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Inkognito unter Hungernden: Kaiser Joseph II.

Bei seiner Krönung zum römisch-deutschen König von 1764 war Joseph II. gerade einmal 23 Jahre alt. Sein Vater Franz Stephan, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ließ ihn noch zu seinen Lebzeiten krönen. Den Frankfurter Teenager Goethe konnte Joseph II. auf seinem Weg vom Dom zum Römer nicht beeindrucken. In seinem autobiografischen Werk Dichtung und Wahrheit erinnerte sich der Dichterfürst viele Jahre später: „Der junge König (…) schleppte sich in den ungeheure Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen, wie in einer Verkleidung, einher, so dass er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, stand wie ein übergreifendes Dach vom Kopf ab. Die Dalmatika, die Stola, so gut sie auch angepasst und eingenäht worden, gewährte doch keineswegs ein vorteilhaftes Aussehen. Szepter und Reichsapfel setzten in Verwunderung; aber man konnte sich nicht leugnen, dass man lieber eine mächtige, dem Anzuge gewachsene Gestalt, um der günstigeren Wirkung willen, damit bekleidet und ausgeschmückt gesehen hätte.“ (1)



Joseph II. im Krönungsornat (1864) – Bildquelle: Wikimedia, Hickel


Einige Jahre danach hatte er als Kaiser jedoch seinen Weg gefunden, nämlich als Reformer, der sich unterwegs inkognito direkt bei seinen Untertanen informierte. Während einer Reise durch Böhmen und Mähren im Herbst 1771 ließ er sich von einem Bäcker zeigen, wie teuer und schlecht das Brot angesichts mehrerer Missernten geworden war: „Drei Kreuzer, Euer Herr untertänigster Diener, drei Kreuzer, wenn es belieben. Ich muss für das Mehl, wenn es überhaupt eines gibt, viermal so viel hinlegen als sonst.“ (2) Normalerweise hätte ein Brot von 21 Lot gleich 367,5 Gramm damals nur einen  Kreuzer gekostet! Bei einem seiner vielen inkognito unternommenen Besuche auf den Dörfern versuchte Joseph den Hungernden mit aus Wien mitgebrachten Gulden im Wert von 60 Kreuzern auszuhelfen. Einem Prager Asyl für die Sterbenden stellte er eine Soforthilfe von 2.000 Gulden zur Verfügung. Trotz des Gestanks aufgrund der Wunden und des Fäulnisfiebers ging er mit seinem Leibarzt Giovanni Alessandro Brambilla von Zimmer zu Zimmer: „Keiner der Begleiter des Kaisers hatte den Mut, diese Krankenzimmer aufzusuchen, nur Joseph ließ sich nicht abschrecken, er ging von Bett zu Bett und spendete den Elenden Trost.“ (3) 



Konventionstaler (Österreich, 1769, 833er Silber, 28,1 Gramm, 41 mm)

Bildquelle: Numista, Heritage Auctions


Bei seiner Regierungsübernahme im Jahre 1865 an der Seite seiner Mutter Maria Theresia hatten sich die österreichischen Staatsschulden auf gigantische 300 Millionen Gulden belaufen. Joseph selbst erbte nach Abzug von verschiedenen Verpflichtungen etwa zwölf Millionen Gulden, die er dem Staat vermachte: „Es war wie eine auf sich selbst bezogene Vermögenssteuer. Dadurch, so Josephs Kalkül, würde er die Zinsen für die Staatsschulden von sechs auf vier Prozent drücken und große Einsparungen bewirken können. Auch zwölf Kameralherrschaften, Güter also, die direkt dem Hof gehörten, schenkte er dem Staat. Sein ganz persönlicher finanzieller Beitrag war so beträchtlich, dass die Monarchie – natürlich trug auch Josephs Sparpolitik dazu bei – 1775 schuldenfrei war.“ (4) Zum Verständnis ist anzumerken, dass der Gulden von alters her als Rechnungseinheit zu 60 Kreuzern galt. Als vollwertige Silbermünze kursierte im ausgehenden 18. Jahrhunderts der Konventionstaler im rechnerischen Wert von zwei Gulden bzw. 120 Kreuzern. Die im Großhandel gebräuchlichen Goldmünzen wurden mit wechselndem Kurs bewertet.



Doppelter Dukat (Österreich, 1786, 986er Gold, 7 Gramm, 25 mm)

Bildquelle: Heritage Auctions, Auction 3110, Lot 31209


Infolge seiner zahlreichen Reisen wurde Joseph II. zu einem Hauptvertreter des aufgeklärten Absolutismus. Sein Ziel war es, den aus Wien regierten Vielvölkerstaat zu einem zentral verwalteten Gebilde mit einheitlicher Amtssprache umzubauen. Dabei fehlte ihm jedoch das Verständnis für historisch gewachsene Besonderheiten oder die Notwendigkeit regionalen Selbstverwaltung. Die letzten zehn Jahre seiner Regierung waren von zahlreichen Reformen gekennzeichnet. Joseph II. hob die Leibeigenschaft auf und schuf das Toleranzpatent zur Gleichberechtigung der Konfessionen. Er ließ alle nicht gemeinnützigen Klöster schließen und förderte das Bildungs- und Gesundheitswesen. Die Bedingungslosigkeit, mit der das Staatswesen in den Jahren des „Josephinismus“ umgebaut wurde, traf zum Ende der Regentschaft auf immer heftigeren Widerstand. Nach seinem Tod musste daher ein Teil der Reformen zurückgenommen werden. Kurz vor seinem Tod soll Joseph II. einen Abt aufgefordert haben, für ihn eine Grabinschrift zu verfassen: „Hier liegt ein Fürst, der trotz der besten Meinung keinen seiner Pläne durchsetzen konnte."



Kronentaler (Österreichische Niederlande, 1787, 873er Silber, 29,4 Gramm, 39 mm) - Bildquelle: Auktionshaus H. D. Rauch, Auktion 11 - Tag 2, Los 998


Das Währungssystem war zwar kaum von den Reformen betroffen. Es bahnten sich aber künftige Veränderungen an. Einer anfänglichen Phase der finanziellen Konsolidierung bis 1775 folgten geradezu explodierende Ausgaben: „Unter Joseph II. verschärfte sich die Finanzlage Habsburgs zusehends. Seine Reformen kosteten Geld, der Bayerische Erbfolgekrieg (1778/79) hatten einiges verschlungen, ein Türkenkrieg, die polnischen Teilungen und dann der Aufstand in Belgien trieben den Aufwand für das Militär wieder in die Höhe. Seit 1782 schlossen alle Haushaltsjahre mit einem Defizit ab. Diese Defizite wurden im Wesentlichen mit Anleihen und ab 1785 mit der Ausgabe von Papiergeld gedeckt.“ (5) War der Dukat anfangs offiziell mit vier Gulden bewertet, stieg sein Wert im Kontext der Aufstände und Kriege. Dasselbe traf für den Souverain d’or zu, eine werthaltige Goldmünze, die aus den österreichischen Niederlanden kam. Die dort bislang kursierende Hauptsilbermünze, der Kronentaler, wurde offiziell überbewertet und zunehmend zur Kriegsfinanzierung herangezogen. Sie begann den Konventionstaler zu verdrängen. Im Zuge der Revolutionskriege verschwand das Münzgeld dann fast gänzlich. Eine Flut von Bankozetteln ergoss sich über die Hauptstadt. Das erlebte der 1790 an Tuberkulose verstorbene Joseph II. aber nicht mehr!



Doppelter Souverain (Österreichische Niederlande, 1786, 919er Gold, 11,1 Gramm, 28 mm)

Bildquelle: Numismata, Spink and Son


Dietmar Kreutzer



Quellenangaben:


(1) Goethes Werke – Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 9; Hamburg 1948, S. 202

(2) Monika Czernin: Der Kaiser reist inkognito – Joseph II. und das Europa der Aufklärung; München 2021, S. 152f.

(3) Ebenda, S. 174

(4) Ebenda, S. 102

(5) Herbert Rittmann: Deutsche Geldgeschichte 1484-1914; München 1975, S. 490

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