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Liberianische „Sammlermünzen“: Vorboten des Bürgerkrieges


Vierzehn Jahre dauerte der Bürgerkrieg in Liberia, einer der blutigsten der jüngeren Geschichte. Als der Konflikt westafrikanischer Ethnien um Macht und Rohstoffe im Jahr 2003 endete, waren 250.000 Menschen tot und Millionen auf der Flucht. Im Verlauf der Auseinandersetzungen kam es zu zahlreichen „Ritualmorden“ und Kannibalismus. Einer der wenigen, die vom Ort des Geschehens berichteten, war der polnische Journalist Ryszard Kapuściński. Infolge seiner kenntnisreichen Reportagen aus Afrika wurde er 1999 in seinem Heimatland zum „Journalisten des Jahrhunderts“ ernannt. „Abkühlende Hölle“ nannte er eine Reportage, die er über die Endphase des Bürgerkriegs und die Sehnsucht nach Frieden schrieb: „Über den Fluss führt eine Brücke. Auf der Seite von Monrovia stehen in langen Reihen die Hütten und Zelte eines Flüchtlingslagers. Hier gibt es auch einen riesigen Markt – das bunte Königreich aufgeregt und schrill durcheinander rufender Händlerinnen. Die Leute vom anderen Flussufer, aus dem Inneren der Hölle der Warlords, aus dieser von Terror, Hunger und Tod regierten Welt, dürfen auf unsere Seite herüberkommen, um hier einzukaufen. (…) Dort sehe ich auch einen Menschen, der völlig nackt ist, aber eine Kalaschnikow geschultert hat. Die Menschen machen ihm Platz, weichen ihm aus.“ (Ryszard Kapuściński: Afrikanisches Fieber. München 2001, S. 259) Der junge Mann war Joshua Milton Blahyi, der berüchtigte General Butt Naked. Der frühere Kindersoldat aus dem westafrikanischen Volk der Krahn ermordete zahllose Menschen. Er glaubte, seine rituelle Nacktheit mache ihn unbesiegbar. Der preisgekrönte Journalist aus Polen schilderte aber nicht nur Kuriositäten und Exzesse des Bürgerkriegs, sondern auch, wie es dazu kommen konnte.

Die als besonders brutal geltenden Jugendlichen der „Butt Naked Brigade“ kämpften nackt oder in erbeuteten Uniformen.

Bildquelle: Random Thoughts

Kapuściński berichtet von der American Colonisation Society, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts freigelassene Sklaven aus den USA in der Nähe der heutigen Hauptstadt Monrovia ansiedelte. Mit den einheimischen Stämmen im Hinterland verbrüderten sich die „Neuen“ allerdings nicht. Sie versuchten die Eingeboren vielmehr zu ihren Sklaven zu machen. Als der moderne Sklavenhandel der liberianischen Oberschicht vor etwa 90 Jahren ruchbar wurde, intervenierte der Völkerbund. Die Macht im Lande verteidigten die „Americo-Liberians“ jedoch erfolgreich. Zu dieser Schicht gehörte auch William Tubman, der seit 1944 amtierende Staatspräsident. Kapuściński lernte ihn im Frühjahr 1963 kennen, auf der ersten Konferenz der afrikanischen Staatsoberhäupter: „Er war ein kleiner, zartgliedriger, jovialer Herr, immer mit einer Zigarre zwischen den Zähnen. Auf problematische Fragen antwortete er mit einem langen, dröhnenden Lachen, das in einen lauten Schluckauf mündete, dem ein pfeifender, krampfartiger Asthmaanfall folgte. Er schüttelte sich und riss die Augen weit auf. Der betroffene und erschrockene Gesprächspartner verstummte und wagte es nicht, weiter zu bohren. Dann wischte Tubman die Asche von seinem Anzug und versteckte sich, wieder ganz ruhig, neuerlich hinter dem dichten Qualm seiner Zigarre.“ (Ebenda, S. 241) Dass er das Land für ausländische Investitionen öffnete, wird ihm gemeinhin als Verdienst angerechnet. Der von ihm geförderte Personenkult zählte jedoch zu seinen Schattenseiten. Bestellte Musikgruppen priesen die Größe des Präsidenten: „Tubman ist unser aller Vater / der Vater der gesamten Nation / Er baut für uns Straßen / bringt uns das Wasser / Tubman gibt uns zu essen / gibt uns zu essen / ye, ye!“ (Ebenda, S. 242)

Großformatige Gedenkausgaben anlässlich runder Geburtstage zeugen vom Personenkult um Präsident William S. Tubman.

Bildquelle: Taxfreegold

Unter der prosperierenden Oberfläche wucherten Korruption und Misswirtschaft: „Tubman starb im Jahre 1971. Ihm folgte sein Freund, Vizepräsident William Tolbert nach. Während Tubman Gefallen an der Macht gefunden hatte, faszinierte Tolbert das Geld. Er war die wandelnde Korruption. Er handelte mit allem – mit Gold, mit Autos, und in seiner Freizeit verkaufte er auch noch Reisepässe. Die gesamte Elite, die Nachfahren der schwarzen amerikanischen Sklaven, folgte seinem Beispiel. Auf Menschen, die auf die Straßen gingen, um Brot und Wasser zu fordern, ließ Tolbert schießen. Seine Polizei tötete hunderte von Menschen.“ Als eine Lebensmittelkrise ausbrach, setzten sich die bettelarmen Volksstämme aus dem Hinterland gegen die relativ wohlhabenden „Americo-Liberians“ zu Wehr: „Am 12. April 1980 drang in den Morgenstunden eine Gruppe Soldaten in die Residenz des Präsidenten ein und vierteilte Tolbert in seinem Bett. Sie rissen seine Eingeweide heraus und warfen sie im Hof den Hunden und Geiern zum Fraß hin. Es waren siebzehn Soldaten. Sie wurden von dem 28jährigen Sergeanten Samuel Doe angeführt.“ (Ebenda, S. 243) Der Sergeant von der Volksgruppe der Krahn konnte kaum lesen und schreiben: „Er wusste eigentlich nicht so recht, was er als Präsident machen sollte. Weil er ein kindliches pausbäckiges Gesicht hatte, kaufte er sich große Brillen mit einem goldenen Rahmen, damit er seriös und wohlhabend aussah. Er war ziemlich träge und hockte daher tagelang in seiner Residenz herum und spielte mit seinen Gefolgsleuten Dame.“ (Ebenda, S. 244)

Zum OAU-Gipfel von 1979 in Monrovia erschienen Goldmünzen der Franklin Mint mit dem Porträt von Richard Tolbert.

Bildquelle: Apmex

Um als Angehöriger einer Minderheit gegen die einflussreichen „Americo-Liberians“ bestehen zu können, holte Doe seine Stammesangehörigen in die Hauptstadt. Gegner ließ er aus Angst vor Racheakten hinrichten. Als sich die wirtschaftliche Situation erneut zuspitzte, zettelte ein früherer Gefährte des Präsidenten einen Aufstand an. Bereits nach wenigen Wochen stand die Rebellenarmee unter Führung von Charles Taylor und Yormie Johnson vor den Toren der Hauptstadt. Does letzte Hoffnung waren nun westafrikanische ECOWAS-Streitkräfte, die im Hafen von Monrovia erwartet wurden: „Es ist der 9. September 1990. Der Präsident fährt durch eine total erschöpfte, ausgeplünderte, menschenleere Stadt. Er kommt zum Hafen. Doch hier wird er schon von Johnsons Leuten erwartet. Diese eröffnen das Feuer. Alle Leibwächter des Präsidenten werden getötet. Er selbst bekommt ein paar Kugeln in die Beine ab und kann nicht mehr fliehen.“ Yormie Johnson, Stabschef der Rebellen und früherer Mitstreiter von Doe, wollte die Nummer der Kontoverbindung des Präsidenten wissen. Die Rebellen folterten ihn daher: „Die jungen Burschen stoßen einander zur Seite, jeder möchte das Schauspiel sehen, sich daran weiden. Doe kauert in einer Blutlache, er ist nackt und nass von Blut, Schweiß und vom Wasser, das sie über ihn gießen, damit er nicht ohnmächtig wird.“ (Ebenda, S. 247) Als er nicht sprechen wollte, wurden Doe beide Ohren abgeschnitten. Einige Stunden später war er tot. Das Video kursierte später in der Hauptstadt. Vierzehn Jahre sollte der jetzt einsetzende Bürgerkrieg andauern!

Eine Sonderausgabe der Pobjoy Mint aus Großbritannien würdigt Samuel Kanyon Doe in der Serie „Staatsmänner der Welt“.

Bildquelle: Colnect

Über das Währungssystem des vom Bürgerkrieg geschüttelten Land gab es nicht viel zu sagen. „Im Umlauf befindet sich nur ein Wert, eine Banknote: fünf liberianische Dollar. Das entspricht etwa fünf amerikanischen Cents. Auf den Wechseltischen in den Straßen liegen große Pakete von Fünf-Dollar-Noten. Wenn man etwas kaufen will, braucht man eine ganze Tasche voll Geld.“ (Ebenda, S. 257) Obwohl es im Land selbst keine Münzen gab, tauchten im internationalen Münzhandel immer neue liberianische Sonderausgaben auf. Wie das? Die Warlords der Bürgerkriegsparteien hatten die Prägerechte für Gedenkmünzen an zweifelhafte Prägestätten im Ausland verpachtet. Die Prägefreude privater Anstalten wie der Pobjoy Mint (Großbritannien), der Valcambi SA (Schweiz) oder von Mayer’s Kunstprägeanstalt (Deutschland) schien ins Uferlose zu gehen. In einer Serie von Gold- und Silbermünzen wurde sogar Samuel Kanyon Doe als „Staatsmann von Welt“ gefeiert. Die Münzen weisen ihn als Vorsitzenden des Volkserlösungsrates bzw. Staatspräsidenten aus. Die Mehrzahl der Kollektionen hatte jedoch nicht das Geringste mit dem Ausgabeland zu tun: Mitten im Bürgerkrieg wurden „30 Jahre Fernsehserie Star Trek – Raumschiff Enterprise“ begangen. Ausgaben in Gold und Silber stellten chinesische Tierkreiszeichen oder Ereignisse bzw. Persönlichkeiten aus der Geschichte der USA vor. Wiederholt informierte die Fachpresse über den zweifelhaften Charakter der Prägungen: „Der Wiederverkaufswert solcher Pseudomünzen auf dem Münzenmarkt liegt daher beim reinen Metallwert. Deshalb werden sie im Münzfachhandel nicht gehandelt; Hauptvertriebskanäle sind Zeitungsannoncen und Teleshopping, wo versucht wird, ahnungslosen Kunden vermeintliche Raritäten zu deutlich überhöhten Preisen zu verkaufen.“ (Wikipedia: Liberianischer Dollar, Stand: 23. Juli 2018) Auch im Weltmünzkatalog wird auf die meist illegalen Prägungen hingewiesen.


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