top of page

Vor 100 Jahren: Revolution in Russland


Das Russische Reich befand sich zu Beginn des Jahres 1917 in wirtschaftlicher und militärischer Lage in erheblicher Bedrängnis. Der russische Einmarsch zu Beginn des Krieges in Ostpreußen war ein Strohfeuer, dem katastrophale Niederlagen gegen die deutschen Armeen folgten. Auch die als große Kraftanstrengung 1916 gestartete Brussilow-Offensive kam nach Anfangserfolgen zum Stehen.

Der letzte russische Rubel mit dem Bild des Zaren Nikolaus II. wurde im Jahr 1915 geprägt

Rußland war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der industriellen Entwicklung weit hinter den Staaten West- und Zentraleuropas zurückgeblieben. Das drückte sich auch in der Bevölkerungszusammensetzung aus. 70% der Bevölkerung in Rußland lebten als Bauern auf dem Land. Nur 14% gehörten zum Industrieproletariat. Die restlichen 16% entfielen auf den Adel, das Bürgertum und die Geistlichkeit.

In der russischen Führung hoffte man, durch den Krieg von den gesellschaftlichen Widersprüchen im Land (ungelöste Agrarfrage) ablenken zu können. Doch der Kriegsverlauf zerschlug solche Hoffnungen. Im Westen wurden große Gebiete Rußlands von deutschen und österreich-ungarischen Truppen besetzt. Das Transportwesen und die Landwirtschaft verfielen immer schneller, die Rüstungsindustrie konnte die Bedürfnisse des Militärs nur ungenügend erfüllen. Infolge des „Großen Rückzugs“ gingen zunächst Polen, Litauen, Kurland und weite Teile Weißrußlands bis zu einer Linie von der Düna zur rumänischen Grenze verloren. Dieser regelrechte Zusammenbruch der zumeist schlecht ausgerüsteten russischen Armee hatte eine schwere Krise in der obersten militärischen Führung zur Folge.

Im Februar 1917 war das Maß voll! Im Februar 1914 kam in Petrograd (1914 war St. Petersburg in Petrograd umbenannt worden; der deutsche Name störte ebenso wie der Dynastie-Name Sachsen-Coburg und Gotha in Großbritannien) das Gerücht auf, die Tagesration an Brot sollte auf 400 g gekürzt werden. Es kam zu massiven Hamsterkäufen und ab dem 18. Februar 1917 bildeten sich vor den leeren Lebensmittelläden aggressive Zusammenrottungen. Um diese aufzulösen, wurden Einheiten der Armee eingesetzt, die um Petrograd stationiert waren. Dennoch weiteten sich die Demonstrationen und Streiks aus. Man forderte Brot. Am 23. Februar 1917 wurde bereits in 50 Großbetrieben von Petrograd gestreikt.

Von den Bolschewiki wurde daher der Beginn der Revolution auf den 23. Februar (8. März nach Gregorianischen Kalender) gelegt, obwohl es erst am 25. Februat 1917 zu gewaltsamen Demonstartionen auf dem Newski-Prospekt kam. Gegen die Demonstranten gingen Polizeieinheiten vor. Das Blatt wendete sich aber als die gefürchteten Kosaken die Seite wechselten und den Kommandeur der Polizeienheiten töteten. In der Stadt entwickelten sich danach Straßenkämpfe, bei denen Polizisten gelyncht wurden. Die Angehörigen der Armee um und in Petrograd gingen nur zögernd gegen die Demonstranten vor bzw. wechselten auch die Seite.

Am 26. Februar 1917 löste Duma-Präsident Michail Rodsjanko auf Weisung des Zaren die Duma (Parlament) auf und gründete am 27. Februar ein außerparlamentarisches „Provisorisches Komitee zur Wiederherstellungder öffentlichen Ordnung“, das die Unruhen bekämpfen sollte, die sich bisher nur auf Petrograd beschränkten.

In Petrograd bildeten sich als Folge des Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung Arbeiter- und Soldatenräte. Sie besetzten in Petrograd alle Bahnhöfe, das Telegrafenamt und militärische Einrichtungen der Peter-Pauls-Festung und der Admiralität. Die Zarenresidenz in Zarskoje Selo bei Petrograd wurde abgeriegelt. Entscheidend war, daß am 27. Februar (12. März) die Soldaten der Patrograder Garnison meuterten, sich den Streikenden und den Arbeiter- und Soldatenräten anschlossen.

Der Zar war aber nicht in Zarskoje Selo, sondern auf dem Weg zum Generalstab der russischen Nordarmee in Pleskau (Pskow), nachdem ihm Innenminister Alexander Protopopow versichert hatte, die Lage im Griff zu haben. Im Hauptquartier gab General Nikolai Russki dem Zaren den Rat, unverzüglich abzudanken. Die Generale waren sich nicht sicher, ob sie mit ihren, mit der Revolution liebäugelnden Soldaten den Aufstand niederschlagen konnten. Auch Michail Rodsjanko forderte nun die Abdankung des Zaren. Daraufhin dankte Zar Nikolaus II. zugunsten seines Bruders Michail ab. Auf Druck einer Delegation der Provisorischen Regierung unter Fürst Georgi Lwow, zu der auch der kommissarische Justizminister Alexander Kerenski gehörte, verzichtete Michail aber am Folgetag auf den Thron. Innerhalb von zwei Wochen hatte sich Rußland total gewandelt, die Dynastie Romanow war nach 300 Jahren Vergangenheit, Rußland war eine Republik geworden.

Die Duma entwickelte sich neben den Arbeiter- und Soldatenräten (Sowjets) zum zentralen politischen Gremium, damit bildete sich eine Doppelherrschaft heraus. Es entstand eine Provisorische Regierung, die sich um eine zukünftige Staatsform für Rußland kümmern sollte. Im rechten Flügel des Taurischen Palastes in Petrograd residierte die Provisorische Regierung, im linken der Sowjet mit den Arbeiter- und Soldatenräten.

Die von der Duma eingesetzte Provisorische Regierung (Ministerpräsident Georgi Jewgenjewitsch Lwow und dann Alexander Fjodorowitsch Kerenski) wurde anfangs vom Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat unterstützt, in dem die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre die Richtung bestimmten. Parallel dazu existierte ein zentraler Arbeiter- und Soldatenrat, der die Verhandlungen der Regierung kontrollierte.

Die bürgerliche Regierung führte den Krieg gegen die Mittelmächte weiter, sehr zur Erleichterung Frankreichs und Großbritanniens. Darin lag aber auch der Keim für das Scheitern der Kerenski-Regierung. Im Sommer 1917 scheiterte die letzte russische Offensive (Kerenski-Offensive). Nach dem erfolgreichen Gegenstoß deutscher Truppenverbände konnte die russische Armee bis Anfang August 1917 nahezu vollständig aus Galizien (Polen) vertrieben werden.

Der kriegsmüden Bevölkerung und den demoralisierten Soldaten war die Fortsetzung des Krieges nicht zu vermitteln. Die Bolschewiki hatte daher in der Oktoberrevolution von 1917 großen Zuspruch, weil sie eine rasche Beendigung des Krieges versprach.

Obwohl die bolschewistische Propaganda es später anders darstellte, wurde die radikalsozialistische Bolschewiki von der Revolution völlig überrascht. Lenin war zu diesem Zeitpunkt im Exil in der Schweiz und rechnete in keiner Weise mit einer Revolu­tion. Erst am 2. März 1917 erfuhr Lenin vom Ausbruch der Revolution in Rußland. Er konnte mit deutscher Hilfe nach Rußland zurückkehren und traf am 16. April in Petrograd ein.

Nach dem Scheitern der Kerenski-Offensive gelang es der Bolschewiki unter Führung Lenins mit der Oktoberrevolution von 1917 die Macht in Rußland an sich zu reißen und eine kommunistische Diktatur zu errichten, die nach dem Sieg im bis 1922 währenden Bürgerkrieg unangefochten war.

bottom of page