Vor etwas mehr als 50 Jahren brach der der Schweizer Journalist Stefan Miller auf eine Reise durch Ostafrika auf. Er wollte die politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Afrikaner auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit erkunden. Am Ende seiner Reise „tauchte Addis Abeba plötzlich am Horizont auf wie eine märchenhafte Verheißung, hingestreut an den dunkel bewaldeten Fuß des hohen zentralabessinischen Gebirges“ (Stefan Miller: Vom Nil zum Sambesi – Afrikanischer Reisebericht. Berlin 1962, S. 245). Vom Bahnhofsviertel stieg er die Churchill Road, die großzügig angelegte Hauptverkehrsstraße, zum höher gelegenen Stadtzentrum empor. Er sah den langgestreckten, in europäisch-klassizistischem Stil erbauten Kaiserpalast, den Prachtbau der Africa-Hall und das luxuriöse Ghion-Hotel mit zugehörigem Park. Außerdem gab es Moscheen und koptische Kirchen, etliche Paläste und Villen der Reichen. Im Geschäftsviertel zahlte er mit der Landeswährung Birr, dem Äthiopischen Dollar. War Addis Abeba etwa eine reiche Stadt? Miller beantwortete die Frage selbst: „Weit gefehlt! Es ist zur Hauptsache eine Anhäufung elender baufälliger Holz- und Wellblechhütten, deren Erbärmlichkeit höchstens dadurch gemildert wird, dass sie weit verstreut in den Waldungen liegen. Ein solches Hüttenviertel stößt bereits unmittelbar an die Westseite des Kaiserpalastes.“ (Miller, S. 248) Werfen wir einen Blick auf die über hundertjährige Hoffnung der äthiopischen Kaiser, mit europäischem Geld dem Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen.
Kaiser Menelik II. von Abessinien (1844–1913). Bildquelle: Wikimedia, Pankhurst
Im 19. Jahrhundert war der Maria-Theresia-Taler zu einer verbreiteten Handelsmünze in Ostafrika aufgerückt. Der Taler wurde auf Amharisch „Birr“ genannt, also Silberstück. Kaiser Menelik II. (reg. 1889–1913) kündigte mit Dekret vom 10. Februar 1893 die Ausgabe eigener Münzen an. Die Taler und ihre Teilstücke sollten mit dem Bildnis des Kaisers (Vorderseite) und dem Löwen von Juda (Staatswappen, Rückseite) ausgeprägt werden: „Die Freundschaft Meneliks II. mit Frankreich brachte es mit sich, dass die Prägung dieser Münzen in der Pariser Münzstätte in Auftrag gegeben wurde, was eine damals (wie heute) allgemein übliche Praxis bei der Münzproduktion für exotische Staaten war.“ (Münzen, Naturalgeld und Banknoten in Äthiopien, ÖNB-Sonderausstellung, Wien 1996) Insgesamt sind innerhalb weniger Jahre Münzen im Wert von etwa 3,1 Millionen Talern in Paris hergestellt worden. Weil in der Münzstätte in Wien gleichzeitig die Maria-Theresia-Taler in hohen Millionenauflagen weitergeprägt wurden, erlangten die Menelik-Taler jedoch keine große Bedeutung.
1 Wark (Menelik II., 1897 = 1889 EE, Gold). Bildquelle: Künker, Auktion 306, Lot 5427, Zuschlag: 900 Euro
Der Kaiser wollte aber mehr – eine eigene Münzstätte in Addis Abeba! Bei der Wiener Zweigstelle einer deutschen Maschinenbaufirma bestellte er die Prägetechnik. Der sächsische Ingenieur Willy Hentze wurde wenig später nach Äthiopien (damalige Landesbezeichnung: Abessinien) entsandt: „Der größere Teil der Strecke nach Addis Abeba musste mit Weg- und Zugtieren zurückgelegt werden. Ein für die Münzproduktion geeignetes, d.h. gemauertes und gut fundamentiertes Gebäude war erst zu errichten und die dafür zur Verfügung gestellten heimischen Arbeitskräfte anzulernen. Zement war damals in Abessinien unbekannt, ebenso ein Schornstein, den man für die Dampfmaschine benötigte und der noch dazu gerade stehen sollte.“ (Wolfgang Hahn: Zur Geschichte der Münzstätte Addis Abeba. In: Money Trend, 2/2001, S. 67)
1 Birr (Menelik II., 1903 = 1895 EE, Silber). Bildquelle: Coinshome, Reference KM-19 (7); Dav 30 (4), Preis: 210 Dollar
Trotz der Schwierigkeiten konnte die Münzstätte, die sich innerhalb der Kaiserpfalz befand, im Februar 1904 in Betrieb gehen. Angelehnt an das System der Lateinischen Münzunion sollten Goldmünzen im Wert von 20, 10 und 5 Francs hergestellt werden, außerdem fünf Silber-Nominale. Die Münzstempel dafür kamen aus Wien. Als die Serienproduktion sich wegen technischer Schwierigkeiten verzögerte, wurde Hentze verantwortlich gemacht. Als Ersatz kamen 1905 die Österreicher Franz Jina und Stanislaus Dvorak ins Land. Innerhalb einiger Monaten konnte die Produktion zur allgemeinen Zufriedenheit fortgeführt werden: „Weniger zufrieden schieden Jina und Dvorak aus Äthiopien, da ihnen der knickrige Kaiser als Belohnung bloß Elefantenzähne (zwei für Jina, einen für Dvorak) spendiert hatte, die sie anfangs entrüstet zurückweisen wollten.“ (Hahn, S. 69) Immer wieder traten aber Probleme auf. Das Gewicht der Goldmünzen mit der Bezeichnung Wark schwankte. Das Wertverhältnis zum Maria-Theresia-Taler blieb unbestimmt. Immer wieder mussten in Wien neue Stempel geordert werden. So konnte der Maria-Theresia-Taler konnten nicht verdrängt werden! Die Münzen, in kleinen Stückzahlen auch noch unter Kaiserin Zaudito (reg. 1917–1930) und Haile Selassie (reg. 1930–1936 und 1941–1974) geprägt, dienten daher vorwiegend Repräsentationszwecken.
½ Wark (Haile Selassie, 1930 = 1923 EE, Gold). Bildquelle: Atlas Numismatics, Ref. KM 20; Friedberg 29, Preis: 1.628 Dollar