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Finanzzentrum Berlin


Münze für den Spandauer Juliusturm. Bildquelle: Primus Münzen

Bismarcks „Leibjude“ – Der Aufstieg Berlins zum Finanzzentrum

Im 19. Jahrhundert wurde Berlin anstelle der Handelsmetropolen Hamburg und Frankfurt/Main zum wichtigsten deutschen Finanzplatz. In der Jägerstraße befand sich die Königliche Giro- und Lehnbank, aus der 1876 die Reichsbank hervorging. Die Gebäude der übrigen Banken standen in der Behren- und Französischen Straße, nahe dem Boulevard „Unter den Linden“.

Bankier Joseph Mendelssohn. Bildquelle: Wikimedia, Itzuvik

Die Privatbanken

Mit der Gründung der Königlichen Giro- und Lehnbank (1765) und der Königlichen Seehandelsgesellschaft (1772) hatte Friedrich II. den Grundstein für das preußische Zentralbankwesen gelegt. Nach dem Tod des Alten Fritz kam es zu einer Gründungswelle von Privatbanken, unter denen Mendelssohn & Co. sowie Samuel Bleichröder die wichtigsten waren. Der Aufstieg der Mendelssohn-Bank vollzog sich nach dem Ende der Befreiungskriege. Die Bankiers Joseph und Abraham Mendelssohn wurden mit der Abwicklung französischer Reparationszahlungen an den preußischen Staat beauftragt. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erzielte die Bank Gewinne durch russische Staatsanleihen. Das Unternehmen entwickelte sich zur größten Berliner Privatbank. Das Bankhaus Bleichröder war 1803 in Berlin von Samuel Bleichröder gegründet worden und betrieb ursprünglich nur das Wechsel- und Lotteriegeschäft. Den Zug ins Große bekam die Bank erst 1830 durch die Verbindung mit den Rothschilds. Später wurde Bismarck, damals preußischer Gesandter beim Deutschen Bund, auf das Kreditinstitut aufmerksam: „Damals hatte er sich mit Anselm Rothschild angefreundet, dem patriarchalischen Haupt der internationalen Rothschild-Dynastie. Wie alle Bismarck-Freundschaften war es eine Mischung aus Zweck und Zuneigung. Wenn er das durchsetzen wollte, was ihm vorschwebte, musste er eigentlich einen Mann wie Anselm Rothschild in Berlin haben und sagte es ihm auch. Der alte Bankier verwies ihn an seinen Berliner Kommissionär, Gerson Bleichröder. Der sei jung und begabt und des höchsten Vertrauens würdig.“ (Walter Kiaulehn: Berlin – Schicksal einer Weltstadt, München 1976, S. 151) Als sein König Wilhelm zehn Jahre später in eine existenzielle Budget-Krise geriet, aktivierte Bismarck die Freundschaft. Bleichröder streckte eine bedeutende Summe vor – und verkaufte Staatsanleihen. So konnte sogar der Krieg von 1866 finanziert werden.

Zentrale der Reichsbank (Postkarte, um 1904). Bildquelle: Zeno

Die Reichsbank

Nach der Reichsgründung von 1871 wurde Berlin zur Hauptstadt des Reiches. Bleichröder transferierte die französischen Kriegsentschädigungen nach Berlin. Ein Teil davon wurde als „Reichskriegsschatz“ eingelagert: „Im Grunde bedeutete diese Forderung eine Erweiterung des ehemaligen Preußischen Kriegsschatzes von 40 Millionen Talern auf 120 Millionen Mark in Gold für das gesamte deutsche Reich. Verpackt in eisernen Kisten wurde der Schatz im Spandauer Juliusturm deponiert: „Der Reichskriegsschatz bestand aus neu geprägten Zehn- und Zwanzig-Mark-Stücken, vorwiegend aus eingeschmolzenen Franc-Münzen aus den französischen Kriegskontributionen.“ (Bernd Borchardt: Des Kaisers Reichskriegsschatz. In: MünzenRevue, Heft 9/2005, S. 153) In den zwei Jahren nach Kriegsende erlebte der deutsche Kapitalmarkt eine bis dato beispiellose Expansion. 857 Aktiengesellschaften wurden gegründet. Deren Grundkapital belief sich auf insgesamt drei Milliarden Mark – ebenso viel wie für alle Aktiengesellschaften zusammen, die zwischen 1826 und 1871 gegründet worden waren. Die Großbanken Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank entstanden. Das Bankgesetz vom März 1875 verwandelte die Preußische Bank in die Berliner Reichsbank. Das Grundkapital betrug 120 Millionen Mark und war im Besitz von privaten Anteilseignern. Banknoten des Instituts mussten mindestens zu einem Drittel durch Gold, Kassenscheine oder Wechsel gedeckt sein. In § 18 des Bankgesetzes hieß es, dass die Banknoten gegen „kursfähiges deutsches Geld“ einzulösen seien. Gemäß einer Anweisung des Reichskanzlers zahlte die Preußische Bank ab Juli 1875 in Gold. Die Reichsbank folgte ihr. Für die übrigen Banken bestand die Einlösepflicht lediglich in der Zentrale. Zweigstellen wechselten entsprechend ihrem aktuellen Vorrat in Gold. Der Umlauf von Banknoten der privaten Institute ging drastisch zurück: „12 von 32 Notenbanken gaben das Notenrecht sogleich auf. Bis 1905 folgten aus anderen Gründen weitere 16 Banken, so dass vor dem Weltkrieg nur noch die badische, bayerische, sächsische und württembergische Notenbank neben der Reichsbank bestanden haben.“ (Währung und Wirtschaft in Deutschland. Frankfurt/Main 1976, S. 14)

Berliner Börse (um 1900). Bildquelle: Wikimedia, Library of Congress

Die Berliner Börse

Die Wertpapierbörse hatte sich in den 1860er Jahren zur unangefochtenen Leitbörse in Deutschland entwickelt. Um die Jahrhundertwende wurden fast zwei Drittel aller deutschen Börsengeschäfte in Berlin abgewickelt. In Frankfurt waren es dagegen nur noch rund fünf Prozent. Mit der Londoner und der New Yorker gehörte sie zu den drei wichtigsten Börsen der Welt. Gerson Bleichröder, oft als „der Bleiche“ oder „Bismarcks Leibjude“ bespöttelt, war hier Stammgast. Auch sein Gefolgsmann Carl Fürstenberg gab an Ort und Stelle seine Ordres ab. In dem prunkvollen Neubau an der Burgstraße (errichtet zwischen 1859 und 1863 von Friedrich Hitzig) wurden aber nicht nur Geschäfte abgeschlossen: „Witzig zu sein gehörte damals einfach zum Wesen eines Berliner Börsianers. Aber der oberste Witzbold einer Börse zu sein, die täglich von fünftausend Leuten besucht wurde, und es fünfzig Jahre lang zu bleiben, das war etwas Besonderes. Der Sarkasmus und die gute Laune Fürstenbergs waren shakespearisch. Sein Witz kam immer aus der Sache, blieb auch scheinbar immer in ihr und holte aus dieser Sachlichkeit seine hohen und tiefen Wirkungen. Man hing an seinen Lippen und jede seiner Bemerkungen flog schwalbenschnell durch Berlin.“ (Kiaulehn, S. 161) Ging es um einen Ehemann, der sich die Seitensprünge seiner schönen Frau gefallen ließ, kommentierte er: „Ich bin auch lieber mit dreißig Prozent an einer guten Sache beteiligt, als mit hundert an einer schlechten.“ Zum Dekolleté der spindeldürren Gattin des Finanzministers meinte er: „Ach, das hat sie sich von ihrem Mann angewöhnt. Der kommt auch immer zu mir mit seinem ungedeckten Defizit.“ Der Sekretär empfing ihn eines Morgens mit den Worten: „Wissen Sie, wer gestorben ist?“ – Fürstenberg: „Mir ist jeder recht!“ Die Inhaber renommierter Banken genossen gar politische Privilegien. Politiker und Bankiers trafen sich auf Soireen und Empfängen. Im „Club von Berlin“ und der „Gesellschaft der Freunde“ tauschte man Informationen aus und bahnte Kontakte an. Das Verhältnis von Bismarck und Bleichröder war legendär: „Mendelssohn & Co. hingegen war 1907 die einzige Privatbank, die einen Vertreter in die vom Reichstag eingesetzte Banken-Enquetekommission entsenden durfte, auf der über erste ernste Krisen- und Überhitzungssymptome des Bankensystems diskutiert wurde.“ (Christoph Kreutzmüller: Berlin – der „andere“ Finanzplatz Preußens im langen 19. Jahrhundert. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Berlin 2013, S. 100)

Der Niedergang der aufstrebenden Finanzmetropole bahnte sich im Ersten Weltkrieg an. In der Weltwirtschaftskrise und unter den Nazis wurde er evident. Lediglich vier der sieben Berliner Großbanken waren bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges noch in privater Hand. Infolge der Teilung Deutschlands siedelte sich die Mehrzahl der Institute in Frankfurt/Main an.

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