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Corpus Nummorum Online: Adramyttion und Thebe


Seit Jahren gibt es Bestrebungen für sammlungsübergreifende Spezialportale in der Numismatik. Mitte 2018 startete ein neues Forschungsprojekt zur Münzprägung der antiken Provinzen Moesia Inferior, Troas und Mysien (Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung). Gemeinsam mit den Münzen Thrakiens wird das in Berlin vorhandene Material auf der website www.corpus-nummorum.eu veröffentlicht. An dem Projekt unter Federführung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Ulrike Peter) sind das Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin (Bernhard Weisser) und das ‚Big Data Lab‘ der Universität Frankfurt (Karsten Tölle) beteiligt. Es geht dabei um eine Typisierung der Münzen und deren Anreicherung mit möglichst guten Normdaten. Das Portal wächst rasch: derzeit sind über 16.000 Münzen online. Im Bereich der IT wird vielfach Neuland betreten, sodass die erzielten Ergebnisse eine Musteranwendung für weitere Landschaften bieten können. Das Portal ist derzeit noch englischsprachig, eine deutsche Fassung ist aber möglich und vorgesehen. Einen mehrsprachigen Überblick über das Projekt finden Sie hier. Um einen Einblick in die numismatische Forschung an dem Material zu gewährleisten, findet auf dem Portal die online Publikation „Coin of the Month“ statt, einem monatlichen Beitrag über eine ausgewählte Münze. Für den Monat November wurde ein Münztyp von Adramyttion in Mysien ausgewählt.

Adramyttion und Thebe

Südlich des Mittelgebirges vom Ida zieht sich die Bucht von Adramyttion tief in das Land hinein. Die südlichen Bäche des Ida-Gebirges, die nördlichen des Kozak-Gebirges und der Euenos mit seinen Zuflüssen bewässern diese fruchtbare Ebene. In der Literatur wird sie als Ebene von Thebe oder idäische Bucht bezeichnet. Die Hafenstadt dieser Ebene war Adramyttion. Sie wird beim heutigen Badeort Ören lokalisiert.

Pseudo-autonome Bronzeprägung, 5,02 g, 21 mm, Adramyttion zugewiesen. Bildquelle: Münzkabinett Berlin.

Die Münzprägung von Adramyttion begann im 4. Jahrhundert v. Chr. und reicht mit Unterbrechungen bis in gallienische Zeit (253–268 n. Chr.). Die hier gezeigte pseudo-autonome Bronzeprägung ist der Münzprägestätte Adramyttion zuzuweisen. Sie befindet sich im Münzkabinett Berlin, hat einen Durchmesser von 21 mm und wiegt 5,02 g. Auf der Vorderseite zeigt sie, wie die Legende ΘΗΒH im Nominativ besagt, das Brustbild der Stadttyche von Thebe. Die drapierte Büste ist in Frontalansicht dargestellt, der Kopf blickt nach rechts. Die Haare der Stadtgöttin sind zu einem Haarknoten im Nacken zusammengenommen, jeweils eine Locke zieht sich über die Schultern. Den Kopf ziert eine dreitürmige Mauerkrone.

Die Rückseite zeigt eine in der Vorderansicht stehende Tyche in langem Gewand und mit Getreidemaß (kalathos) auf dem Kopf. Sie blickt nach links. In ihrem linken Arm hält sie ein Füllhorn (cornucopiae) und in der rechten Hand ein Steuerruder. Gerahmt wird das Bild von der Legende ΑΔΡΑΜVΤΗΝΩΝ, die die Münze als Prägung der Bewohner von Adramyttion ausweist.

Diese Münze (CN 14447) ist dem Typ 2689 zugeordnet, der in der Datenbank bisher durch drei Exemplare belegt ist. Stilistisch datiert v. Fritze diesen Typ in die zweite Hälfte des 2. Jh. n. Chr. Etwas später, um 200 n. Chr., setzt er eine weitere Münze (CN 14448) aus dem Berliner Münzkabinett mit der gleichen Darstellung an, die als einziges Stück dem Typ 2690 zugeordnet wurde.

Das Motiv des Brustbildes einer Stadtgöttin mit der gemeinsamen Legende ΘΗΒH ΑΔΡΑΜVΤΗΝΩΝ findet sich auch auf einer Münze (CN 14459) mit dem Porträt des Severus Alexander auf der Vorderseite. Dieser Münztyp (2688) kann durch das Porträt des Kaisers in den Zeitraum von 222– 235 n. Chr. datiert werden.

Geografische Lage des antiken Adramyttion. Bildquelle: Wikidata (Wikimedia maps), (https://www.wikidata.org/wiki/Q3605584)

Die Stadt Adramyttion stellte mit diesen Münzentypen eine Beziehung zur Stadt Thebe her. Durch die mehrmalige Wiederholung wird deutlich, dass das Bildthema eine gewisse Relevanz besaß.

Es ist vorgeschlagen worden, die Darstellung mit der Aufgabe der Stadt als Hafenstadt in Verbindung zu bringen. Die Stadt siedelte sich später im Gebiet des heutigen Edremit an. Jedoch haben Grabungen der letzten Jahre gezeigt, dass diese Umsiedlung erst im Mittelalter erfolgte. Die Aussage der Münze war eine andere: Thebe war der Hauptort der Ebene in homerischer Zeit. Berühmt wurde der Ort durch die Ilias, denn er steht mit zwei wichtigen Schlüsselszenen der Ilias in Verbindung:

Der Zorn des Achill, mit dem die Ilias beginnt, beruht darauf, dass er nach der Eroberung von Thebe und von Lyrnessos die ihm zugedachte Kriegsbeute nicht behalten durfte, sondern sie an Agamemnon abgeben musste. Er klagte seiner Mutter Thetis:

I 366 (S. 25): Seufzend aus tiefer Brust versetzte der schnelle Achilleus: Mutter, du weißt doch alles; was soll ich es dir noch erzählen? Thebe belagerten wir, Eëtions heilige Feste, und zerstörten die Burg und führten alles von dannen. (364-367)

II 691 (S. 77): Lag doch still bei den Schiffen der edle schnelle Achilleus, zürnend der Jungfrau wegen, der reichgelockten Briseїs, die er einst nach hartem Kampf aus Lyrnessos erbeutet, als er mit Macht Lyrnesseus und Thebens Mauern zerstörte.

Das berühmteste Paradigma für ‚des Kriegers Abschied‘ ist die Klage der aus Thebe stammenden Andromache, als sich Hektor für den Kampf gegen Achill rüstet:

VI 397 (S. 135): Kam die begüterte Gattin Andromache eilenden Schrittes gegen ihn her, des hochgemuten Eëtion Tochter: Dieser, Eëtion, wohnte am waldigen Hange des Plakos, unter dem Plakos in Thebe, Kilikiens Männer beherrschend; dessen Tochter besaß der eherne Hektor zum Weibe. (394-398)

VI 416 (S. 137) Andromache spricht: Meinen Vater erschlug ja der göttliche Streiter Achilleus und zerstörte die wohlbevölkerte Stadt der Kiliker, Thebe mit ragendem Tor; den Eëtion selber erschlug er, ohne die Waffen zu rauben, denn solches scheut‘ er im Herzen. (414-417)

XXII 479 (S. 767) Andromache spricht: Hektor, weh‘ über mich! So sind wir zu einem Geschicke beide geboren, du selbst in Priamos‘ Hause zu Troja, ich dagegen in Thebe, am waldigen Hange des Plakos, wo mich daheim in der Jugend Eëtion zog und ernährte; Unglücksvater und –tochter! (477-481)

Homer gehörte zum Wissenskanon in der römischen Kaiserzeit, und diese Textstellen kannte jeder gebildete Grieche oder Römer. Der augusteische Geograph Strabon nennt dezidiert diese Homerstellen und verweist auf das verlassene Thebe, dass sich aufgrund seiner Angaben plausibel oberhalb des heutigen Edremit lokalisieren lässt. Die genaue Lokalisierung von Thebe ist aber nach wie vor unsicher. Vielleicht lag es auf einem Hügel etwa 2 km nordöstlich von Edremit, auf dem Siedlungsreste gefunden wurden. Thebe als Münzprägestätte kann bisher nur durch drei kleine Bronzetypen aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. belegt werden. Auf der Vorderseite zeigen sie einen Frauenkopf in zwei Varianten (Demeter?) und auf der Rückseite ein Triskeles bzw. die Protome eines geflügelten Pferdes mit der Legende ΘΗΒ(Α).

Die Münzen von Adramyttion verweisen darauf, dass Adramyttion die Rolle als Hauptort der ‚Ebene von Thebe‘ innehat, die zuvor Thebe für sich beanspruchen konnte. Gelangt man über den Namen des Namengebers Adramas bereits in die lydische Vergangenheit, so reicht der Bezug zum homerischer Thebe noch weiter zurück und verdeutlicht den Stolz der Stadt, in einer alten Kulturlandschaft als Teil der griechischen Koiné zu leben.

Homer, Ilias. Übertragen von Hans Rupé, München 1980.


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