb. 3) geprägt. Dieser zeigt auf seiner Vorderseite das Porträt von Agrippina maior (maior = die Ältere), der Mutter des Caligula. Agrippina maior war die Tochter von Marcus Agrippa und Iulia, der Tochter des Augustus, somit dessen Enkelin. Verheiratet war sie mit Germanicus. Im Jahr 29 wurde sie von Tiberius auf die Insel Pandataria verbannt, wo sie im Jahr 33 verstarb. Kurz nach seinem Herrschaftsantritt holte Caligula die Asche seiner Mutter von Pandataria nach Rom, wo sie im Augustus- Mausoleum bestattet wurde. Seiner Mutter zu Ehren stiftete Caligula Zirkusspiele „und einen Staatswagen, auf dem ihr Bild in feierlicher Prozession mitgeführt werden sollte“ (Sueton, Caligula 15).

Abb. 3 S, 37 - 41, Rom, RIC Cal. 55. Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18214322.


Das Münzporträt von Agrippina maior wirkt zeitlos; die drapierte Büste ist nach rechts gerichtet. Die Gesichtsoberfläche zeigt keine Bewegung, der Mund ist fein geschwungen. Auffallend sind die tiefliegenden Augen und die gebogene Nase. Agrippina trägt die typisch iulische Frisur: ausgehend von einem Mittelscheitel ist das Haar wellenförmig nach hinten geführt. Dort wird es zu Zöpfen geflochten, die zu einer Schlaufe gebunden werden. Agrippina trägt zudem ein weit herab reichendes Ohrgehänge. Die Averslegende "AGRIPPINA M F MAT [C C]AESARIS AVGVSTI" (Agrippina Marci Filia Mater Caii Caesaris Augusti - Agrippina, Tochter des Marcus [Agrippa], Mutter des Kaisers Caius Caesar) nennt quasi einen kurzen Lebenslauf der Agrippina maior.


Zweifellos ist auf dem Revers unseres Sesterz der oben erwähnte Staatswagen für die pompa circensis, dem Festzug zur Eröffnung der Zirkusspiele, abgebildet. Anders als bei dem Carpentum auf dem „Livia-Sesterz“ bewegt sich der wieder von zwei Maultieren gezogene Wagen jetzt von rechts nach links. Ansonsten sind die beiden Carpenta nahezu identisch. Man darf davon ausgehen, dass sich die Stempelschneider des „Agrippina maior-Sesterz“ an dem Bild der tiberischen „Carpentum-Prägung“ orientiert haben. Auch die Reverslegende "SPQR MEMORIAE AGRIPPINAE" (.... dem Gedenken an Agrippina) lehnt sich an den „Livia-Sesterz“ an.


Unser nächstes Beispiel, wiederum ein Sesterz (Abb. 4), stammt aus der Regierungszeit des Claudius. Es ist eine Für-Prägung des Claudius für seine letzte Ehefrau Agrippina minor (minor = die Jüngere). Agrippina minor war eine Tochter von Agrippina maior, Schwester des Caligula und Mutter des Kaisers Nero. Auf dem Avers sehen wir die nach rechts gewandte Büste der Kaiserin. Ihre Frisur ähnelt derjenigen der Agrippina maior, jetzt allerdings mit mehr Locken am Oberkopf und an den Seiten. Das Gesicht zeigt wenig Mimik, der Gesichtskontur ist fein geformt. Agrippina minor trägt nun ein doppeltes Ohrgehänge. Der Büstenausschnitt ist weiter gefasst. Die Averslegende "AGRIPPINAE AVG GERMANICI F CAESARIS AVG" (Agrippinae Augustae Germanici Filiae Caesaris Augusti - für die Kaiserin Agrippina, Tochter des Germanicus, [Ehefrau] des Kaisers Caesar) nennt die Titulatur der Kaiserin.

Abb. 4 S, 51 - 54, Rom, RIC Clau. 103. Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18220049.


Das Rückseitenbild zeigt wieder das von zwei Maultieren nach links gezogene Carpentum, dessen Darstellung den oben beschriebenen Carpenta gleicht. Eine Legende ist auf dem Revers nicht vorhanden, aber das Bild spricht für sich! Im Jahr 51 wird Agrippina minor das „Wagenrecht“ verliehen. Daher wird unser Sesterz, der sicherlich diese Ehrung zum Anlass nimmt, in der Zeit zwischen 51 und 54 geprägt worden sein. Diese Münze ist übrigens die erste stadtrömische Prägung, auf der das Porträt einer lebenden Frau ohne direkte Erwähnung bzw. Nennung der Titulatur des Kaisers abgebildet ist.

Abb. 5 S, 80/81, Rom, RIC Titus 262. Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18229410.


Unter Titus wird, wie der Sesterz Abb. 5 belegt, das Carpentum-Thema wieder aufgegriffen. Die Münzstätte Rom nimmt dabei zum einen die Sesterz-Serie des Tiberius (Abb. 1 u. 2), zum anderen hinsichtlich der Averslegende den „Memoria-Sesterz“ des Caligula (Abb. 3) zum Vorbild. Der Avers zeigt das nach rechts gezogene Carpentum, dessen Erscheinungsbild den vorherigen Beispielen gleicht. Unterschiedlich ist lediglich die Darstellung des Wagenrades, das hier nur sechs Speichen besitzt. Sehr deutlich ist bei unserem Sesterz (Abb. 5) der Ornamentschmuck des vorderen Dachrandes des Carpentum dargestellt. Dieser ähnelt der Dachzier öffentlicher Prachtbauten: über einem zweireihigen, mit Eierstabmotiven verzierten Architrav erhebt sich ein Palmettenfries. Die vierzeilige Averslegende "MEMORIAE DOMI/TILLAE SPQR" bezieht sich höchstwahrscheinlich auf Flavia Domitilla die Ältere, Frau des Vespasian und Mutter des Titus und des Domitian. Flavia Domitilla verstarb vor dem 1. Juli 69, d. h. noch vor der Machtübernahme des Vespasian. Auf der Rückseite des 80/81 geprägten Sesterz wird die gesamte Titulatur des Münzherrn Titus genannt: "IMP T CAES DIVI VESP F AVG P M TR P P P COS VIII" (Imperator Titus Caesar Divi Vespasiani Filius Augustus Pontifex Maximus Tribunicia Potestas Pater Patriae Consul VIII).

Abb. 6 S, 90/91, Rom, RIC Dom. 717 Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18231413.


Unter Domitian wird das Carpentum-Motiv in ähnlicher Weise wiederholt wie unter Titus. Auf den ersten Blick gleicht der 90/91 geprägte domitianische Sesterz Abb. 6 dem des Titus (Abb. 5). Das Carpentum besitzt nun allerdings wieder ein achtspeichiges Rad, der Aufbau besteht jetzt neben den Stützfiguren aus einem großen rechteckigen Feld, dessen Relief eine große Figur zeigt. Neu ist auch die Legendenschreibweise des Avers. Die Umschrift ist nunmehr im Uhrzeigersinn am Münzrand zu lesen, lediglich das Kürzel "SPQR" befindet sich unten im Abschnitt. Gewidmet ist die Münze laut der Legende "DIVAE IVLIAE AVG(ustae) DIVI TITI F(iliae) S P Q R" der Diva Iulia, der Tochter des Titus. Noch während der Herrschaft des Titus erhielt Iulia den Augusta-Titel. Gestorben ist sie Ende der achtziger Jahre, auf jeden Fall vor dem 3. Januar 90. Von Domitian wurde sie konsekriert. Auf dem Revers ist die Titulatur des Domitian zu lesen, ergänzt im Feld durch das übliche "SC".


Die hier angeführten Beispiele zeigen, dass das Carpentum-Motiv sowohl für lebende, als auch für verstorbene Frauen des Kaiserhauses verwendet wurde. In der weiteren Folge taucht dieses Motiv auch unter Traian und Antoninus Pius auf, wobei es unter diesen Kaisern nur noch für Memorial-Prägungen eingesetzt wird. Der Memorial-Sesterz für Agrippina maior wird sogar Ende des 4. bzw. Anfang des 5 Jahrhunderts auf Kontorniaten rezipiert.


Horst Herzog

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