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Verzweifeltes Hoffen in Argentinien

Aus Wut und Verzweiflung über Korruption, Misswirtschaft und eine Inflation von über 200 Prozent hatten die Argentinier im November 2023 den ultraliberalen Populisten Javier Milei zum Präsidenten gewählt. Und tatsächlich: Der Kreislauf zur Aufnahme immer neuer Schulden ist inzwischen gestoppt worden. Die Inflation ist auf etwa zehn Prozent pro Monat zurückgefallen und der Peso hat sich gegenüber dem Dollar stabilisiert. Doch sind diese Erfolge nachhaltig? Die Deutsch-Argentinische Industrie- und Handelskammer ist skeptisch. Strukturelle Reformen gibt es nämlich noch keine:

„Der kurzfristig erreichte Ausgleich der Staatskasse, auf den die Regierung so stolz ist, beruht bisher auf groben provisorischen Maßnahmen, die auf Dauer kaum durchzuhalten sind. Die Rückführung des Staatsdefizits von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2023 auf eine schwarze Null in den ersten beiden Monaten 2024 gelang nur, weil Finanzminister Caputo Löhne und Renten kaum mehr an die galoppierende Inflation anpasste und die öffentlichen Investitionen ebenso stoppte wie die Zuschüsse des Bundes an die Provinzen. Zudem wurden die Energierechnungen einfach nicht bezahlt.“ (1)

Langfristig wirkende Reformgesetze im Steuer- und Rentensystem wie in Griechenland vor zehn Jahren wären also unumgänglich. Dafür braucht es aber parlamentarische Mehrheiten. Gemeinsam mit der kompromissbereiten Opposition müsste ein Reformpaket beschlossen werden. Ob es dem ewig polternden „Anarcho-Kapitalisten“ Milei gelingt, für die Verhandlungen das nötige Fingerspitzengefühl aufzubringen, steht jedoch in den Sternen.

Argentiniens Staatspräsident Javier Miliei – Bildquelle: La Mar de Onuba, Midia NINJA.


Argentinien ist seit seiner Gründung über hundert Jahre hinweg ein Agrarland geblieben. Die fehlende Industrieproduktion rächte sich in der Weltwirtschaftskrise:

„Die Preise für Rohstoffe gingen in die Knie, während gleichzeitig viele Zielländer ihre Märkte für argentinische Waren schlossen. (…) Die argentinischen Exporte sanken zwischen 1928 und 1932 um die Hälfte, gemessen in Pesos.“ (2)

Von unentbehrlich erscheinenden Importen abgeschnitten, machte das Land in den folgenden Jahren notgedrungen eine Industrialisierung durch. Doch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war dieser Aufbruch schon wieder vorbei. Die Probleme spiegelten sich im Kurs des argentinischen Pesos zum Dollar wider. Musste man 1955 noch 18 Pesos für einen Dollar hinlegen, waren es 1964 schon 180 Pesos:

„In jenen Jahren war über die argentinische Währung fast täglich etwas in den Zeitungen zu lesen, was für eine Währung nie gut ist.“ (3)

Im März 1967 war schließlich ein Kurs von 350 Pesos für den Dollar erreicht. Einhundert „Pesos moneda nacional“ wurden zu einem neuen Peso zusammengelegt. Im Juni 1983 folgte ein weiterer Währungsschnitt. Aus 10.000 Pesos wurde ein „Peso Argentino“. Auf die Öffnung der Wirtschaft unter der Militärdiktatur (1976-1983) folgte mit Raúl Alfonsín endlich wieder ein demokratisch gewählter Präsident.

„Die ökonomische Situation war für Alfonsín vom ersten Tag an kritisch. Er übernahm von den Militärs ein tiefes Haushaltsloch, gigantische Schulden und eine Wirtschaft in einer schweren Rezession. Sein Wirtschaftsminister Bernardo Grinspun versuchte das Defizit zu senken und die Wirtschaft zu aktivieren, aber beides zusammen konnte ihm nicht gelingen.“ (4)

Austral (Argentinien, 1989, Aluminium, 1,5 Gramm, 20 mm) – Bildquelle: CoinBrothers.


Zwischen 1983 und 1989 lag die jährliche Inflation infolge der hohen Ausgaben bei 300 Prozent. Gemeinsam mit einer Politik der knappen Kassen sollte die neue Währung des „Austral“ für einen Befreiungsschlag sorgen. Eintausend „Pesos Argentino“ wurden im Jahr 1985 zu einem Austral zusammengelegt. Das Experiment scheiterte:

„Schon 1988 war Argentinien praktisch zahlungsunfähig. Als Anfang 1989 öffentlich wurde, dass Argentinien kein Geld mehr von den supranationalen Kreditgebern erhielt, kam die Geldentwertung richtig in Fahrt. Im Bankenviertel von Buenos Aires standen Männer auf der Straße, die Passanten leise die Wörter ‚tausche Geld‘ zuriefen. Auf dem Schwarzmarkt wechselten die Angestellten ihre Australes in Dollar, um ihren Monatslohn in Devisen zu sichern.“ (5)

Im Mai 1989 plünderten Tausende von hungrigen Menschen die Supermärkte in den Armenvierteln von Buenos Aires. Fünfzehn Menschen kamen während der Unruhen ums Leben. Mit der Amtsübernahme des neuen Präsidenten Carlos Menem  im Dezember 1989 keimte Hoffnung auf. Menem hatte versprochen, dass Argentinien innerhalb weniger Jahre in die erste Liga der Industrieländer aufsteigen werde. Im Zuge einer radikalen Liberalisierung der Wirtschaft wurden zahlreiche Staatsunternehmen verkauft und Einfuhrzölle gesenkt. Eine an den US-Dollar gekoppelte Währung sollte Vertrauen schaffen. Die bimetallische, im Jahr 1994 eingeführte Peso-Münze zeigte im Zentrum eine Reproduktion der ersten Goldmünze der „Provincias del Rio de la Plata“ aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes. Doch der viel zu starke, an den Dollar gekoppelte Peso rächte sich. Ab 1998 setzte eine schwere Rezession ein. Die Staatsschulden stiegen innerhalb von nur zehn Jahren von 65,3 Milliarden auf 145,3 Milliarden Dollar.   


Peso (Argentinien, 1994-2016, Bi-Metall aus Kupfer-Aluminium-Nickel im Zentrum und Kupfer-Nickel im Ring, 6,4 Gramm, 23 mm) – Bildquelle: NumisCorner


Im Jahr 2001 zeichnete sich aufgrund der hohen Zinslasten ein Kollaps der Staatsfinanzen ab. Anleger stürmten die Banken, um ihr Geld abzuheben und es in Dollars umzutauschen. Staatspräsident Fernando de la Rúa ließ daraufhin die Bankkonten sperren. Nur noch eine begrenzte Menge von Pesos durfte abgehoben werden. Im Dezember des Jahres vertrieb ein aufgebrachter Mob den Präsidenten aus seinem Palast. Übergangspräsident Adolfo Rodrigo Sáa verkündete kurz darauf die Aussetzung des Schuldendienstes. Die Staatspleite war da. Die Sanierung der Finanzen erwies sich als schwierig. Wirtschaftsminister Roberto Lavagna gelang im März 2005 ein Schuldentausch, dem 80 Prozent der Gläubiger unter erheblichen Verlusten zustimmten:

„Danach blieben Argentiniens Außenstände in Höhe von 125 Milliarden Dollar, was im Jahr 2005 etwa 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachte.“ (6)

Seit 2014 wurde Argentinien allerdings erneut von einer Wirtschaftskrise mit teils negativem Wirtschaftswachstum und hoher Inflationsrate erfasst. Seitdem steht das Land vor einer weiteren Staatspleite. Im Alltag zahlen die Argentinier heute zumeist mit Kreditkarte oder Papiergeld. Der Wertverfall des Pesos zeigte sich aber unlängst anhand des wenigen kursierenden Münzgeldes. Als der Metallwert der bimetallischen Peso-Stücke den Nennwert überstieg, wurden sie von Münzen aus kupferplattiertem Stahl ersetzt. Als der Wert dieser Stücke dann ins Bodenlose sank, wurde die Produktion gänzlich eingestellt.


Peso (Argentinien, 2017-2020, kupferplattierter Stahl, 4,3 Gramm, 20 mm) – Bildquelle: Hobby of Kings.


Dietark Kreutzer


Quellenangaben:

  1. Carl Moses: Gelingt die Wende in Argentinien?; auf: ahkargentina.com.ar, 20.03.2024.

  2. Ingo Malcher: Tango Argentino – Porträt eines Landes; München 2008.

  3. Herbert Rittmann: Moderne Münzen; München 1974, S. 250.

  4. Malcher, S. 117.

  5. Ebenda, S. 118.

  6. Ebenda, S. 124.


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